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Neue Impulse für das Nachhaltigkeitsstreben und die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand

Dr. Hans-Jürgen Hillme

 

Da die verschiedenen Stakeholder-Gruppen beginnen, vermehrt Informationen jenseits der Finanzberichterstattung nachzufragen, erlebt die nichtfinanzielle Berichterstattung in vielen Unternehmen derzeit einen bemerkenswert schnell wachsenden Stellenwert. Allerdings sorgen nach wie vor Unklarheiten z.B. hinsichtlich der anzuwendenden Regelwerke für eine kontrovers geführte Diskussion.


 

Praxis-Info!

 

Hintergrund

Zunehmende Transparenzforderungen von Stakeholdern erhöhen den Druck auf Unternehmen, Informationen zu ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit zu veröffentlichen. Warum immer mehr Unternehmen erkennen, dass das Nachhaltigkeitsstreben und die Nachhaltigkeitsberichterstattung große Chancen für die Wertentwicklung, Imagebildung und Kundenbindung beinhalten, ist bereits im Mai 2021 erläutert worden – hier. Zwischenzeitlich hat die Diskussion – zuletzt angefeuert durch die am 14.7.2021 verkündeten Maßnahmen im EU-Paket „Fit for 55“ – wesentliche Impulse erhalten.

Was den einen nicht weit genug geht (so etwa Vertreter des renommierten Club of Rome am 6.7.2021, siehe unten), ist für andere Anlass zur Besorgnis, alle Prozessbeteiligten zu überfordern (so etwa kein Geringerer als der neue IASB-Chef Prof. Dr. Andreas Barckow in einer am 5.7.2021 in BB 2021, I, Heft 27, veröffentlichten Stellungnahme). Solche Kontroversen sind Anlass genug, um einige Aspekte herauszuarbeiten, was Bilanzbuchhalter/innen und Controller/innen zu erwarten haben.

 

 

Lösung

Die am 5.5.2021 von der Bundesregierung beschlossene Sustainable-Finance-Strategie (Sustainability = Nachhaltigkeit) folgt dem „ESG-Ansatz“ (Environment Social Governance) und setzt auf Transparenz, Bewusstsein und konsequente Entwicklung neuer Methoden und Instrumente. Aus Sicht der Bilanzbuchhalter ist besonders wichtig, dass umfassende Nachhaltigkeitsberichte verpflichtend vorgeschrieben werden sollen. Dazu hat sich die Bundesregierung auf einen Katalog von Anforderungen geeinigt. Diesen wird die Bundesregierung in die anstehenden Verhandlungen für eine neue, ambitionierte CSR-Richtlinie der EU einbringen. Beispielsweise werden Unternehmen verpflichtet, ihre Klimarisiken transparent zu machen. Die Berichte müssen durch Abschlussprüfer testiert werden, um Greenwashing („sich ein grünes Mäntelchen umhängen“) zu vermeiden (nähere Informationen enthält der Beitrag von Müller/Needham/Tjin, BC 2021, 266 ff., Heft 6).

Ferner ist für die mit Risikomanagementfragen befassten Finanzierungsexperten von großer Bedeutung, dass die Bundesregierung die Absicht hat, die Nachhaltigkeit bei den Bereichen Risikomanagement und Aufsicht zu verankern. Aufklärung soll eine Szenario-Studie zu physischen Klimarisiken für Real- und Finanzwirtschaft in Deutschland bringen. Ziel ist, dass Unternehmen darauf basierend Risiken besser erkennen und mit ihnen umgehen können.

Zwischenzeitlich hat nun auch die EU-Kommission ihre erneuerte Sustainable-Finance-Strategie am 6.7.2021 veröffentlicht. Diese baut auf dem Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ vom 8.3.2018 auf und besteht aus den folgenden vier Säulen:

  • Finanzierung des Übergangs der Realwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit
  • Entwicklung hin zu einem inklusiveren Rahmenwerk für ein nachhaltiges Finanzwesen
  • Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und des Beitrags des Finanzsektors zur Nachhaltigkeit
  • Globale Ausrichtung.

Flankierend hierzu definiert die EU-Kommission verschiedene Maßnahmen, u.a. auch zur Unternehmensberichterstattung. In diesem Zusammenhang sind die nachfolgenden Bereiche besonders relevant (vgl. DRSC-Angaben vom 7.7.2021):

(1) Erweiterung der EU-Taxonomie: Dies betrifft u.a. die Erweiterung der technischen Bewertungskriterien bezüglich des Agrar- und des Energiesektors (inklusive Atomenergie und Gas) sowie die Definition technischer Bewertungskriterien für die übrigen vier Umweltziele. Die EU-Kommission plant außerdem, bis Ende des Jahres 2021 einen Bericht über die notwendigen Anforderungen an eine mögliche EU-Sozialtaxonomie zu veröffentlichen.

