Seit
2012 waren der niederländischen Versandapotheke DocMorris verschiedene
Werbeaktionen wegen Verstößen gegen den in Deutschland einheitlichen
Apothekenabgabepreis von preisgebundenen Arzneimitteln untersagt worden.
Da die meisten dieser einstweiligen Verfügungen mit Blick auf die
Rechtsprechung des EuGH später wieder
aufgehoben wurden, verlangte DocMorris von ihrer Kontrahentin, der
Apothekerkammer Nordrhein, Schadensersatz in Höhe von etwa 18,5
Millionen Euro wegen vorgeblich unionsrechtswidriger Behinderung ihrer
Geschäftstätigkeit (§ 945 ZPO).
Das OLG Düsseldorf bejahte einen solchen Anspruch dem Grunde nach. Der BGH hatte Zweifel: Einzelne Untersagungsverfügungen hätten nämlich auch auf anderer Grundlage, nämlich gemäß § 7 HWG
ausgesprochen werden können. Damit wären die konkreten Werbemaßnahmen
so oder so verboten gewesen, Schadensersatzansprüche wegen der
Untersagung schieden also aus. Die Fragen des BGH zum Heilmittelwerbegesetz (HWG) hat der EuGH am Donnerstag (Urteil vom 27.02.2025 – C-517/23) beantwortet – nicht unbedingt im Sinne von DocMorris.
Arzneimittelpreisrecht als Ausgangspunkt
Lange
Zeit stand allein die Unionsrechtskonformität des deutschen
Arzneimittelpreisrechts im Fokus gerichtlicher Auseinandersetzungen.
Dieses statuiert in § 78 AMG
das Gebot einheitlicher Apothekenverkaufspreise für viele
verschreibungspflichtige (Rx-)Arzneimittel. Es untersagte damit
ursprünglich auch ausländischen Versandapotheken jede Vorteilsgewährung
anlässlich der Abgabe solcher Arzneimittel.
Verboten waren
Preisnachlässe, Gutscheinversprechen oder andere wirtschaftliche
Vergünstigungen für den Käufer. Im Fall Deutsche Parkinson Vereinigung
sah der EuGH darin jedoch einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV),
weil ausländische Versender besonders auf den Preiswettbewerb
angewiesen seien. Eine mögliche Rechtfertigung aus Gründen des
Gesundheitsschutzes lehnte der EuGH ab, weil
Deutschland die Erforderlichkeit eines einheitlichen
Apothekenabgabepreises im Verfahren nicht nachgewiesen habe. Im Ergebnis
galt das deutsche Arzneimittelpreisrecht wegen des Anwendungsvorrangs
des Unionsrechts bei grenzüberschreitenden Lieferungen nicht und nur
deutsche Apotheken mussten und müssen dieses beachten.
Vorgaben des Heilmittelwerberechts
Vor diesem Hintergrund legte der BGH dem EuGH Fragen zur Unionsrechtskonformität von § 7 HWG
zur Vorabentscheidung vor. Denn im Gegensatz zum
Arzneimittelpreisreicht ist das Heilmittelwerberecht durch die
Richtlinie 2001/83/EG vollständig harmonisiert (EuGH Urteil vom 08.11.2007 - C-374/05).
In seiner Entscheidung differenziert der EuGH
zwischen nicht verschreibungspflichtigen (OTC-)Arzneimitteln und
Rx-Arzneimitteln: Sofern Rx-Boni zugleich den Bezug von
OTC-Arzneimitteln fördern können, verbiete bereits die Richtlinie
2001/83/EG selbst die betreffende Vorteilsgewährung. Davon sei z.B. dann
auszugehen, wenn Gutscheine anlässlich der Rezepteinlösung ausgegeben
werden, die auch bei nachfolgenden OTC-Arzneimittelbestellungen
eingelöst werden können. Die Einlösbarkeit auch bei anderen Waren aus
dem Sortiment sei insoweit irrelevant. Zudem dürfe ein Mitgliedstaat
Rx-Boni, selbst wenn diese nicht zugleich den Bezug von
OTC-Arzneimitteln förderten, aus Verbraucherschutzgründen untersagen,
wenn deren genaue Höhe für den Kunden im Vorhinein nicht ersichtlich
sei. Damit steht nunmehr fest, dass die Verbote des § 7 HWG – soweit sie nicht auf das Arzneimittelpreisrecht Bezug nehmen – nicht mit dem Unionsrecht kollidieren.
