CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
JuS_Logobasis_Linsenreflex
Menü

Scheinselbständigkeit: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung trotz eigener Gewerbeanmeldung

Lena Hunger

Hessisches LSG Urt. v. 20.2.2025 – L 8 BA 4/22, L 8 BA 62/22 und L 8 BA 64/21

 

Bauarbeiter, die auf Baustellen einfache Arbeiten übernehmen, hierfür einen festen Stundenlohn erhalten und am Markt nicht erkennbar unternehmerisch auftreten, sind regelmäßig als abhängig Beschäftigte einzuordnen. Das hat kürzlich das Hessische Landessozialgericht in gleich drei Fällen entschieden – und das dürfte auch in anderen Branchen Wirkung zeigen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Bekanntlich beschäftigen Bauunternehmen oft ausländische Arbeitskräfte, die teils über geringe Deutschkenntnisse verfügen – so auch in den entschiedenen Sachverhalten. Die Arbeitskräfte sollten auf den Baustellen für einen Stundenlohn von ca. 15 € u.a. einfache Arbeiten wie Trockenbau, Hausmeisterservice, Tapezieren und Streichen, Fliesenlegen, Gartenarbeiten, Wohnungsauflösungen, Reinigungsarbeiten, Möbelmontage, Badsanierung etc. erledigen. Die Bauarbeiter wurden als selbständige Werkunternehmer beschäftigt, weshalb Sozialversicherungsbeiträge seitens der Bauunternehmen nicht entrichtet wurden.

Die Bezahlung erfolgte auf der Grundlage von Stundenabrechnungen der jeweiligen Beschäftigten. Schriftliche Verträge oder Auftragsbestätigungen gab es nicht. Teilweise wurde eigenes (Klein-)Werkzeug benutzt, überwiegend wurden jedoch Werkzeuge sowie Materialien von den jeweiligen Baufirmen gestellt.

 

 

Lösung

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) stimmte mit Urteilen vom 20.2.2025 in allen drei Fällen (Az: L 8 BA 4/22, L 8 BA 62/22 und L 8 BA 64/21) den Einschätzungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zu, wonach die Bauarbeiter als abhängig beschäftigt und damit insbesondere sozialversicherungspflichtig anzusehen sind. Eine selbstständige Tätigkeit als Werkunternehmer wurde verneint.

 

 

1. Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit

Eine abhängige Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert und dabei einem Weisungsrecht in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung unterliegt. Demgegenüber gelten als Merkmale einer selbständigen Tätigkeit insbesondere ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeiteinteilung. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.

In den Urteilsfällen kam das LSG im Rahmen einer Gesamtabwägung zu dem Schluss, dass die Bauarbeiter in die betriebliche Organisation der klagenden Bauunternehmen eingegliedert waren, indem sie einfache Bauarbeiten übernahmen, wie sie typischerweise abhängig Beschäftigte verrichten. Da die Bauarbeiter verpflichtet waren, sich an Arbeitsanweisungen zu halten sowie sich in betriebliche Abläufe einzufügen, unterlagen sie somit einem Weisungsrecht der Bauunternehmen. Die Vergütung erfolgte nach festen Stundensätzen. Werkzeug und Materialien wurden im Wesentlichen gestellt.

Hinzu kam, dass die jeweiligen Bauarbeiter aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse gar nicht in der Lage gewesen seien, ihre Leistungen selbstständig am Markt anzubieten. Zudem konnte das LSG eine unternehmerische Leistung, die auf werksvertragstypischen Vereinbarungen beruhte, nicht feststellen.

 

 

2. Fazit: Vertragliche Bezeichnung nicht maßgeblich

Die Richter des Hessischen LSG verdeutlichen, dass für die sozialversicherungsrechtliche Bewertung nicht die vertragliche Bezeichnung, sondern die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit maßgeblich ist. Wer

– in die Betriebsorganisation eingebunden ist,

– einfache Arbeiten auf Weisung verrichtet und

– kein unternehmerisches Risiko trägt,

ist i.d.R. abhängig beschäftigt.

 

 

Praxishinweise:

  • Auch eine Gewerbeanmeldung oder die Tätigkeit für weitere Auftraggeber verdeutlichen lediglich den Willen, selbstständig tätig sein zu wollen. Dieser Wille hat jedoch nur indizielle (auf Anzeichen beruhende) Bedeutung, wenn die Tatsachen dem nicht offensichtlich widersprechen. In den vom LSG entschiedenen Fällen lagen hingegen zahlreiche Indizien für eine abhängige Beschäftigung vor.
  • Unternehmen sollten daher sorgfältig prüfen, ob vermeintlich Selbstständige tatsächlich selbstständig tätig sind. Andernfalls drohen erhebliche Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen.
  • Zwar ist die LSG-Entscheidung für Fälle aus der Baubranche ergangen, dürfte sich aber analog auch auf andere Branchen übertragen lassen, beispielsweise die Anbieter von Reinigungsdienstleistungen. Sogar selbständige (Bilanz-)Buchhalter können von dem Risiko der Scheinselbständigkeit erfasst sein, wenn die Tätigkeit den Anschein erweckt, unter enger Einbindung in die Organisation des Auftraggebers ohne unternehmerisches Risiko und ohne nennenswerte Freiheiten der Arbeitsgestaltung ausgeübt zu werden (vgl. z.B. Thurow, Kein Ausschluss von Sozialversicherungspflicht durch Vertragsbeziehung mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaft, BC 2023, 406 f., Heft 9).

 

     

    RAin Lena Hunger, PKF WMS Tax & Legal GmbH & Co. KG Rechtsanwälte Steuerberater, Osnabrück

     

     

    BC 11/2025

    BC20251111

     

     

    Anzeigen

    BC Newsletter

    beck-online Bilanzrecht PLUS

    wiwicareer-vahlen

    Teilen

    Menü