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Erschütterung des Anscheinsbeweises für eine private Fahrzeugnutzung

Christian Thurow

BFH Urt. v. 22.10.2024 – VIII R 12/21

 

„Die Welt urteilt nach dem Scheine“, bemerkte schon Goethe in seinem Clavigo-Trauerspiel. Auch so mancher Finanzgerichtsprozess gleicht einem Trauerspiel in mehreren Akten. Im Gegensatz zu Goethe weist der BFH in einem aktuellen Urteil allerdings darauf hin, dass das Finanzamt nicht ausschließlich dem (An)Scheine nach über eine private Fahrzeugnutzung entscheiden kann.

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Der Kläger war freiberuflich tätig. In seinem Betriebsvermögen hielt er sowohl einen BMW 740d X Drive als auch einen Lamborghini Aventador, während sich in seinem Privatvermögen ein Ferrari 360 Modena Spider und ein Jeep Commander befanden. Für die im Betriebsvermögen und – nach Aussage des Klägers – ausschließlich betrieblich genutzten Fahrzeuge führte der Kläger ein handschriftliches Fahrtenbuch.

Im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung erkannte das Finanzamt das Fahrtenbuch nicht an, da die Aufzeichnungen unlesbar und unvollständig waren. Aus Sicht von Finanzamt und Finanzgericht galt daher der Anscheinsbeweis, dass betriebliche Fahrzeuge auch privat genutzt werden. Deshalb wurden die beiden Fahrzeuge der 1%-Bruttolistenpreisregel unterworfen.

 

 

Lösung

Der BFH befindet, dass das erstinstanzliche Finanzgericht den Sachverhalt für eine abschließende Urteilsfindung nicht ausreichend aufgeklärt hat. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt. Dieser Anscheinsbeweis kann jedoch vom Steuerpflichtigen erschüttert werden. Ein Vollbeweis des Gegenteils ist dazu nicht erforderlich. Entscheidend ist, dass ein Sachverhalt dargelegt und nachgewiesen wird, aus welchem sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt. In seinem Urteil hat das erstinstanzliche Finanzgericht zwei wesentliche Punkte, welche den Anscheinsbeweis erschüttern, nicht ausreichend gewürdigt:

  • Fahrtenbuch: Der Anscheinsbeweis kann nicht nur durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch erschüttert werden. Auch ein nicht ordnungsgemäßes Fahrtenbuch stellt einen substantiierten Vortrag des Steuerpflichtigen dar. Anstelle des Anscheinsbeweises hat das Finanzgericht in einem solchen Fall den Sachverhalt unter Berücksichtigung aller Umstände aufzuklären.
  • Weitere Fahrzeuge: Aus Sicht des Finanzgerichts handelte es sich bei den im Privatvermögen gehaltenen Pkws um Fahrzeuge mit anderem Prestige und anderen Nutzungsmöglichkeiten. Diese Feststellung hat das Finanzgericht allerdings nicht ausreichend begründet. Eine solche Feststellung bedarf aber klar herausgearbeiteter Vergleichskriterien, wie Motorleistung, Hubraum, Höchstgeschwindigkeit, Ausstattung, Fahrleistung und Prestige.

Der Fall wurde daher zur erneuten Klärung an das erstinstanzliche Finanzgericht zurückgewiesen.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Risk Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

BC 1/2025

BC20250119 

 

 

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