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Apothekenboni: Nach dem EuGH ist vor dem EuGH

Prof. Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale)
Die Doc­Mor­ris-Ent­schei­dung des EuGH vom vo­ri­gen Don­ners­tag wird den Streit über die Mög­lich­kei­ten und Gren­zen der Wert­re­kla­me aus­län­di­scher Ver­san­d­apo­the­ken nach An­sicht von Elmar Mand nicht be­en­den. Schon im Mai könn­te der BGH in einem an­de­ren Fall er­neut vor­le­gen.

Seit 2012 waren der niederländischen Versandapotheke DocMorris verschiedene Werbeaktionen wegen Verstößen gegen den in Deutschland einheitlichen Apothekenabgabepreis von preisgebundenen Arzneimitteln untersagt worden. Da die meisten dieser einstweiligen Verfügungen mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH später wieder aufgehoben wurden, verlangte DocMorris von ihrer Kontrahentin, der Apothekerkammer Nordrhein, Schadensersatz in Höhe von etwa 18,5 Millionen Euro wegen vorgeblich unionsrechtswidriger Behinderung ihrer Geschäftstätigkeit (§ 945 ZPO).

Das OLG Düsseldorf bejahte einen solchen Anspruch dem Grunde nach. Der BGH hatte Zweifel: Einzelne Untersagungsverfügungen hätten nämlich auch auf anderer Grundlage, nämlich gemäß § 7 HWG ausgesprochen werden können. Damit wären die konkreten Werbemaßnahmen so oder so verboten gewesen, Schadensersatzansprüche wegen der Untersagung schieden also aus. Die Fragen des BGH zum Heilmittelwerbegesetz (HWG) hat der EuGH am Donnerstag (Urteil vom 27.02.2025 – C-517/23) beantwortet – nicht unbedingt im Sinne von DocMorris.

Arzneimittelpreisrecht als Ausgangspunkt

Lange Zeit stand allein die Unionsrechtskonformität des deutschen Arzneimittelpreisrechts im Fokus gerichtlicher Auseinandersetzungen. Dieses statuiert in § 78 AMG das Gebot einheitlicher Apothekenverkaufspreise für viele verschreibungspflichtige (Rx-)Arzneimittel. Es untersagte damit ursprünglich auch ausländischen Versandapotheken jede Vorteilsgewährung anlässlich der Abgabe solcher Arzneimittel.

Verboten waren Preisnachlässe, Gutscheinversprechen oder andere wirtschaftliche Vergünstigungen für den Käufer. Im Fall Deutsche Parkinson Vereinigung sah der EuGH darin jedoch einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV), weil ausländische Versender besonders auf den Preiswettbewerb angewiesen seien. Eine mögliche Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes lehnte der EuGH ab, weil Deutschland die Erforderlichkeit eines einheitlichen Apothekenabgabepreises im Verfahren nicht nachgewiesen habe. Im Ergebnis galt das deutsche Arzneimittelpreisrecht wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bei grenzüberschreitenden Lieferungen nicht und nur deutsche Apotheken mussten und müssen dieses beachten.

Vorgaben des Heilmittelwerberechts

Vor diesem Hintergrund legte der BGH dem EuGH Fragen zur Unionsrechtskonformität von § 7 HWG zur Vorabentscheidung vor. Denn im Gegensatz zum Arzneimittelpreisreicht ist das Heilmittelwerberecht durch die Richtlinie 2001/83/EG vollständig harmonisiert (EuGH Urteil vom 08.11.2007 - C-374/05).

In seiner Entscheidung differenziert der EuGH zwischen nicht verschreibungspflichtigen (OTC-)Arzneimitteln und Rx-Arzneimitteln: Sofern Rx-Boni zugleich den Bezug von OTC-Arzneimitteln fördern können, verbiete bereits die Richtlinie 2001/83/EG selbst die betreffende Vorteilsgewährung. Davon sei z.B. dann auszugehen, wenn Gutscheine anlässlich der Rezepteinlösung ausgegeben werden, die auch bei nachfolgenden OTC-Arzneimittelbestellungen eingelöst werden können. Die Einlösbarkeit auch bei anderen Waren aus dem Sortiment sei insoweit irrelevant. Zudem dürfe ein Mitgliedstaat Rx-Boni, selbst wenn diese nicht zugleich den Bezug von OTC-Arzneimitteln förderten, aus Verbraucherschutzgründen untersagen, wenn deren genaue Höhe für den Kunden im Vorhinein nicht ersichtlich sei. Damit steht nunmehr fest, dass die Verbote des § 7 HWG – soweit sie nicht auf das Arzneimittelpreisrecht Bezug nehmen – nicht mit dem Unionsrecht kollidieren.

