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Dr. Robert Becker, Köln | Sep 10, 2024
Vortragsveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung (ARGE) im Deutschen Anwaltverein (DAV e. V.)
Die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein hatte am 10.07.2024 im Frankfurter Flughafen einen psychologischen Psychotherapeuten, Herrn Sebastian Hermes, eingeladen, der den anwesenden Beratern und Verwaltern in einem Halbtagsseminar Einblicke in seine Arbeit und die Fachterminologie der psychotherapeutischen Psychologen gab.
Die psychologische Wirkung einer Insolvenzantragstellung kann vor allem in den ersten Wochen eines Insolvenzverfahrens für den Insolvenzschuldner eine extrem belastende Situation darstellen. Gibt es psychische Störungen die als Ursache für eine Insolvenz herangezogen werden können wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit oder narzisstische Persönlichkeitsstörungen? Oder entstehen diese psychischen Störungen als Folge einer Insolvenz? Wie kann ein Berater oder Anwalt in so einer schwierigen Situation einen angemessenen Umgang mit dem Mandanten herstellen? Die Relevanz des Vortrages liegt zum einen darin, dass immer mehr Menschen und auch Insolvenzantragssteller die persönliche und gesellschaftliche Verantwortung die sich aus einer Insolvenz ableiten kann, wieder abschieben möchten z. B. an einen psychologischen Psychotherapeuten. Denn eine Krankheit entbindet von Verantwortung und Verpflichtung. Seiner Erfahrung nach, lege aber nicht immer eine Krankheit vor.
Denn Psychotherapeuten und Juristen verwenden teilweise gleiche Begriffe mit deuten diese Begriffe unterschiedlich. So werde beispielsweise oft missverstanden, dass eine Diagnose, die von Ärzten oder Psychotherapeuten gegeben werde, Juristen anders interpretieren würden. So beschreibt eine Diagnose das Zusammentreffen von verschiedenen Symptomen, die unter dieser Diagnose zusammengefasst werden. Dies bedeute aber nicht, dass zwangsläufig eine Krankheit vorliege und gebe auch keine Begründung für die Symptome. Auch das Wort „Syndrom“ sei kein Hinweis auf eine Krankheit, sondern nur ein Name für charakteristische Komplexe von Beschwerden und Befunden. Solche Konstrukte seien nicht mit wirklichen Krankheiten zu verwechseln. Besonders unscharf sei die Diagnose der „Depression“ oder „schweren depressiven Episode“, da es laut Hermes 277 verschiedene Kombinationen von Symptomen gebe, die sich teilweise widersprächen, aber alle unter dem Begriff „Depression“ diagnostiziert würden. Hermes bemängelte daher, dass die Depression, die für einen Großteil der Krankschreibungen und Frühverrentungen verantwortlich sei, eine besonders häufig zweckentfremdete Diagnose sei, obwohl wissenschaftlich bewiesen sei, dass eine Krankschreibung die Störung nicht lindere, sondern im Gegenteil die Chronifizierung erleichtere, also das Leiden verlängere.
Hermes unterstützte die Entstigmatisierung von psychischen Störungen und ermunterte die Teilnehmer den Betroffenen die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht zu ersparen. Er betonte, dass eine wirksame Therapie bei Phobien und Depressionen sei, sich den Notwendigkeiten zu stellen. Phobien und Depressionen seien daher kein Grund, Fristen zu versäumen, Unterlagen nicht vorzulegen oder Honorare nicht zu bezahlen. Hermes legte großen Wert darauf, dass die Kommunikation mit den Betroffenen nicht „knallhart“, sondern empathisch und mit „sanfter Unnachgiebigkeit“ geführt werden solle. Große Nachgiebigkeit helfe dagegen nicht.
