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Vorsteuerabzug trotz Missachtung formeller Anforderungen

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

EuGH-Urteil vom 11.12.2014, C-590/13 (Idexx Laboratories Italia)

 

Das Recht auf Vorsteuerabzug der für innergemeinschaftliche Erwerbe geschuldeten Steuer darf nicht nur mit der Begründung versagt werden, dass der Unternehmer die Verpflichtungen, die sich aus den von der nationalen Regelung in Anwendung des Unionsrechts ergeben, nicht eingehalten habe. Verfügt die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen an den Vorsteuerabzug erfüllt sind, so darf sie keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, welche die Ausübung dieses Rechts vereiteln können.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Einer italienischen Firma (Idexx Laboratories Italia, nachfolgend: Idexx) war der Vorsteuerabzug verwehrt worden, weil sie der nationalen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, die Rechnungen über innergemeinschaftliche Erwerbe in ein sog. Mehrwertsteuerregister einzutragen. Konkret hatte Idexx von der französischen Gesellschaft ausgestellte Rechnungen nicht in das MwSt-Register eingetragen. Ferner wurden die von einer niederländischen Gesellschaft ausgestellten Rechnungen von Idexx nicht in das Register der ausgestellten Rechnungen übernommen, sondern nur in ihr Einkaufsregister mit der Angabe „ohne MwSt“.

Nach einer von der italienischen Finanzbehörde (Agenzia) vorgenommenen Prüfung nahm diese an, dass die genannten Umsätze mehrwertsteuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe darstellten und als solche dem Reverse-Charge-Verfahren unterlägen. In diesem Zusammenhang erstellte die Agenzia gegen Idexx ein Protokoll wegen Missachtung der italienischen Regelung zur Erfassung innergemeinschaftlicher Umsätze.

Mit den dazu dem EuGH vorgelegten Fragen wollte das vorlegende italienische Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 18 Abs. 1 Buchst. d und Art. 22 6. EG-RL wie folgt auszulegen sind:

  • Enthalten diese Vorschriften formelle Anforderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug? Oder:
  • Sehen diese Vorschriften materielle Anforderungen dieses Rechts vor, deren Missachtung unter Umständen – wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – zum Verlust dieses Rechts führt?

Diese Abgrenzung hinsichtlich der Erfüllung formeller und materieller Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs ist auch für deutsche Unternehmen höchst bedeutsam.

 

 

Lösung

Der EuGH stellte grundsätzlich klar: Die Mitgliedstaaten können zwar weitere Pflichten vorsehen als die in der Richtlinie geregelten. Allerdings dürfen solche Maßnahmen nicht überschießend wirken und die Neutralität der Mehrwertsteuer infrage stellen (EuGH-Urteil vom 11.12.2014, Rs. C-590/13, Idexx Laboratories Italia, BeckRS 2014, 82600). Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung ist, dass durch die Regelungen über den Vorsteuerabzug der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten MwSt entlastet werden soll. Das gemeinsame MwSt-System gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der MwSt unterliegen. Der weiteren ausführlichen Begründung lassen sich folgende Kernsätze entnehmen:

(1) Der EuGH betont, dass der tragende Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens es erfordert, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

(2) Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden.

(3) Verfügt die Steuerverwaltung aber über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind, so darf sie daher hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, welche die Ausübung dieses Rechts vereiteln können.

(4) Im Ergebnis führen Fehler bei der Erfüllung der formellen Voraussetzungen nicht zur Versagung des Vorsteuerabzugs, wenn Nachweise über die materiellen Voraussetzungen vorliegen.

 

 

Praxishinweise:

  • Speziell zum steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen weist der EuGH auf Folgendes hin:
    – Im Fall der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens, das von Art. 21 Abs. 1 Buchst. d 6. EG-RL eingeführt wurde, erfolgt zwischen dem Verkäufer und dem Erwerber des Gegenstands keine MwSt-Zahlung, wobei der Letztere für den getätigten Umsatz Vorsteuer zu entrichten hat, diese aber prinzipiell in Abzug bringen kann; deshalb wird der Steuerverwaltung kein Betrag geschuldet.
    – Art. 18 Abs. 1 Buchst. d 6. EG-RL gestattet den Mitgliedstaaten, bei Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens die Förmlichkeiten für die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug festzulegen. Allerdings darf der Umfang dieser von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten, die der Steuerpflichtige erfüllen muss, um dieses Recht ausüben zu können, nicht über das zur Gewährleistung der korrekten Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens absolut Notwendige hinausgehen.
  • Mit der formellen Pflicht zur Rechnungsstellung hat sich der BGH in einem lesenswerten Urteil vom 26.6.2014 ( VII ZR 247/13, siehe unter BeckRS 2014, 14209) in einem Zusammenhang befasst, in dem die Rechnungsausstellung zunächst unterblieben war. In dem Streitfall benötigte ein Hotel zur Geltendmachung seines Rechts auf Vorsteuerabzug aus der Hotelvermittlung eine ordnungsgemäße Rechnung. Andernfalls entsteht dem Hotel ein monetärer Schaden, gegen den es sich wehren kann. So kann es den Hotelvermittler dann grundsätzlich vor den Zivilgerichten auf Rechnungserteilung verklagen.
  • Über die Konsequenzen des Verlusts von Rechnungsunterlagen hatten wir kürzlich im BC-Newsletter vom 8.1.2015 berichtet: Der Verlust der Originalrechnung an sich ist ein in der Praxis häufig vorkommender Fall, weshalb entsprechende Nachweisprobleme nicht unterschätzt werden dürfen. Als Beweismittel kommen in erster Linie Kopien oder Zweitausfertigungen der Originalrechnung in Betracht. Bei dem Nachweis geht es zudem nicht um den Besitz einer nach §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung, sondern lediglich um das vormalige Vorhandensein der Originalurkunde. Nicht ausreichend ist dagegen im Regelfall die Kopie eines Vorsteuerkontos aus der Buchführung (BFH-Urteil vom 23.10.2014, V R 23/13).

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

 

BC 2/2015

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