Mehr noch: Die Vorgaben der Richtlinie 2001/83/EG gehen im OTC-Bereich, etwa bei Gesamtrabatten, sogar über § 7 HWG hinaus. Dies zwingt den deutschen Gesetzgeber zu Verschärfungen des Heilmittelwerberechts und schränkt die Werbemöglichkeiten im OTC-Geschäft für in- und ausländische Apotheken erheblich ein. Im konkreten Fall dürfte der BGH insoweit Schadensersatzansprüche von DocMorris hinsichtlich der heilmittelwerberechtlich zurecht untersagten Gutscheingewährungen von vornherein zurückweisen.

Kein Verbot "reiner" Rx-Boni durch die Richtlinie 2001/83/EG

Bezüglich reiner Rx-Bonifikationen hatte der BGH seine aktuelle Vorlagefrage darauf beschränkt, ob die Richtlinie 2001/83/EG die sortimentsweite Rx-Bonuswerbung von Apotheken per se verbiete. Dies verneinte der EuGH:  Nicht jede Rabattaktion für Rx-Arzneimittel falle unter den Werbebegriff und somit das absolute Rx-Publikumswerbeverbot der Arzneimittelrichtlinie. Eine sortimentsweite Rabattaktion fördere die Arzneimittelabgabe nur dann, wenn sie direkt oder indirekt auch OTC-Arzneimittel betreffe. Daran fehle es, wenn beim Einlösen von Rezepten direkt Preisnachlässe oder Boni in Höhe eines vorher genauen bestimmten Betrags gewährt würden. Denn solche "Rabatt"-Aktionen bezögen sich nur auf die Entscheidung für die Apotheke und förderten nicht den Absatz der betreffenden Arzneimittel. Schließlich habe der Arzt die Verordnung bereits erstellt und ihre Notwendigkeit geprüft. Dies müsse er nach dem Berufsrecht unabhängig von Bonusversprechen gegenüber den Patienten tun. Wenn ein Kunde das Rezept erhält, bleibe ihm im Hinblick auf das Rx-Arzneimittel deshalb nur noch die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es bezieht.

Diese hinsichtlich des Werbecharakters von sortimentsweiter Wertreklame zwischen Rx- und OTC-Arzneimitteln differenzierende Entscheidung des EuGH war erwartbar. Sie bewegt sich auf einer Linie mit mehreren vorausgegangenen Judikaten des EuGH (insbesondere dem Urteil vom 15.07.2021 – C-190/20 – DocMorris). Die auf den ersten Blick einleuchtende Differenzierung ist aber fragwürdig: Bei OTC-Arzneimitteln verbietet die Arzneimittelrichtlinie sehr weitgehend auch sortimentsweite Wertreklame für unbestimmte Arzneimittel durch Apotheken, weil der leicht beeinflussbare Patient die Auswahlentscheidung trifft.  Bei den gefährlicheren und allein deshalb verschreibungspflichtigen Rx-Arzneimitteln gilt dies jedoch nicht, weil der Arzt bei der vorausgehenden Verordnung für ausreichende Kontrolle sorge.

Diese Wertung harmoniert nicht mit der Existenz des generellen Werbeverbots für Rx-Arzneimittel außerhalb der Fachkreise gemäß Art. 88 der Richtlinie 2001/83/EG. Denn nach der Logik des EuGH bedürfte es dieses Verbots eigentlich gar nicht, weil der Arzt immer (allein) nach medizinischen Standards prüfen muss. Ebenso wenig passt zur Differenzierung das weitere optionale Werbeverbot der Richtlinie für in den sozialen Sicherungssystemen erstattungsfähige Arzneimittel. Auch die Erstattung setzt nämlich eine ärztliche Verordnung voraus. Es drängt sich die Frage auf, ob die betreffenden Verbote nicht auch Wunschverordnungen entgegenwirken sollen und ob ein "Geldverdienen auf Rezept", das angesichts der Bezahlung der Arzneimittel durch Krankenversicherungen möglich ist, nicht ebenfalls zu verhindern ist. Obwohl diese Fragen im Verfahren umfangreich erörtert wurden, spricht sie der EuGH leider nicht an. Dem EuGH ist allerdings zuzugeben, dass damit schwierige Folgefragen zur sachgerechten Einschränkung des generellen Rx-Publikumswerbeverbots der Arzneimittelrichtlinie und zu dessen Verhältnis zum Arzneimittelpreisrecht, das allein Sache der Mitgliedstaaten ist, vermieden werden.

