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Hinzuschätzung bei nicht ordnungsmäßiger Kassenbuchführung

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

FG Köln, Beschluss vom 6.6.2018, 15 V 754/18

 

Wird eine Dokumentation der Kassenprogrammierung nicht vorgelegt, kann dies eine Hinzuschätzung rechtfertigen. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen weitere Umstände wie eine lückenhafte Erfassung der Transaktionen Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung begründen.


 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Mit den Folgen einer fehlenden Dokumentation der Kassenprogrammierung und weiteren Verstößen gegen eine ordnungsgemäße Buchführung hatte sich kürzlich das Finanzgericht (FG) Köln zu befassen. Es ging um eine KG, die in mehreren Filialen Bäckereien betreibt. Die KG konnte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2013 für die verwendeten Kassensysteme keine Verfahrensdokumentationen hinsichtlich der in den Systemen vorgenommenen Änderungen vorlegen. Zudem waren die vorgelegten Daten lückenhaft, insbesondere waren nach den Prüfungsfeststellungen diverse Artikel ohne einen Verkaufspreis gebucht worden, bzw. es fehlten Mengenangaben. Weitere Auffälligkeiten habe es beim Abgleich der Tagesabschlüsse mit der Finanzbuchhaltung gegeben. Diverse Prüfungsmaßnahmen seien wegen nicht vorhandener Daten oder Abweichungen nicht möglich gewesen.

Die Prüfer beanstandeten zudem, dass die im Rahmen eines internen Betriebsvergleichs ermittelten Warenaufschlagsätze unter dem mittleren Aufschlagsatz für als Vergleichsmaßstab dienende Cafés gelegen hätten. Die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs seien wegen aufgefundener extremer Schwankungen auffällig. Darüber hinaus habe eine Kaffeekalkulation zu ungewöhnlichen Werten geführt.

Vor diesem Hintergrund wurde eine Hinzuschätzung von 10% der erklärten Netto-Bareinnahmen vorgenommen.

 

 

Lösung

Das FG Köln sah die Voraussetzungen für eine Hinzuschätzung als gegeben an, hielt allerdings den Prozentsatz von 10% für zu hoch und ordnete den Ausschluss einer Sicherheitsleistung an, soweit die Hinzuschätzung 5% überstieg.

Anhand der vorgetragenen Gegebenheiten habe sich nicht sicher feststellen lassen, dass die Buchführung der KG formell ordnungsgemäß sei. Bei einem der vorgelegten Kassensysteme hätten überhaupt keine elektronischen Aufzeichnungen vorgelegen. Darüber hinaus seien bei einem anderen System zwei unterschiedliche Datenversionen vorgelegt worden, deren Hintergrund nicht hinreichend erläutert worden sei. Weiterhin seien die geforderten Bedienungsanleitungen und Programmierprotokolle nicht vorgelegt worden.

Es erschien den Kölner Finanzrichtern wahrscheinlich, dass diese formellen Mängel bei der KG als bargeldgeprägtem Unternehmen von erheblichem Gewicht seien, weshalb die Buchführung zu verwerfen und eine Schätzung zulässig sei (vgl. im Einzelnen FG Köln, Beschluss vom 6.6.2018, 15 V 754/18, Kommentierung von RiFG Dr. Michael Hennigfeld, siehe Der Betrieb vom 12.10.2018, 2465 f.). Unabhängig von der formellen Ordnungsmäßigkeit habe die Buchführung der Bäckereikette auch eine Reihe weiterer möglicher Einzelmängel (unvollständige oder fehlerhafte Verbuchungen, Auffälligkeiten im Verkauf von Kaffee etc.) aufgewiesen, die möglicherweise eine punktuelle Hinzuschätzung rechtfertigen.