Mehr noch: Die Vorgaben der Richtlinie 2001/83/EG gehen im OTC-Bereich, etwa bei Gesamtrabatten, sogar über § 7 HWG
hinaus. Dies zwingt den deutschen Gesetzgeber zu Verschärfungen des
Heilmittelwerberechts und schränkt die Werbemöglichkeiten im
OTC-Geschäft für in- und ausländische Apotheken erheblich ein. Im
konkreten Fall dürfte der BGH insoweit
Schadensersatzansprüche von DocMorris hinsichtlich der
heilmittelwerberechtlich zurecht untersagten Gutscheingewährungen von
vornherein zurückweisen.
Kein Verbot "reiner" Rx-Boni durch die Richtlinie 2001/83/EG
Bezüglich reiner Rx-Bonifikationen hatte der BGH
seine aktuelle Vorlagefrage darauf beschränkt, ob die Richtlinie
2001/83/EG die sortimentsweite Rx-Bonuswerbung von Apotheken per se
verbiete. Dies verneinte der EuGH: Nicht jede Rabattaktion für
Rx-Arzneimittel falle unter den Werbebegriff und somit das absolute
Rx-Publikumswerbeverbot der Arzneimittelrichtlinie. Eine sortimentsweite
Rabattaktion fördere die Arzneimittelabgabe nur dann, wenn sie direkt
oder indirekt auch OTC-Arzneimittel betreffe. Daran fehle es, wenn beim
Einlösen von Rezepten direkt Preisnachlässe oder Boni in Höhe eines
vorher genauen bestimmten Betrags gewährt würden. Denn solche
"Rabatt"-Aktionen bezögen sich nur auf die Entscheidung für die Apotheke
und förderten nicht den Absatz der betreffenden Arzneimittel.
Schließlich habe der Arzt die Verordnung bereits erstellt und ihre
Notwendigkeit geprüft. Dies müsse er nach dem Berufsrecht unabhängig von
Bonusversprechen gegenüber den Patienten tun. Wenn ein Kunde das Rezept
erhält, bleibe ihm im Hinblick auf das Rx-Arzneimittel deshalb nur noch
die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es bezieht.
Diese hinsichtlich des Werbecharakters von sortimentsweiter Wertreklame zwischen Rx- und OTC-Arzneimitteln differenzierende Entscheidung des EuGH war erwartbar. Sie bewegt sich auf einer Linie mit mehreren vorausgegangenen Judikaten des EuGH (insbesondere dem Urteil vom 15.07.2021 – C-190/20
– DocMorris). Die auf den ersten Blick einleuchtende Differenzierung
ist aber fragwürdig: Bei OTC-Arzneimitteln verbietet die
Arzneimittelrichtlinie sehr weitgehend auch sortimentsweite Wertreklame
für unbestimmte Arzneimittel durch Apotheken, weil der leicht
beeinflussbare Patient die Auswahlentscheidung trifft. Bei den
gefährlicheren und allein deshalb verschreibungspflichtigen
Rx-Arzneimitteln gilt dies jedoch nicht, weil der Arzt bei der
vorausgehenden Verordnung für ausreichende Kontrolle sorge.
Diese Wertung harmoniert nicht mit der Existenz des generellen Werbeverbots für Rx-Arzneimittel außerhalb der Fachkreise gemäß Art. 88 der Richtlinie 2001/83/EG. Denn nach der Logik des EuGH
bedürfte es dieses Verbots eigentlich gar nicht, weil der Arzt immer
(allein) nach medizinischen Standards prüfen muss. Ebenso wenig passt
zur Differenzierung das weitere optionale Werbeverbot der Richtlinie für
in den sozialen Sicherungssystemen erstattungsfähige Arzneimittel. Auch
die Erstattung setzt nämlich eine ärztliche Verordnung voraus. Es
drängt sich die Frage auf, ob die betreffenden Verbote nicht auch
Wunschverordnungen entgegenwirken sollen und ob ein "Geldverdienen auf
Rezept", das angesichts der Bezahlung der Arzneimittel durch
Krankenversicherungen möglich ist, nicht ebenfalls zu verhindern ist.
