Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Resilienzstärkung als das Mittel der Wahl

Zur Eröffnung der RMA-Konferenz Rating & Krisenmanagement 2025 wurde am 30.10.2025 in München der Zusammenhang von Zufall, Ratings und Extremereignissen skizziert, um die Bedeutung von Ungewissheit in einer komplexen Welt besser abbilden zu können. Ungewissheit ist eine direkte Folge der zunehmenden Komplexität. Erfolgversprechendes Handlungsrezept ist der Aufbau von Resilienz (Widerstandsfähigkeit).
Praxis-Info!
Problemstellung
Nach der Einführung durch Prof. Dr. Wolfgang Biegert (Stellv. Vorsitzender des Vorstands, RMA Risk Management & Rating Association e.V.) befasste sich Prof. Dr. Kristian Giesen (Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwesen an der FOM Hochschule in Stuttgart) zunächst mit dem Zufall als einem zentralen Element unternehmerischer Entscheidungen. In einer komplexen Welt helfen Risikomanagement und Ratings dabei, Risiken zu strukturieren und Entscheidungsprozesse zu unterstützen. Doch gerade in einer komplexen Welt ist die Zukunft ungewisser denn je.
Lösung
Der Vortrag von Giesen zeigte, warum ein strukturiertes Verständnis von Ungewissheit essenziell ist, um in einer zunehmend komplexen Welt qualitativ hochwertige Entscheidungen zu treffen. Das Kernproblem sieht er in der Abgrenzung von objektiven und subjektiven Wahrscheinlichkeiten, z.B. im Rahmen von Ermessensentscheidungen gemäß IFRS 9 „Finanzinstrumente“. In diesem Kontext erläuterte der Referent den Zusammenhang von Komplexität (viele Elemente, unbekannte und nichtlineare Kopplungen, Dynamik) und Chaos. Er sieht das Chaos als Hüter der Zukunft. Chaos ist nicht Unordnung. Chaos bedeutet vielmehr, das eine nur kleine Veränderung in einem System zu extremen Auswirkungen führt (Beispiel: Entstehung von Corona).
In der Zukunft lauern Drachen (bekannte Risiken sehr großen Ausmaßes, Einschlag eines Asteroiden als Extrem-Beispiel) und schwarze Schwäne wie der Wirecard-Skandal etc. Zu unterscheiden ist zwischen schleichenden Krisen (typischer IDW S 6-Verlauf, erkennbar über die Krisenfrüherkennung) und abrupten Krisen. Letztere äußern sich durch Extremszenarien, die den S 6-Verlauf überspringen.
Die Risikofrüherkennung sollte auf Resilienzstärkung abstellen, um im Extremfall sog. unknown unknowns („unbekannte Unbekannte“) als unbekannte Risiken, die nicht gemanagt werden können, bewältigen zu können. Letztlich ist das Unwahrscheinliche unvermeidlich: Es wird eine Katastrophe eintreten. Im Ergebnis wird der Risikoumfang meist unterschätzt; Ratings werden oft rückblickend gemessen.
Vor diesem Hintergrund wurden folgende Schlussfolgerungen und Empfehlungen abgeleitet:
- Zentrale Aufgabenstellung ist die Entwicklung eines Risikomanagements und die Erstellung von Ratings, um nicht vom Unwahrscheinlichen überrascht zu werden.
- Im Versicherungsbereich funktioniert insoweit die Extremwerttheorie, sonst nicht.
- Diversifikation ist kein Allheilmittel, auch wenn sie oft so gesehen wird.
- Wirkliche Handlungsmöglichkeit ist der Aufbau von Resilienz: Fragilität (Zerbrechlichkeit, zu verstehen als Verwundbarkeit) identifizieren und abbauen.
- Überlebenssicherung tritt an die Stelle von reinem Profitdenken.
- Notfallpläne sichern die Handlungsfähigkeit in Extremsituationen.
- Simulationen erlauben das Erkennen von Zusammenhängen.
- Stresstesting heißt, Bewusstsein für Verwundbarkeit zu bilden und einen Raum für Unverwundbarkeit (Antifragilität) zu schaffen.
- Der Schlussappell lautete: Risiko kann man berechnen, Ungewissheit kann man begreifen.
Praxishinweise: - In einem Kurzvortrag präsentierte Dr. Klaus Bockslaff (Leiter des RMA-Arbeitskreises „Krisenmanagement“) erste Ergebnisse der Umfrage zur Reifegradanalyse des Krisenmanagements, insbesondere hinsichtlich der Norm ISO 22361. Die Studie kann unter https://www.verismo.ch/reifegradanalyse-des-krisenmanagmenets/ heruntergeladen werden. Zu den Stärken und Chancen der Norm gehören die Vergleichbarkeit und Anwendbarkeit auf Organisationen jedweder Größenordnung. Untersucht werden die Anforderungen an die Führungskräfte in der Krise. Ferner ist die Bedeutung der strategischen Entscheidungswirkung in der Krise mittels stringentem Führungsrhythmus Analysegegenstand. Die Teilnehmer nahmen zu 15 Fragen eine Selbstbewertung ihres Reifegrads im Online-Formular vor. Folge ist, dass die Ergebnisse deutlich zu positiv ausgefallen sind. Kleine Unternehmen weisen bezüglich ihrer Krisenmanagementfähigkeit einen wesentlich tieferen Reifegrad auf (unterhalb 250 Mitarbeitern), aber auch konkrete Schwachstellen. Krisenmanagementsysteme sind unvollständig dokumentiert, nicht alle Elemente eines modernen Krisenmanagements ausreichend dokumentiert. Gerade kleinere Unternehmen weisen strukturelle Lücken auf. Krisenstäbe brauchen mehr als einen Führungsrhythmus, sie müssen trainiert werden. Es fehlt an strukturierten Ausbildungsprogrammen (so die größte in der Umfrage ermittelte Schwachstelle).
- Die Norm ISO 22361 bietet Orientierung für eine mehr ganzheitliche Entwicklung. Interessenten können unter dem oben genannten Link auch weiterhin die Umfrage nutzen, um einen ersten Überblick über den Umsetzungsstand ihres Krisenmanagements zu erhalten.
- Zum Veranstalter der Konferenz, der RMA Risk Management & Rating Association e.V., siehe unter www.rma-ev.org.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 12/2025
BC20251204