Die am 10. Januar 2025 im Amtsblatt der EU veröffentlichte Digitalisierungsrichtlinie II (2025/25) ist ein wichtiges Update des Europäischen Gesellschaftsrechts: Sie erleichtert Unternehmen die grenzüberschreitende Tätigkeit, indem sie an vielen Stellen entbürokratisiert, vernetzt und vereinheitlicht. Das alles senkt Transaktionskosten, beschleunigt gesellschaftsrechtliche Verfahren im Binnenmarkt und verhindert illegale Aktivitäten wie Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder Sanktionsumgehung.
Öffentliche Präventivkontrolle – europaweit!
Informationen über deutsche Unternehmen lassen sich dem Handelsregister entnehmen. Notarinnen und Notare sowie Registergerichte kontrollieren die Daten und bieten im Rahmen dieser öffentlichen Präventivkontrolle die Gewähr dafür, dass sie verlässlich sind. Will man auch Dokumente aus anderen Mitgliedstaaten im Inland problemlos verwenden, muss man Mindeststandards für diese Kontrollen einführen. Die Akzeptanz von Registerauszügen und Dokumenten braucht schließlich gegenseitiges Vertrauen. Hier setzt die Digitalisierungsrichtlinie II an, welche die öffentliche Präventivkontrolle gleich in vier Dimensionen stärkt.
Die erste Dimension betrifft den institutionellen Rahmen. Erstmals werden Notarinnen und Notare neben Gerichten und Behörden ausdrücklich als zuständige Stellen der öffentlichen Präventivkontrolle genannt und in den entsprechenden Erwägungsgründen als Akteurinnen und Akteure der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung anerkannt.
Die zweite Dimension zielt auf den sachlichen Umfang ab. Über den bisherigen Prüfkatalog hinaus sind nunmehr zwingend Gründungsakt, Satzungsänderungen und Einlagenleistungen zu prüfen. Dabei geht es nicht nur, wie noch im Kommissionstext vorgesehen, um eine Evidenzkontrolle, sondern um eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle.
Die dritte Dimension betrifft den persönlichen Umfang. Während bisher nur Kapitalgesellschaften vom Anwendungsbereich der Gesellschaftsrechtsrichtlinie erfasst waren, bezieht die Digitalisierungsrichtlinie II nun erstmals auch Personenhandelsgesellschaften in den Anwendungsbereich ein. Zukünftig unterliegen somit auch diese der öffentlichen Präventivkontrolle. Die Richtlinie enthält allerdings eine Öffnungsklausel zugunsten des nationalen Rechts, wonach bei Personenhandelsgesellschaften nur diejenigen Gründungsdokumente kontrolliert werden sollen, die nach nationalem Recht beim Handelsregister einzureichen sind. Da in Deutschland OHG- und KG-Gesellschaftsverträge nicht schriftlich abgeschlossen und nicht beim Handelsregister eingereicht werden müssen, ist die Kontrolle insofern eingeschränkt. Perspektivisch will die Kommission prüfen, ob sich diese Öffnungsklausel bewährt oder die Ziele der öffentlichen Präventivkontrolle, insbesondere die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, gefährdet werden.
Die vierte Dimension betrifft schließlich den situativen Umfang. Die Digitalisierungsrichtlinie I (2019/1151) hat die Präventivkontrolle mit Blick auf Online-Verfahren harmonisiert. Die Digitalisierungsrichtlinie II überträgt diese Regelungen nunmehr auch auf analoge Präsenzverfahren der Registrierung. Somit lässt sich nunmehr von einer im Grundsatz umfassenden, mindestharmonisierten Präventivkontrolle des europäischen Gesellschaftsrechts sprechen.
Nationale Dokumente nur einmal vorzeigen
Durch die Harmonisierung der Präventivkontrolle von Unternehmensdaten lassen sich künftig Registerinformationen und Urkunden aus anderen Mitgliedstaaten einfacher verwenden. Entscheidend hierfür ist zunächst, die Register der Mitgliedstaaten zu verbinden, um so die darin enthaltenen Informationen unionsweit zugänglich zu machen. Zwar wurden bereits Systeme zur Vernetzung der nationalen Handels-, Transparenz- und Insolvenzregister geschaffen. Die Digitalisierungsrichtlinie II geht nun aber noch einen Schritt weiter: Alle Register mit unternehmensbezogenen Informationen sollen an einem Ort abrufbar sein. Die Details hierzu werden in einem Durchführungsrechtsakt geregelt.
Flankiert wird die Registervernetzung durch das sogenannte Once-Only-Prinzip. Danach muss, wer in einem anderen Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung gründet, keine Unterlagen mehr vorlegen, die bereits im Register des Heimatstaates vorhanden sind. Stattdessen kann die jeweilige Stelle die Information unmittelbar über das System der Registervernetzung, die ebenfalls neue EU-Gesellschaftsbescheinigung (dazu sogleich mehr) oder durch unmittelbaren Zugriff auf das ausländische Register abrufen.