Sehr detailliert befassen sich die Kölner Richter mit den Voraussetzungen und Verfahren einer Hinzuschätzung (Schätzungsrahmen, Zulässigkeit einer Vollschätzung, (Un-)Sicherheitszuschlag etc.). Geringfügige dargestellte Abweichungen bei einzelnen Stornobuchungen oder in Tagesabschlüssen reichen bei der Unternehmensgröße und der Anzahl der Geschäftsvorfälle aus Sicht des Senats nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand bei summarischer Betrachtung allerdings nicht aus, einen aus finanzrichterlicher Sicht sowohl absolut wie auch relativ recht hohen (Un-)Sicherheitszuschlag von 10% zu rechtfertigen. Insgesamt werde die derzeitige Begründungstiefe der Prüfungsfeststellungen den BFH-Anforderungen nicht gerecht, weshalb sich das FG für eine Halbierung auf 5% und zur Fortsetzung des Verfahrens ausgesprochen hat.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Seit dem 1.1.2017 dürfen nur noch solche elektronischen Registrierkassen verwendet werden, die eine komplette Speicherung aller steuerlich relevanten Daten – insbesondere Journal-, Auswertungs-, Programmier- und Stammdatenänderungsdaten (z.B. Artikelpreisänderungen, Nutzerkennung) – ermöglichen (BMF-Schreiben vom 26.11.2010, IV A 4 – S 0316/08/10004 – 07, BStBl. I 2010, 1342). Gerade mit Blick auf dieses BMF-Schreiben ist darauf zu achten, dass die oben genannten Informationen des Kassensystems vollständig und unveränderbar in digitaler Form aufbewahrt werden.
  • Es ist ein seit vielen Jahren gefestigter Erfahrungssatz, dass sich bei bargeldintensiven Betrieben das Augenmerk der Betriebsprüfer regelmäßig auf die Kassenführung richtet. Nach ständiger Rechtsprechung und erst kürzlich wieder in einem Merkblatt der OFD Karlsruhe (Verfügung vom 26.7.2018, S 0315-St 42) bestätigten Grundsatz der Finanzverwaltung können Mängel in der Kassenbuchführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Mit Hennigfeld (Der Betrieb vom 12.10.2018, 2465 f.) ist zu unterstreichen, dass dieser Streitfall den verantwortlichen Buchführungsexperten anschaulich zeigt, wie wichtig es ist, sowohl die Bedienungsanleitung einer Kasse aufzubewahren als auch sämtliche Einstellungen und Änderungen im System zu dokumentieren. Im entschiedenen Fall handelte es sich nicht um ein ausschließlich durch den Inhaber betriebenes Kleinunternehmen, sondern um einen Filialbetrieb, bei dem mehrere Angestellte die Kassen bedienten. Insoweit besteht nach den Hinweisen des FG Köln zwar geringerer Anlass zur Sorge, dass Bareinnahmen „an der Kasse vorbei“ vereinnahmt worden sind. Gleichwohl ist allgemein bekannt, dass auch Manipulationen im Kassensystem genutzt werden können, um Steuern zu verkürzen. Auf die Manipulationsanfälligkeit von Kassensystemen hat der Gesetzgeber inzwischen reagiert und mit § 146a AO besondere formelle Anforderungen an elektronische Aufzeichnungssysteme normiert (zu Details und zum Anwendungszeitpunkt vgl. Merkblatt der OFD Karlsruhe, Verfügung vom 26.7.2018, S 0315-St 42). Insbesondere ist zu beachten, dass bei elektronischer Kassenführung das Unternehmen selbst dafür sorgen muss, dass die Einzeldaten mit allen Strukturinformationen in der Kasse nicht nur gespeichert, sondern auch exportiert und in einem für das Finanzamt lesbaren Format zur Verfügung gestellt werden können. Dies gilt auch für Daten, die sich bei Dritten befinden (z.B. Rechenzentrum, Cloud).
  • Es ist daher die Empfehlung zu wiederholen (siehe bereits hier), nicht den Versuch zu unternehmen, Datensätze etwa bei Cloud-Nutzungen hinter Wolkenbergen verstecken zu wollen, zumal über kurz oder lang an die Stelle gewohnter Stichprobenanalysen im Zuge der Digitalisierung und von Big Data zunehmend Volldatenanalysen treten werden.
  • Zum Spezialproblem des in Bäckereien anzuwendenden Umsatzsteuersatzes wurde an dieser Stelle kürzlich über die OFD Nordrhein-Westfalen berichtet, die in ihrer Kurzinformation vom 26.4.2018, USt 3/2018, Sitzgelegenheiten als Kriterium für Steuersatzunterschiede bei Abrechnungen des Verzehrs an Ort und Stelle definiert hat.
  • Immerhin hatte im oben besprochenen Streitfall die Bäckerei-KG ihr Handwerk recht erfolgreich betrieben und hohe Einnahmen ausgewiesen. Wie sich die Gefahr von Hinzuschätzungen verschärft ergeben kann, wenn ein weniger erfolgreicher, weil Verluste anhäufender Friseur nur schnipselhaft Belege führt und die stets bereitliegende Schere statt zum Haarschnitt zweckentfremdend womöglich zur Zerstörung von eventuell Verdachtsmomente auslösenden Unterlagen verwendet, ist in BC 2018, 60 f. (Heft 2), nachlesbar.

 

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

 

BC 11/2018

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