Unklare Zulässigkeit von Rx-Boni nach neuem Arzneimittelpreisrecht

Der EuGH hat sich darauf beschränkt festzustellen, dass die Richtlinie 2001/83/EG die Frage sortimentsweiter Rx-Bonuswerbung gar nicht regelt. Mitgliedstaaten dürften reine Rx-Boni daher erlauben. Dazu, ob Mitgliedstaaten solche Boni zumindest im grenzüberschreitenden Handel zulassen müssen, weil die Warenverkehrsfreiheit dies gebietet, sagt der Gerichtshof im aktuellen Urteil nichts. Anders als bei der Frage unbestimmter bzw. in der Höhe unklarer Rabatte verzichtete der Gerichtshof auch auf die Erteilung von "Segelanweisungen", obwohl der Generalanwalt sich in dieser Frage zuvor klar positioniert hatte.

Mit diesem Verzicht orientiert sich der EuGH strikt an den auf das Heilmittelwerberecht begrenzten Vorlagefragen des BGH. Nicht Gegenstand des aktuellen Urteils des EuGH war insoweit die Rx-Preisbindung für Versandapotheken im EU-Ausland selbst. Dass der BGH diese nicht in seine Vorlagefragen einbezogen hatte, überrascht. Immerhin hatte er zuvor die "Beweislastentscheidung" des EuGH in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung mehrmals ungewöhnlich deutlich kritisiert und die Beachtung des Wertungsspielraums der Mitgliedstaaten bei der Gewährleistung des Niveaus des Gesundheitsschutzes durch den EuGH eingefordert. Die Möglichkeiten und Grenzen einer Einschränkung des Preiswettbewerbs durch ausländische Versandapotheken durch mitgliedstaatliche Regelungen zum Arzneimittelpreisrecht sind daher nach wie vor ungeklärt.

Sie dürfte den BGH bereits im konkreten Rechtsstreit in Bezug auf diejenigen Werbeaktionen von DocMorris beschäftigen, die nicht bereits – unabhängig vom Arzneimittelpreisrecht – nach § 7 HWG verboten waren und sind, weil sie den Verkauf von (unbestimmten) OTC-Arzneimitteln förderten oder nicht hinreichend transparent waren.  Denn inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber das Arzneimittelpreisrecht geändert und das strikte Gebot eines einheitlichen Rx-Apothekenabgabepreises auf die Gesetzliche Krankenversicherung begrenzt (§ 129 Abs. 3 S. 3 SGB V). Dieses Verbot soll auch im grenzüberschreitenden Handel gelten.

Ob Rx-Boni zumindest im GKV-Bereich deshalb auch für ausländische Versender generell verboten waren und sind, wird den BGH noch aus anderem Anlass bald beschäftigen: Das OLG München (Urteil vom 07.03.2024 – 6 U 1509/14) hat die Unionsrechtskonformität des alten und neuen deutschen Arzneimittelpreisrechts in einer sehr umfangreich begründeten Entscheidung jüngst bejaht. Anders als noch zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung lägen inzwischen ausreichende Beweise für die Erforderlichkeit des einheitlichen Apothekenverkaufspreises vor. Über die Revision wird im Mai vor dem BGH verhandelt werden. Eine neue Vorlage an den EuGH durch den BGH zeichnet sich damit ab. Bei reinen Rx-Apothekenboni dürfte also gelten: Nach dem EuGH ist vor dem EuGH! (zu EuGH, Urteil vom 27.02.2025 - C-517/23).

Prof. Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale) ist Lehrbeauftragter für Bürgerliches Recht, Rechtsvergleichung und Europäisches Privatrecht an der Philipps-Universität Marburg.

 

 

Aus der Datenbank beck-online

Mand, Verschärfungen bei der Wertreklame für Arzneimittel, A&R 2023, 176 (Besprechung von EuGH vom 15.07.2021 – C-190/20 – DocMorris)

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