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Ordnungsmäßigkeit der Buchführung: Einzelaufzeichnungen meist, aber nicht immer erforderlich

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

FG Köln, Urteil vom 9.5.2017, 5 K 727/15 (rkr.)

 

Eine nicht ordnungsgemäße Buchführung berechtigt zur Hinzuschätzung. Das gilt auch für Steuerpflichtige, die eine Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG durchführen (= Einnahmen-Überschussrechnung) und gegen den Grundsatz verstoßen, alle Geschäftsvorfälle einzeln aufzuzeichnen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Geklagt hatte die Betreiberin eines Friseursalons, die in den Streitjahren 2004 bis 2012 durchgehend Verluste erzielt hatte. Über die Jahre hatte sich daher ein Gesamtbetrag an Verlusten in Höhe von 190.000 € angehäuft. Im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Ansicht, dass die Buchführung mangels aussagefähiger Kassenberichte nicht ordnungsgemäß sei, und nahm Hinzuschätzungen vor. Diese orientierten sich an – nach Auffassung des Finanzamts nicht geklärten – Neueinlagen in den Streitjahren (2010: 31.185 €, 2011: 54.660 € und 2012: 42.505 €).

 

 

Lösung

In dem auch hinsichtlich weiterer Gesichtspunkte äußerst breit gefächerten Sachverhalt kamen die Kölner Finanzrichter zu dem Ergebnis, dass die in den Gewinnermittlungen der Klägerin ausgewiesenen Umsätze/Einnahmen für deren Besteuerung nicht übernommen werden können. Denn die Klägerin ist ihren Aufzeichnungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Insbesondere wurden die einzelnen Geschäftsvorfälle in dem Friseursalon nicht aufgezeichnet, weshalb die Buchführung als nicht ordnungsgemäß anzusehen ist.

Das gelte auch für Fälle, in denen der Gewinn mittels Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) ermittelt wird. Prüfkriterien wie Zumutbarkeit und Praktikabilität gebieten es demnach, in einem Friseurgeschäft jedenfalls dann von einer Einzelaufzeichnungspflicht nicht abzusehen, wenn – wie von der Klägerin vorgetragen – nur wenige Kunden pro Tag bedient werden.

Aus den genannten Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität sind zwar bestimmte Berufsgruppen von der Pflicht zur Einzelaufzeichnung entbunden (vgl. BFH-Beschluss vom 26.2.2004, XI R 25/02, BStBl. II 2004, 599). Im Wesentlichen gilt das für den Einzelhandel mit Lebensmitteln, Tabakwaren, Schreibwaren, Kurzwaren, Kleinstbetriebe, Kleinpreisgeschäfte u.a. (BFH-Urteil vom 12.5.1966, IV 472/60, BStBl. III 1966, 371). Friseurgeschäfte gehören – dem Finanzgericht (FG) zufolge – nicht dazu, sondern müssen grundsätzlich ihre Aufzeichnungen so führen, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Einnahmen/Umsätze des Unternehmens und die zu berücksichtigenden Betriebsausgaben zu erhalten.

§ 146 Abs. 1 AO bestimmt ergänzend, dass Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen sind. Dafür muss zunächst jeder einzelne Vorgang identifizierbar sein: Die Aufzeichnungen sind deshalb für jeden Geschäftsvorfall gesondert vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 26.2.2004, XI R 25/02, BStBl. II 2004, 599). Dem Grundsatz nach gelte das auch für Bareinnahmen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertige es nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln aufzuzeichnen.

Das FG geht aber zusätzlich ausführlich auf Folgendes ein: Selbst dann, wenn man keine Einzelaufzeichnungspflicht der Klägerin annehmen würde, könne die vorgelegte „Buchführung“ nicht den Ordnungsmäßigkeitsanforderungen genügen. Denn die Klägerin habe keine Kassenstreifen, Kassenzettel oder Bons vorgelegt und auch keine Kassenberichte angefertigt.