Obwohl diese Fragen im Verfahren umfangreich erörtert wurden, spricht
sie der EuGH leider nicht an. Dem EuGH
ist allerdings zuzugeben, dass damit schwierige Folgefragen zur
sachgerechten Einschränkung des generellen Rx-Publikumswerbeverbots der
Arzneimittelrichtlinie und zu dessen Verhältnis zum
Arzneimittelpreisrecht, das allein Sache der Mitgliedstaaten ist,
vermieden werden.
Unklare Zulässigkeit von Rx-Boni nach neuem Arzneimittelpreisrecht
Der EuGH
hat sich darauf beschränkt festzustellen, dass die Richtlinie
2001/83/EG die Frage sortimentsweiter Rx-Bonuswerbung gar nicht regelt.
Mitgliedstaaten dürften reine Rx-Boni daher erlauben. Dazu, ob
Mitgliedstaaten solche Boni zumindest im grenzüberschreitenden Handel
zulassen müssen, weil die Warenverkehrsfreiheit dies gebietet,
sagt der Gerichtshof im aktuellen Urteil nichts. Anders als bei der
Frage unbestimmter bzw. in der Höhe unklarer Rabatte verzichtete der
Gerichtshof auch auf die Erteilung von "Segelanweisungen", obwohl der Generalanwalt sich in dieser Frage zuvor klar positioniert hatte.
Mit diesem Verzicht orientiert sich der EuGH strikt an den auf das Heilmittelwerberecht begrenzten Vorlagefragen des BGH. Nicht Gegenstand des aktuellen Urteils des EuGH war insoweit die Rx-Preisbindung für Versandapotheken im EU-Ausland selbst. Dass der BGH diese nicht in seine Vorlagefragen einbezogen hatte, überrascht. Immerhin hatte er zuvor die "Beweislastentscheidung" des EuGH
in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung mehrmals ungewöhnlich
deutlich kritisiert und die Beachtung des Wertungsspielraums der
Mitgliedstaaten bei der Gewährleistung des Niveaus des
Gesundheitsschutzes durch den EuGH
eingefordert. Die Möglichkeiten und Grenzen einer Einschränkung des
Preiswettbewerbs durch ausländische Versandapotheken durch
mitgliedstaatliche Regelungen zum Arzneimittelpreisrecht sind daher nach
wie vor ungeklärt.
Sie dürfte den BGH
bereits im konkreten Rechtsstreit in Bezug auf diejenigen Werbeaktionen
von DocMorris beschäftigen, die nicht bereits – unabhängig vom
Arzneimittelpreisrecht – nach § 7 HWG
verboten waren und sind, weil sie den Verkauf von (unbestimmten)
OTC-Arzneimitteln förderten oder nicht hinreichend transparent waren.
Denn inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber das Arzneimittelpreisrecht
geändert und das strikte Gebot eines einheitlichen
Rx-Apothekenabgabepreises auf die Gesetzliche Krankenversicherung
begrenzt (§ 129 Abs. 3 S. 3 SGB V). Dieses Verbot soll auch im grenzüberschreitenden Handel gelten.
Ob Rx-Boni zumindest im GKV-Bereich deshalb auch für ausländische Versender generell verboten waren und sind, wird den BGH noch aus anderem Anlass bald beschäftigen: Das OLG München (Urteil vom 07.03.2024 – 6 U 1509/14)
hat die Unionsrechtskonformität des alten und neuen deutschen
Arzneimittelpreisrechts in einer sehr umfangreich begründeten
Entscheidung jüngst bejaht. Anders als noch zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung
in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung lägen inzwischen
ausreichende Beweise für die Erforderlichkeit des einheitlichen
Apothekenverkaufspreises vor. Über die Revision wird im Mai vor dem BGH verhandelt werden. Eine neue Vorlage an den EuGH durch den BGH zeichnet sich damit ab. Bei reinen Rx-Apothekenboni dürfte also gelten: Nach dem EuGH ist vor dem EuGH! (zu EuGH, Urteil vom 27.02.2025 - C-517/23).
Prof.
Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale) ist Lehrbeauftragter für Bürgerliches
Recht, Rechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht an der
Philipps-Universität Marburg.