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Europäische Normen müssen für EU-Bürger frei zugänglich sein

EuGH
Har­mo­ni­sier­te tech­ni­sche Nor­men müs­sen als Teil des EU-Rechts frei zu­gäng­lich sein. Dies hat der EuGH in Bezug auf Nor­men über die Si­cher­heit von Spiel­zeug ent­schie­den. Es be­stehe ein über­wie­gen­des öf­fent­li­ches In­ter­es­se an ihrer Ver­brei­tung. Kri­ti­ker sehen das Nor­mungs­sys­tem in Ge­fahr.

Zwei gemeinnützige Organisationen, Public.Resource.Org und Right to Know, die sich dafür einsetzen, Rechtsvorschriften für alle Bürgerinnen und Bürger frei zugänglich zu machen, beantragten bei der EU-Kommission Zugang zu harmonisierten technischen Normen über die Sicherheit von Spielzeugwaren. Sie beriefen sich auf das "James Elliott"-Urteil, in dem der EuGH harmonisierte Normen als Teil des Unionsrechts einstufte, und folgerten daraus, der Zugang zu ihnen müsse daher ohne Einschränkung frei und unentgeltlich sein. Die Kommission sah das anders und verweigerte den Zugang zu den Normen. Auch die Klage der Organisationen beim EuG scheiterte. Dieses beurteilte das öffentliche Interesse an einem funktionierenden europäischen Normungssystem als vorrangig gegenüber einem freien und unentgeltlichen Zugang zu den harmonisierten Normen.

Auf das Rechtsmittel der Organisationen hat der EuGH die EuG-Entscheidung gekippt und den Kommissionsbeschluss für nichtig erklärt. Die Organisationen haben danach aus der Transparenzverordnung 1049/2001/EG Anspruch auf Zugang zu den Normen über die Sicherheit von Spielzeug. Zwar könne der Zugang verweigert werden, wenn die Verbreitung den "Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums" beeinträchtigen würde. Diese Ausnahme greife aber nicht, wenn ein "überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung" besteht.

Überwiegendes öffentliches Interesse an Verbreitung der Normen

Ein solches überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der verhandelten Normen hat der EuGH bejaht ((Urteil vom 05.03.2024 – C-588/21 P). Die von den Organisationen angeforderten harmonisierten Normen seien Teil des Unionsrechts. "Eine Unionsvorschrift kann nämlich solchen Normen Rechtswirkungen verleihen, insbesondere wenn für Erzeugnisse, die diese Normen beachten, die Vermutung besteht, dass sie die Standards einhalten, die in diesen Vorschriften festgelegt werden und von denen die Vermarktung in der Union abhängt."

Eine harmonisierte Norm könne somit näher bestimmen, welche Rechte und Pflichten die Einzelnen haben. Ihre Kenntnis könne daher für den Einzelnen notwendig sein, um prüfen zu können, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich die Anforderungen einer solchen Vorschrift erfüllt. Der EuGH verweist dabei auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, "der einen freien Zugang zum Unionsrecht für alle natürlichen und juristischen Personen der Union sowie die Möglichkeit für den Einzelnen verlangt, seine Rechte und Pflichten eindeutig erkennen zu können".

Schon nach den Schlussanträgen der Generalanwältin gab es starke Kritik, weil aus dem Verkauf der Normen die Normierungsarbeit finanziert wird. Normierungsorganisationen beriefen sich auf das Urheberrecht und warnten vor Gefahren für das Normungssystem und Folgen für das Wirtschaftssystem. Thomas Klindt von der Kanzlei Noerr kritisiert nach dem Urteil, dieses "stellt das gesamte europäische System der freiwilligen technischen Normung zur Disposition – nicht nur im Hinblick auf Normen zur Sicherheit von Spielzeug" (Urt. v. 5.3.2024 C-588/21). 

 

Aus der Datenbank beck-online

Wagner, Harmonisierte Normen als Teil des Unionsrechts, EuZW 2022, 289

EuG, Kein Informationszugang zu harmonisierten Normen, ZGI 2022, 74

EuGH, Justiziabilität harmonisierter technischer Normen, NJW 2017, 311

Ziegler, Harmonisierte Normen sind Teil des Unionsrechts – Konsequenzen für die Arbeit des (gerichtlichen) Sachverständigen, DS 2017, 117

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