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Keine neuen Abschlussprüfer-Lehren aus dem Wirecard-Bilanzbetrug

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

 

Immer neue Enthüllungen im Fall Wirecard belasten zunehmend die Reputation des Finanzplatzes Deutschland und führen dabei vermehrt zu Fragen bezüglich der Rolle von Wirtschaftsprüfern. Nach dem IDW hat sich kürzlich auch die Wirtschaftsprüferkammer zu Wort gemeldet, sieht aber wenig Korrekturbedarf in eigener Sache.


 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Nachdem die Diskussion um den Wirecard-Bilanzbetrug zunächst mit Blick auf die unrühmliche Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) geführt wurde (siehe dazu hier), ist mittlerweile die Rolle der Aufsichtsräte und Abschlussprüfer mehr in den Blick geraten. Dazu hatte das IDW am 15.7.2020 „erste Lehren aus dem Fall Wirecard“ vorgestellt, über die der Verfasser bereits ausführlich berichtet hat (vgl. BC 2020, 366 ff., Heft 8). Nun positionierte sich Gerhard Ziegler als Präsident der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) am 31.8.2020 wie folgt:

„Die berufsrechtlichen Rahmenbedingungen der Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse wurden erst im Jahr 2016 europaweit reformiert. Entscheidend ist jetzt, keinen fehleranfälligen regulatorischen Schnellschuss abzugeben, sondern vor einer zielgerichteten Therapie möglichst umfassend zu diagnostizieren. Daneben bestehen aber Möglichkeiten, die Abschlussprüfung im Sinne des öffentlichen Interesses zu stärken.“

Diese Möglichkeiten der Stärkung verortet die WPK aber – wie zuvor das IDW – nicht vor der eigenen Haustür, sondern in Gesetzgebungsdefiziten und institutionellen Mängeln.


 

 

Lösung

Unter der Überschrift Nach Wirecard: Wirtschaftsprüferkammer für mehr Transparenz zur Stärkung der Abschlussprüfung im öffentlichen Interesse“ schlägt die WPK als Antwort darauf, dass in der öffentlichen Diskussion über den Fall Wirecard die Rolle der Abschlussprüfung und der Aufsicht über Abschlussprüfer kritisch hinterfragt werde, Folgendes vor:

  • Wirtschaftsprüfer/Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die als Abschlussprüfer eines Unternehmens von öffentlichem Interesse tätig sind, sollten sich bei berechtigtem Interesse zu der von ihnen durchgeführten Abschlussprüfung äußern und verteidigen dürfen (insoweit Aufhebung ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht).
  • Dringend erforderlich ist, dass der deutsche Gesetzgeber die zuständigen Behörden nach Art. 7 und 12 VO [EU] 537/2014 benennt, an die Abschlussprüfer, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, die in der Verordnung vorgesehenen Mitteilungen richten können. Dies gilt beispielsweise bei wesentlichen Rechtsverstößen, bei wesentlichen Gefährdungen hinsichtlich der Fortführung eines Unternehmens oder bei der Verweigerung/Einschränkung/Versagung eines Bestätigungsvermerks.
  • Der Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) und der WPK sollte jeweils ermöglicht werden, bei öffentlichem Interesse über die Einleitung eines berufsaufsichtlichen Verfahrens berichten zu können. Des Weiteren sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass APAS und WPK auch über wesentliche rechtskräftige berufsaufsichtliche Maßnahmen von APAS und WPK unter Nennung des Namens gegenüber der Öffentlichkeit berichten dürfen (Nennung von „Ross und Reiter“, insoweit Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht beider Aufsichtsstellen).
  • Aus der Perspektive des öffentlichen Interesses wäre die Einführung strengerer Regelungen für die Berufsausübung des Wirtschaftsprüfers nur angezeigt, wenn diese dazu beitragen können, Fälle wie Wirecard in Zukunft zu vermeiden, und diese Regelungen auch im Übrigen angemessen sind.
  • Nicht ersichtlich ist, wie ein Beratungsverbot zur Aufdeckung eines mit krimineller Energie begangenen Betrugs beitragen soll.
  • Zweifelhaft ist auch, ob ein häufigerer Wechsel des Abschlussprüfers (Rotation) zur Aufdeckung vergleichbarer Betrugsfälle beitragen könnte (zur aktuellen Regelung vgl. Art. 17 VO [EU] 537/2014, § 318 Abs. 1a HGB).