In einer Fragerunde wurde von einer Teilnehmerin berichtet, dass ein Schuldner sich im Insolvenzverfahren umgebracht hatte. Der Referent Hermes ermunterte alle Anwesenden, bei einem begründeten Suiziderdacht eines Mandanten oder Schuldners, empathisch nachzufragen, ob dieser Wunsch tatsächlich bestehe. Es sei seiner Meinung nach wissenschaftlich erwiesen, dass Suizidalität nicht durch eine solche Frage begründet werde. Die meisten Personen, die über einen Suizid nachdenken, würden diesen ankündigen oder zumindest die Suizidgedanken auf Nachfrage bejahen. Es sei allerdings keine gute Idee, zu versuchen, den Mandanten oder Schuldner, der einen Suizid ankündige, von diesem Schritt abbringen oder den Suizid ausreden zu wollen. Besser sei es, sofort die Polizei oder Feuerwehr zu informieren, die auch die Möglichkeit hätten, das Handy der Person zuordnen. Allerdings sei Eile geboten, da viele Suizidenten nach der Ankündigung per Telefon das Handy ausschalteten, um eben nicht geortet zu werden. Gleiches gelte auch bei Ankündigung eines Mordes. Er wies energisch daraufhin, dass der Schutz des Lebens ein höheres Gut als die ärztliche Schweigepflicht sei – er gehe davon aus, dass dies auch bei der anwaltlichen Schweigepflicht der Fall sei. Hermes versicherte, dass es weniger bis keine sichtbaren Indizien für unangekündigte Suizide gebe. Allenfalls könne das Umfeld misstrauisch werden, wenn Personen, die lang belastet und bedrückt waren, plötzlich erleichtert, freudig und überschwänglich dankbar seien. Die Verantwortung für den Suizid liege aber nicht bei den Beratern, Verwaltern oder Therapeuten, sondern bei der Person selbst.
In einem weiteren Schwerpunkt beschäftigte sich Hermes mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen. Narzissten seien häufig, in Bezug auf die eigene Person, extrem kritikempfindlich, übertrieben die eigene Leistung und Talente und erwarten ohne eigene Leistung als bedeutend angesehen zu werden. Sie hätten starke Fantasien über ihren Erfolg und einen Mangel an Empathie, seien hoch manipulativ und würden von einer großen Sehnsucht nach Anerkennung, Bewunderung, ja fast nach Vergötterung getrieben. Gleichzeitig könnten sie sich selbst als „Mogelpackung“ (sog. Impostor-Syndrom) ansehen, da sie im Inneren ein negatives Selbstbild hätten, dass ihnen aber in der Regel nicht bewusst ist. Hermes war es wichtig zu betonen, dass es sich bei Narzissmus wie bei Depressionen und Phobien um keine Störung handele, die dauerhaft ein gebotenes Handeln ausschließe. Anders als bei manchen kernpsychologischen Störungen wie Schizophrenie, Manie oder Psychosen. Gleichzeitig solle man sich bewusst sein, dass die Insolvenz eines selbst aufgebauten oder noch mehr eines geerbten Unternehmens durchaus die Gefahr einer suizidalen Krise mit sich bringe. Wichtig sei es daher, mit Narzissten in der Kommunikation empathisch und wertschätzend zu sein, in der Sache aber „sanft unnachgiebig“, nicht privilegierend oder exkulpierend.
Zum Schluss wurde die Situation von den Teilnehmern erläutert, dass einem Geschäftsführer empfohlen wird, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Geschäftsführer aber den Ernst der Lage nicht akzeptieren will oder sich von persönlicher Angst übermannt nicht zu einem Antrag durchringen kann. Eine Verantwortung für das Handeln des Mandanten dürfe nicht übernehmen werden, so Hermes. Die Konsequenzen sollten schonungslos benannt werden und man sollte sich auch eine entsprechende Belehrung unterschreiben zu lassen, denn Angst sei ein Motiv. Der Anwalt solle aber notfalls das Mandat niederlegen, um Schaden von sich abzuwenden. Die Niederlegung sei nicht der Grund für die Insolvenz, sondern die Schwierigkeiten zuvor. Helfen könne gegebenenfalls, wenn man den Mandanten nach der Belehrung bitte, die individuelle Situation in eigenen Worten zusammenzufassen.
Das Fazit von Herrn Hermes war, dass es eine bedenkliche Entwicklung im Bereich psychischer Störungen gebe, da unsere Gesellschaft immer Nachgiebiger und Verständnisvoller mit diesen Menschen umgehe und dadurch die Verantwortung für das eigene Verhalten immer stärker abgeschoben werde. Zum Schluss dankten die Teilnehmer Herrn Hermes für den gelungenen und informativen Vortrag und Frau Dr. Anne Deike Riewe für die Moderation und Frau Dr. Claudia R. Cymutta für die Seminarbetreuung.