Kraftfahrzeughersteller dürfen den Zugriff von unabhängigen Werkstätten auf elektronische Fahrzeugdaten nicht an Bedingungen knüpfen, die das Unionsrecht selbst nicht vorsieht. Insbesondere hat es der EuGH nun verboten, den Zugang an eine Anmeldung über einen Unternehmensserver zu knüpfen.
Die FCA Italy SpA, eine Tochter von Fiat Chrysler Automobiles NV (seit 01.07.2023 Stellantis Europe SpA), verlangte sowohl von Vertragswerkstätten wie von fremden Werkstätten den Abschluss eines Abonnements, um die Daten des "On-Board-Diagnosesystems" ihrer Fahrzeuge bearbeiten zu können. Dies betraf beispielsweise die Rekalibrierung, das Aktivieren von Fahrzeugteilen und das Löschen von Fehlermeldungen. Der Zugriff erfolgte nach Anmeldung über einen Server des Herstellers. Für die Nutzung generischer Diagnosegeräte musste ein kostenpflichtiges Abonnement abgeschlossen werden.
A.T.U. Autoteile Unger und Carglass zogen vor das Landgericht Köln, um die Rechtswidrigkeit dieser Praxis feststellen zu lassen. Das LG (Az. 84 O 221/20) legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob die Auslegung des Art. 61 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit Anhang X Nr. 2.9 der Verordnung 2018/858 es erlaube, den Zugriff unabhängiger Wirtschaftsakteure auf den OBD-Port von anderen Voraussetzungen als von den in der Verordnung benannten abhängig zu machen.
Freier und leichter Zugang gefordert
Die achte Kammer des EuGH stützte sich in ihrem Urteil vom 05.10.2023 – C-296/22 vor allem auf den Wortlaut des Art. 61 Abs. 1 der Verordnung 2018/858, der die Fahrzeughersteller eindeutig dazu verpflichtet, unabhängigen Werkstätten "uneingeschränkten, standardisierten und diskriminierungsfreien Zugang" zu verschaffen. Aus Anhang X Nr. 2.9 Abs. 2 der Verordnung ergebe sich weiter, dass die Mechatroniker die Daten nicht nur lesen, sondern auch verarbeiten und verwerten dürften, solange das Fahrzeug stehe.
Weitere Bedingungen knüpfe das Unionsrecht in Anhang X Nrn. 6.2 und 6.4 der Verordnung 2018/858 nur an den Zugang zu Sicherheitsmerkmalen des Fahrzeugs oder an die Reprogrammierung der Steuereinheit. Die Luxemburger Richterinnen und Richter sehen diese Auslegung auch dem Ziel des freien Wettbewerbs geschuldet. Daher soll der Zugriff nicht nur unbeschränkt, sondern auch leicht zugänglich sein. Keiner der freien Werkstätten solle es schwerer gemacht werden als den Vertragswerkstätten, den Zugang zu den notwendigen Informationen über den Wagen zu erhalten, um ihn zu warten oder zu reparieren. Daher schloss der EuGH auch Bedingungen wie die Kommunikation über eine Internetverbindung mit einem vom Hersteller bestimmten Server oder eine vorherige Anmeldung beim Hersteller aus.
Keine Sicherheit auf Kosten der Werkstätten
Dem Einwand der Herstellerin, die Sicherheit der Daten, insbesondere der Fernzugriff auf ein fahrendes Auto schließe den bedingungsfreien Zugang aus, vermochte der EuGH nicht zu folgen. Die Sicherheit könne nicht zum Nachteil des freien Wettbewerbs gereichen - nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 2019/2144 müsse die Sicherheit schon bei der Konstruktion des Fahrzeugs bedacht werden.
Im vorigen Jahr hatte den EuGH ebenfalls auf Vorlage des LG Köln der Zugang zu Wartungs- und Reparaturinformationen bereits aus der Perspektive der Herausgeber technischer Informationen für den Handel beschäftigt. Hintergrund war dort der Streit um die Höhe der – grundsätzlich erlaubten – "angemessenen und verhältnismäßigen Gebühren" (Urt. v. 5.10.2023 - C‑296/22).
Aus der Datenbank beck-online
Macher/Schmitz/Weigand, Im Spannungsfeld zwischen Cybersecurity und Wettbewerb – (wie) darf der Fahrzeughersteller den Zugang zum OBD-Port kontrollieren? RAW 2023, 64
EuGH, Zugang zu Wartungs- und Reparaturinformationen aus Perspektive der Herausgeber technischer Informationen für den Handel, Urteil vom 27.10.2022 – C-390/21, BeckRS 2022, 28847