Sogar die Methoden zur Führung eines Kassenbuchs werden im Detail in Form eines Buchhaltungs-ABC vom FG behandelt: „Für die Anfertigung eines Kassenberichts ist der geschäftliche Bargeldendbestand auszuzählen, weil hier die Feststellung des Kassenbestands eine unentbehrliche Grundlage für die Berechnung der Tageslosung bildet … Der Kassenbestand ist sodann rechnerisch um die belegmäßig festgehaltenen Entnahmen und Ausgaben zu erhöhen und um die ebenfalls dokumentierten Einlagen zu mindern, so dass sich die Einnahme ergibt.“ Ein richtiges und damit der Besteuerung zugrunde zu legendes Ergebnis könne sich nur bei korrekter Durchführung einer der aufgezeigten Methoden ergeben; das gelte für die Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 1 EStG (Betriebsvermögensvergleich) und § 4 Abs. 3 EStG (EÜR) gleichermaßen.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Wenn ein Friseur also ohnehin nur schnipselhaft Belege führt und die stets bereitliegende Schere – statt zum Haarschnitt – zweckentfremdend womöglich zur Zerstörung von eventuelle Verdachtsmomente auslösenden Unterlagen verwendet wird, birgt dies zumindest die Gefahr von Hinzuschätzungen. Zudem dürften neuzeitliche Entwicklungen bisherige Spielräume deutlich eingrenzen: Neue Vorgaben zur DV-gestützten Kassenführung auf der Grundlage des Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen (siehe BC 2017, 2 ff., Heft 1) und das ab 1.1.2018 einsetzbare Instrument der Kassen-Nachschau werden Argumentationslinien, mit denen sich die Kölner FG-Richter noch auseinandersetzen mussten, in naher Zukunft den Boden entziehen.
  • Den die „BMW“-Welt betreuenden selbstständigen Bilanzbuchhaltern ist eine nähere Befassung mit den weiteren Entscheidungsgründen zunächst nur anzuraten, wenn sie ein Beispiel dafür suchen, mit welch ausufernden Rechtfertigungsfantasien sich manche Steuerpflichtige Steuervorteile erstreiten wollen. Die zur Nachahmung nicht geeigneten Sachverhaltsvorträge in dem vom FG Köln entschiedenen Fall könnten allenfalls geeignet sein, Fachgespräche mit Bäckern, Metzgern und Wirten nach deren Abschluss zwecks Auflockerung abzurunden. Wer sich hingegen um neue seriöse Geschäftspartner bemüht, dürfte mit anderweitigen Argumenten besser bedient sein – zumal in einer zunehmend digitalisierten Belegwelt, die mehr Fingerabdrücke hinterlässt als mancher heute noch ahnt.
  • Die eher rückwärtsgewandte, weil oft viele Jahre zurückliegende Sachverhalte aufarbeitende Rechtsprechung wird allerdings Fälle – wie oben beschrieben (wenn auch nicht so krass) – wohl noch öfter bearbeiten müssen. So kommentiert Finanzrichter Dr. Michael Hennigfeld (siehe Der Betrieb vom 11.1.2018, DB1259766), dass die Frage von Art und Umfang der Aufzeichnungen bei der Gewinnermittlung nach der Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) einen Unsicherheitsfaktor darstelle. Die vom BFH erst kürzlich im Beschluss vom 12.7.2017 (X B 16/17, BFHE 257, 523) auf Klein-Dienstleister ausgeweitete Rechtsprechung, dass Einzelaufzeichnungen von Erlösen in bestimmten Fällen aus Zumutbarkeitsgründen nicht geführt werden müssen, könnte solche Unsicherheiten bewirken.
  • In dieser Entscheidung hat der BFH bestätigt, dass jedenfalls bei Kleindienstleistern, die eine offene Ladenkasse verwenden, die Aufbewahrung von sog. Tagessummen-Belegen mit Einzelaufzeichnung der Erlöse und Summenbildung den formellen Anforderungen an die Aufzeichnungspflicht Genüge tut. Das gelte jedenfalls dann, wenn weitere Ursprungsaufzeichnungen nicht angefallen sind. Auf die insoweit fehlende Einzelaufzeichnungspflicht könnten sich also auch Gastwirte oder vergleichbare Gewerbetreibende berufen, was in der oben genannten BMW-Welt tätigen Bilanzbuchhaltern dann doch noch den Beratungsstoff dahingehend liefert, was zumutbar ist und was nicht.

 

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

BC 2/2018

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