Schließlich hält die WPK auch die diskutierte Erhöhung der gesetzlichen Haftungsobergrenze für Abschlussprüfungen für kontraproduktiv, selbst wenn sie auf Unternehmen von öffentlichem Interesse beschränkt bliebe. Wer über diese etwas gekürzte Presseinformation der WPK (gekürzt um Erläuterungen, die nur allzu deutlich dem eigenen Geschäftsschutz dienen sollen, Schlagworte: Rotation, Beratung) hinausgeht, wird feststellen, dass in der öffentlichen Diskussion mit berufsständischer Distanz wesentlich mehr an den erbrachten Prüfungsleistungen gezweifelt wird; es wird auch jenseits von Schuldzuweisungen an Gesetzgebung und Behörden eine deutliche Hinterfragung des Verhaltens im System Abschlussprüfung angemahnt. Beispielsweise analysieren aus wissenschaftlicher Sicht Prof. Dr. Henning Zülch/Philipp Ottenstein/Toni W. Thun die Finanzkommunikation von Wirecard und kommen nach ihren studienbasierten Einblicken in sechs Jahren Reporting und Investor Relations zu folgendem Endergebnis (KoR 2020, 408, Heft 9): 

 

 

„Dabei werfen die große Intransparenz und die frisierten Bücher von Wirecard die Frage auf, inwieweit der Wirtschaftsprüfer seinen Bestätigungsvermerk hätte einschränken oder gar verweigern müssen. In diesem Zusammenhang gilt es für die Prüfer, nun mit aller nötigen Offenheit und Selbstkritik die richtigen Lehren zu ziehen und sich auf den Sinn und den gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit zu besinnen, um derartige Desaster in der Zukunft zu vermeiden.“