Echtheitsprüfung schneller und einfacher, Übersetzung nur, wenn unbedingt nötig
Außerdem wird der für ausländische Dokumente notwendige Echtheitsnachweis vereinfacht. Dokumente aus einem anderen Mitgliedstaat sollen nicht erst nach der Legalisation oder dem Anbringen einer Apostille verwendet werden können. Stattdessen bedarf es lediglich eines vereinfachten Echtheitsnachweises: Bei elektronischen Dokumenten ist das eine Authentifizierung nach der eIDAS-Verordnung; bei papiergestützten Dokumenten braucht es das Ausstellungsdatum, ein Siegel oder Stempel und eine Protokoll- oder Kennnummer, die die elektronische Überprüfung ermöglicht.
Schließlich beschränkt die Richtlinie auch das Übersetzungserfordernis für Unternehmensinformationen auf ein Mindestmaß: Ergibt sich der Bedeutungsgehalt aus einem standardisierten Nachrichtenformat, wie das etwa bei Registerinformationen der Fall ist, die über das System der Registervernetzung abrufbar sind, dürfen Behörden im Normalfall keine Übersetzung mehr verlangen.
Im Ergebnis sollen somit Registerinformationen und Urkunden aus einem anderen Mitgliedstaat möglichst wie inländische Urkunden behandelt werden können. Über die maßgeblichen Beweiswirkungen der vorgelegten Dokumente oder gar eine inhaltliche Bindung ist damit freilich nichts gesagt. Hier gilt weiterhin nationales Verfahrensrecht. Dass die Richtlinie keinen "allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung" festschreibt, wurde in Erwägungsgrund 26 ausdrücklich klargestellt.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung und die digitale EU-Vollmacht – Nachweisdokumente made in Brussels!
Die Digitalisierungsrichtlinie II belässt es aber nicht dabei, die Verwendung von nationalen Dokumenten in anderen Mitgliedstaaten zu vereinfachen. Vielmehr schafft sie auch zwei unionale Nachweisdokumente: die EU-Gesellschaftsbescheinigung und die digitale EU-Vollmacht.
Die EU-Gesellschaftsbescheinigung wird vom Register des Mitgliedstaates ausgestellt, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Sie enthält die wichtigsten Informationen über ein Unternehmen und ist in allen anderen Mitgliedstaaten als "ausreichender Nachweis" (sufficient evidence) zu akzeptieren. Im Regelfall sollen für die darin enthaltenen Informationen keine weiteren Nachweise verlangt werden. Es wird also – so lässt sich in den Kategorien der deutschen Dogmatik sagen – eine Vermutung der Richtigkeit etabliert. Diese Vermutung ist aber widerleglich, weil nicht – wie noch im Kommissionsentwurf – von einem "schlüssigen Nachweis" (conclusive evidence) die Rede ist. Das ist nur konsequent, denn die EU-Gesellschaftsbescheinigung kann auch Informationen wiedergeben, die auf alten Registerdaten beruhen – also solchen, die noch nicht von der mindestharmonisierten öffentlichen Präventivkontrolle erfasst sind.
Neben der EU-Gesellschaftsbescheinigung sieht die Digitalisierungsrichtlinie II die digitale EU-Vollmacht als neuen Informationsträger vor. Hierbei handelt es sich um einen Nachweis der Vertretungsmacht, der in allen grenzüberschreitenden, gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten gelten soll. Die Vollmacht sollen Vertreterinnen und Vertreter einfach über das EU Digital Identity Wallet vorzeigen können. Sie ist dann zwar als "Nachweis" zu akzeptieren, aber nicht als "ausreichender Nachweis". Die Richtlinie konkretisiert somit hier – anders als bei der EU-Gesellschaftsbescheinigung – lediglich den unionsrechtlichen Nichtdiskriminierungsgrundsatz: Die digitale EU-Vollmacht ist in nationalen Verfahren also als Nachweisdokument zu akzeptieren, ohne dass die in ihr enthaltenen Informationen inhaltlich die Entscheidung determinieren. Auch etwaige Formerfordernisse ergeben sich weiterhin aus dem nationalen Recht.
Die Digitalisierungsrichtlinie II als Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarkts
Die Digitalisierungsrichtlinie II schafft somit ein fein abgestimmtes System aus öffentlicher Präventivkontrolle, grenzüberschreitender Akzeptanz von Unternehmensdaten und nationalem Verfahrensrecht. Dadurch leistet sie einen entscheidenden Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarkts und dem erklärten Ziel der neuen Kommission, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken. Wenn es gelingt, dieses System stimmig ins nationale Recht umzusetzen und in den notwendigen Durchführungsrechtsakten zu konkretisieren, wird die Richtlinie die grenzüberschreitende Tätigkeit von Unternehmen spürbar erleichtern.
Der Autor Dr. Philip Maximilian Bender, LL.M. (Yale), Maîte en droit (Paris II), ist Referent in der Geschäftsführung der Bundesnotarkammer in Brüssel und bayerischer Notarassessor. Der Autor Dr. Maximilian Wosgien, LL.M. (University of Virginia), ist Notar in Mannheim und war zuvor Geschäftsführer des Brüsseler Büros der Bundesnotarkammer. Beide publizieren regelmäßig insbesondere zu notarrechtlichen Themen und zum Europäischen Gesellschaftsrecht.