Ein Kraftverkehrsunternehmen kann sich seiner Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer nicht dadurch entledigen, dass es diese auf Dritte überträgt. Eine Regelung, die eine solche Übertragung zulässt, ist laut Europäischem Gerichtshof unionsrechtswidrig, da sie verhindert, dass die Zuverlässigkeit des Unternehmens in Frage gestellt werden kann und gegen das Unternehmen Sanktionen verhängt werden können.
Verkehrsunternehmen müssen "zuverlässig" sein
Das Unionsrecht sieht vor, dass Verkehrsunternehmen die Anforderung der Zuverlässigkeit erfüllen müssen. Insbesondere darf weder gegen das Unternehmen noch gegen seinen Verkehrsleiter oder eine andere vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmte "maßgebliche Person" ein Urteil wegen einer schwerwiegenden Straftat oder eine Sanktion wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen das Unionsrecht in den Bereichen der Lenk- und Ruhezeiten der Fahrerinnen und Fahrer, der Arbeitszeit sowie des Einbaus und der Nutzung der Kontrollgeräte verhängt worden sein. Solche Urteile oder Sanktionen können zur Aberkennung der Zuverlässigkeit des Unternehmens und dem Entzug der Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers führen.
Nach österreichischem Recht "verantwortliche Beauftragte" bestellt
Ein österreichisches Kraftverkehrsunternehmen bestellte im Einklang mit der nationalen Rechtslage eine "verantwortliche Beauftragte", der die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitszeit in diesem Unternehmen oblag. Diese Person war weder Verkehrsleiterin noch zur Vertretung des Unternehmens nach außen berechtigt. Zudem hatte sie keinen maßgebenden Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte des Unternehmens. Als die Verwaltung aufgrund von Verstößen gegen die Vorschriften über die täglichen Fahrzeiten und die Benutzung des Fahrtenschreibers mehrere Geldstrafen gegen die "verantwortliche Beauftragte" verhängte, legte diese Beschwerde vor einem österreichischen Gericht ein.
Übertragung der Verantwortlichkeit mit EU-Recht vereinbar?
Diesem Gericht zufolge wird mit der Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die in Rede stehenden Verstöße auf diese Person übertragen. Außerdem dürfe nach österreichischem Recht das Verhalten der auf diese Weise bestellten Person bei der Beurteilung, ob das betreffende Unternehmen die vom Unionsrecht vorgesehene Anforderung der Zuverlässigkeit erfüllt, nicht berücksichtigt werden. Das Gericht hegte Zweifel, ob vor diesem Hintergrund eine solche Bestellung mit dem Unionsrecht vereinbar sei.
EuGH: Österreichische Regelung unionsrechtswidrig
Laut EuGH ist eine beauftragte Person als vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmte "maßgebliche Person" anzusehen, sodass ihr Verhalten bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit des betreffenden Unternehmens zu berücksichtigen ist. Die österreichische Regelung verhindere aber unter Verstoß gegen das Unionsrecht, dass schwerwiegende Verstöße der beauftragten Person gegen das Unionsrecht die Zuverlässigkeit des betreffenden Unternehmens in Frage stellen und gegen das Unternehmen Sanktionen verhängt werden. Denn die gegen diese Personen verhängten Urteile wegen einer schwerwiegenden Straftat und die verhängten Sanktionen führten niemals zu einem Verfahren zur Prüfung der Zuverlässigkeit des betreffenden Unternehmens oder einer Berücksichtigung im Rahmen der behördlichen Kontrollen zur Überprüfung der dauerhaften Einhaltung der Anforderungen des Unionsrechts. Somit führe die Begehung solcher Verstöße unabhängig von ihrer Zahl und Schwere niemals zur Aberkennung der Zuverlässigkeit und folglich auch nicht zum Entzug oder zur Aussetzung der Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers.
zu EuGH, Urteil vom 11.05.2023 - C-155/22
Zum Thema im Internet
Aus der Datenbank beck-online
Fromm, Verstöße des Unternehmers gegen Lenk- und Ruhezeitenvorschriften, SVR 2015, 406