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Unternehmensbußgeldrecht der Europäischen Union

Von Professor Dr. Henning Radtke, Richter des Bundesverfassungsgerichts

Das Jubiläumsheft widmet sich mit dem Unternehmensbußgeldrecht der Europäischen Union einem inländisch bislang wenig beachteten Rechtsgebiet. Historisch im EU-Kartellrecht beheimatet reicht es mittlerweile über seinen ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus und erlangt Bedeutung auch für andere Bereiche innerhalb der Rechtssetzungskompetenz der EU, etwa dem Datenschutzrecht. Der Bedeutungszuwachs dürfte spätestens durch konträre fachgerichtliche Entscheidungen zu den Voraussetzungen der Verhängung von Geldbußen nach Art. 83 Abs. 4 - 6 DSGVO deutlich geworden sein. Einer der beiden einschlägigen Beschlüsse, der des Landgerichts Berlin, wird in diesem Heft näher besprochen (S. 124). Die divergierenden Entscheidungen machen deutlich, dass das EU-Unternehmensbußgeldrecht als einer neben dem inländischen Ordnungswidrigkeitenrecht bestehenden Form der Reaktion auf unrechtes Verhalten zahlreiche Fragen aufwirft; dazu gehören etwa: Wie lässt sich die unionsrechtliche Unternehmensgeldbuße sanktionsrechtlich einordnen und was resultiert daraus für die grundrechtlichen Garantien der Adressaten solcher Geldbußen?

Spezifisch auf das weit verstandene Strafrecht bezogene grundrechtliche Garantien, wie beispielsweise im nationalen Verfassungsrechte Art. 103 Abs. 2 GG, finden allein auf „staatliche Maßnahmen …, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient“ Anwendung. „… rein präventive Maßnahmen [fallen] nicht unter Art. 103 Abs. 2 GG“ (jeweils BVerfGE 156, 354, 388 Rn. 105). Die Einordnung der EU-Unternehmensgeldbuße danach könnte nicht ganz leicht fallen. So gilt Art. 103 Abs. 2 GG unzweifelhaft für die Ordnungswidrigkeiten des inländischen Rechts. Käme es lediglich auf den repressiven Charakter einer Maßnahme an, dürfte dies auch auf die unionsrechtliche Unternehmensgeldbuße zutreffen. Schwerer fällt die Beurteilung des Erfordernisses eines „schuldhaften Verhaltens“. Die im Kartellrecht entwickelte EU-Unternehmensgeldbuße ist an das „Unternehmen“, verstanden als vom Rechtsträger gelöste wirtschaftliche Einheit, adressiert. Da anders als nach den inländischen §§ 30, 130 OWiG ein (schuldhaft) begangener Rechtsverstoß eines Vertretungs- bzw. Leitungsorgans des Bußgeldadressaten für die unionsrechtliche Unternehmensbuße nicht erforderlich ist, wird sich diese nicht ohne Weiteres in den bisherigen Typenkatalog des nationalen Sanktionenrechts einordnen lassen.

Darauf wird jedoch nicht verzichtet werden können. Im Anwendungsbereich der ECN+-Richtlinie soll auch dem Recht der Mitgliedstaaten das unionsrechtliche Verständnis der Unternehmensgeldbuße zugrunde gelegt werden. Ist das inländische Sanktionenrecht sowohl für Straftaten als auch für Ordnungswidrigkeiten nach verfassungsrechtlichem Verständnis durch den schuldhaften Rechtsverstoß charakterisiert, bedarf es näheren Nachdenkens über die Rahmenbedingungen der Anwendung der EU-Unternehmensgeldbuße durch innerstaatliche Behörden und Gerichte.

Damit ist zudem die Frage nach dem Grundrechtsschutz gegen entsprechende innerstaatliche Akte aufgeworfen. Handelte es sich insoweit um die Anwendung von vollständig vereinheitlichtem Unionsrecht, richtete sich nach den in der Rechtsprechung des BVerfG (vor allem Recht auf Vergessen I und II (S. 134 in diesem Heft), Ökotox) entwickelten Grundsätzen der Grundrechtsschutz auch im nationalen Recht nach den Grundrechten der Grundrechtecharta der Europäischen Union.

Die unionsrechtliche Unternehmensgeldbuße bietet damit reichlich Stoff für eine nähere Befassung in Rechtswissenschaft und höchstrichterlicher Rechtsprechung.

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