In dieser Richtung ist der oben genannten WPK-Stellungnahme zwar wenig zu entnehmen, aber immerhin einem kurz zuvor erschienenen Bericht des Handelsblatts (HB) vom 25.8.2020, in dem nach der Wertung, dass „die Prüfer von EY ahnungslos dilettierten“, auf Äußerungen von Bob Moritz verwiesen wird (globaler Chairman des Wirtschaftsprüferkonzerns PwC). Er habe versichert, genau zu prüfen, wie seine Firma künftig solche Betrugsskandale besser verfolgen und aufdecken kann. Seine Aussage in der „Financial Times“: „Wir wollen klarstellen, dass wir bei der Entdeckung von Betrugsfällen vorankommen, um die Relevanz unserer Profession zu sichern.“ In der Pandemie, so Moritz weiter, bräuchten die Investoren „mehr und vertrauenswürdigere Informationen von den Unternehmen“, deshalb müsse PwC die Qualitätsbemühungen steigern, zumal massenhafte Heimarbeit und gestiegener finanzieller Druck das Risiko von Betrug in der Corona-Krise steigern würden.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Dass solche Einsichten vom EY-Konkurrenten PwC kommen, macht sie deswegen nicht falsch. Allein schon die von der WPK gewählte Einleitung der Überschrift „Nach Wirecard“ werden diejenigen verwundert zur Kenntnis nehmen, die jetzt die von Abschlussprüfern unbemerkt gebliebenen Betrugshandlungen erleiden und manche bittere Suppe auslöffeln müssen. Das traf z.B. nach Angaben des Insolvenzverwalters Michael Jaffé beim „Fake-Finanzkonzern Wirecard“ bereits Ende August 2020 730 von 1.300 Mitarbeitern, denen gekündigt werden musste (und dabei sind die Schauspieler, die der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek engagierte und auflaufen ließ, um eine größere Belegschaft vorgaukeln zu können, noch gar nicht mitgezählt). Jaffé erklärte, die „Kostenpositionen“ müssten nun der „unternehmerischen Wirklichkeit“ angepasst werden. Mit den üblichen Maßnahmen in solchen Sanierungsfällen sei es nicht getan. Was immer verkäuflich ist, versucht Jaffé derzeit zu versilbern. Für die Handelsblatt-Redaktion endet „in spätsommerlicher Basar-Stimmung, was mal Deutschlands größtes Wirtschaftsmärchen war“.
  • Die unbedachte Formulierung „Nach Wirecard“ könnte neben Gläubigern (als größter dem Vernehmen nach die Commerzbank, die sich nach Presseberichten vom Prüfer EY trennen will) und Arbeitnehmern auch andere Beteiligte wie Politiker und Aufsichtsverantwortliche „auf die Palme“ bringen, die letztlich nun dafür verantwortlich sein sollen, dass Belege über Milliarden-Transaktionen einfach nicht sorgfältig genug geprüft wurden – Absurdistan lässt grüßen.
  • In die richtige Richtung gehen vielmehr Überlegungen, wie sie in selten kompakter und klarer Formulierung WP/StB Mark Schüttler zum Thema der Prüfung von Treuhandkonten angestellt hat (vgl. DB 2020, 1863): Wie prüft man, ob Geld auf Treuhandkonten auch wirklich da ist? Und logisch vorgelagert: Wie prüft man Treuhandkonten auf ihr Vorhandensein? Schüttler charakterisiert das Ausgangsproblem wie folgt: „Bei der Prüfung wesentlicher Treuhandkonten auf Vorhandensein darf sich der Prüfer nicht mit der Einholung einer Treuhänderbestätigung bescheiden.“ Dann stellt Schüttler mehr als 20 praxisnahe Fragen, die hier aus Platzgründen nicht sämtlich wiedergegeben werden können, beispielsweise:
    – Womit genau verdient das geprüfte Unternehmen sein Geld?
    – Woher kommen Umsatzplus und Gewinnsprung?
    – Wozu die Treuhand, warum hält das geprüfte Unternehmen das Treugut nicht selbst?
    – Ist Zweck der Treuhand die Verschleierung der Vermögensverhältnisse?
    – Aus welcher Einkunftsquelle stammt das verwaltete Vermögen? Woher kommen die Umsatzerlöse?
    – Was steht im Treuhandvertrag? Was und wie bucht der Treuhänder?
    – Wird der Treuhänder vom geprüften Unternehmen angemessen und wirksam kontrolliert?
    – Warum nimmt das geprüfte Unternehmen so viele Kredite auf, obwohl mehr als genug jederzeit abrufbare eigene liquide Mittel auf Treuhandkonten bereitstehen (vgl. Giesen u.a., Warum wurden die EY-Wirtschaftsprüfer nicht eher misstrauisch?, SZ vom 20.7.2020; ebenso Bender u.a., Ein zwölf Jahre alter Verdacht, HB vom 27.7.2020)?
  • Deren Beantwortung würde qualifizierte Bilanzbuchhalter und Controller keineswegs überfordern, und so sollte die Abarbeitung dieser Fragen eigentlich jedem Wirtschaftsprüfer eine selbstverständliche Pflicht sein. Vor diesem Hintergrund weist Schüttler darauf hin, dass auch unabhängig von Treuhandkonten der Prüfer hinreichende Prüfungssicherheit durch sachgerechte Prüfungshandlungen gewinnen muss. Die bloß „formal korrekte Papierlage“ (Giesen u.a., SZ vom 3.7.2020) reicht nicht. Dabei habe der Prüfer das Gesetz auf seiner Seite: Er könne gemäß § 320 Abs. 2 S. 1 HGB alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind: „Er muss sie nur anfordern.“
  • Insgesamt endet der Beitrag von Schüttler mit dem Fazit, der Bilanzskandal um Wirecard werfe ein schlechtes Licht auf die Wirtschaftsprüfer. Von der vom Berufsstand unverständlicherweise (man darf als Kommunikationsexperte auch von einem Kommunikations-GAU sprechen) jetzt schon ausgerufenen „Nach-Wirecard“-Retrospektive wird die mangelnde Fähigkeit des Berufsstands zur Konzentration auf eigene Unzulänglichkeiten hängenbleiben und das ohnehin schlechte Licht noch mehr verdüstern: Mit Schüttler klingt das oben bereits zitierte IDW-Papier nach: „Der Vorstand muss […], der Aufsichtsrat muss […], die BaFin muss […].“ Und die Wirtschaftsprüfer?
  • Es bestätigt sich leider nur allzu deutlich der schon in BC 2020, 366 ff., Heft 8, formulierte Eindruck, dass da offenbar nicht gerne vor den eigenen Haustüren gekehrt wird. Die von der BaFin und der DPR (siehe Details dazu hier) sowie anschließend vom IDW geführte Nichtzuständigkeitsdebatte hat im Ergebnis nun eine vierte Variante gefunden, die zudem noch unverblümter auf die eigene Geschäftssicherung abstellt, indem die WPK statt auf Aufklärung mit Verve auf die Abschottung gegen eine häufigere Rotation und ein Beratungsverbot setzt: „Nicht ersichtlich“ ist der WPK ohne jegliche Einschränkung, „wie ein Beratungsverbot zur Aufdeckung eines mit krimineller Energie begangenen Betrugs beitragen soll“. Eine solche ausgeprägte Blindheit ist vor dem Hintergrund der vielen Bilanzskandale schon vor Wirecard sehr verwunderlich, wenn nicht gar abenteuerlich: Kriminelle Energie als Freibrief ausgerechnet für Wirtschaftsprüfer? Muss der Prüfer nicht jederzeit die Möglichkeit doloser Handlungen in Betracht ziehen? Muss er nicht bei dolosen Handlungen insbesondere unter Mitwirkung des höheren Managements auch mögliches kollusives (missbräuchliches) Verhalten unter Beteiligung anderer Mitarbeiter oder Dritter berücksichtigen (vgl. IDW PS 210, Tz. 59)? Man kann nur hoffen, dass den führenden Vertretern in diesem für die Geschäftswelt so wichtigen Berufsstand doch noch Erleuchtungen zuteilwerden, damit in einigen Jahren in der wirklichen Nach-Wirecard-Zeit nicht mehr von einem schlechten Licht gesprochen werden muss, unter dem die Prüfungstätigkeit und in der Folge das Vertrauen in das Geschäftsgebaren nicht weniger Unternehmen leidet.

 

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

 

BC 10/2020

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