(2) Standardsetzung mit Blick auf Sustainable Finance: Hier geht es u.a. um die verstärkte Zusammenarbeit mit EFRAG, ESMA und der IFRS-Stiftung mit dem Ziel, Nachhaltigkeitsrisiken in der (Finanz-)Berichterstattung angemessen zu berücksichtigen. Ferner möchte sich die EU-Kommission in internationalen Foren und Organisationen (insbesondere Standardsetzern) für die Entwicklung internationaler Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung einsetzen. Dabei soll das Konzept der doppelten Wesentlichkeit weiter befürwortet werden.

Die Richtung scheint zu stimmen – allerdings warnte jüngst am 6.7.2021 der Club of Rome:„Sustainable Finance Strategy Lacks Urgency“. Die Club-Mitglieder bringen unter dieser Überschrift zum Ausdruck, dass ihnen die Initiativen auf EU-Ebene noch nicht weit genug gehen. Die Experten des Club of Rome sehen die bisherigen Vorschläge noch zu sehr gefangen im bisherigen System. Es müsse um mehr gehen, als bestehende Systemlücken zu füllen; der jetzige „step-by-step approach“ sei dazu aber nur bedingt geeignet.

Völlig konträr sieht das Prof. Dr. Andreas Barckow als besonders ausgewiesener Experte – weil seit dem 1.7.2021 dem für die internationale Rechnungslegung maßgebenden IASB (International Accounting Standards Board) vorstehend –, indem er mit Blick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die ja z.B. den Finanzmanagern die notwendige Transparenz für ihre Anlageentscheidungen bieten soll, ausführt: „Die europäische Legislative läuft Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen und alle Prozessbeteiligten vollends zu überfordern.”

Wie auch immer, jedenfalls sehen die Planungen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichte vor, dass die Unternehmen die Standards erstmals bei ihrer Berichterstattung für das Geschäftsjahr 2023 anwenden sollen. Zeit genug also? Weit gefehlt, wenn man auf die Erfahrungswelt von Experten wie Barckow (siehe oben) oder Müller/Needham/Tjin (BC 2021, 266 ff., Heft 6) vertraut. Der IASB-Chef warnt da besonders nachdrücklich, dass die Unternehmen „unmöglich in so kurzer Zeit eine funktionstüchtige Kontroll- und Systemlandschaft aufsetzen können“. Und Barckow sieht auch die Abschlussprüfer überfordert, wenn sie „einen Crashkurs in Nachhaltigkeitsberichterstattung machen müssen“.

Vor Überforderung warnen auch Prof. Dr. Christian Fink und Dr. Thomas Schmotz, die in ihrem Beitrag in KoR 2021, 305 ff., Heft 7, die Vorschläge der EU-Kommission zur Überarbeitung der CSR-Richtlinie analysieren. Demnach werden in praktischer Hinsicht die Unternehmen durch den Mix aus Anforderungen, Geltungsbereich und von der EU-Kommission vorgesehenem Zeitplan „vor zu hohe Herausforderungen gestellt. Dies betrifft neben der Verankerung der Berichterstattung im Lagebericht auch die Einführung einer sofortigen Prüfungspflicht für neu berichtspflichtige Unternehmen, die elektronische Berichterstattung sowie die späte Fertigstellung verbindlicher Standards. Entsprechende Anpassungen von Anforderungen und Zeitplan werden wohl zwingend notwendig sein“.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Wenn schon Abschlussprüfer überfordert sein könnten, so ließe sich das Argument natürlich auch auf Bilanzbuchhalter/innen anwenden, aus deren Berufswelt derlei Klagen derzeit aber nicht zu vernehmen sind. Umso mehr Unterstützung verdienen die Empfehlungen von Müller/Needham/Tjin, die ja ausdrücklich hervorheben, dass in den Unternehmen die Umstellungen zeitkritisch anzugehen sind (Praxishinweis in BC 2021, 270, Heft 6): „Es lohnt sich, die für den Geschäftserfolg maßgeblichen nachhaltigen Aspekte gleichwertig in die unternehmerischen Berichtsprozesse zu integrieren. Die dadurch neu gewonnene Transparenz wird es den KMU erheblich erleichtern, gegenüber Kapitalgebern, Investoren, Kunden und weiteren Interessengruppen noch besser auskunftsfähig zu sein und noch mehr an Vertrauen zu gewinnen. Insbesondere KMU wird empfohlen, besser heute als morgen mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung anzufangen und es als wichtiges strategisches Instrument zu betrachten, die nichtfinanziellen Daten in die Steuerungs- und Berichtsprozesse einzubeziehen.“
  • Ohne Kraftanstrengungen besonderer Art wird es nicht gehen, zumal die Vorbereitungen aufgrund noch fehlender konkreter Anforderungen derzeit erheblich erschwert werden, die erst mit von der EU verabschiedeten und pflichtgemäß zu beachtenden Standards einer Nachhaltigkeitsberichterstattung im Oktober 2022 vorliegen sollen.
  • Vor zu viel Einfluss der IFRS Foundation wird in diesem Zusammenhang in einem Beitrag in Wpg 2021, 824, Heft 13, gewarnt, den die Autoren Hosp/Kraft unter dem Titel „Zur Zukunft der Nachhaltigkeitsberichterstattung“ veröffentlicht haben. Eine Beteiligung sei zwar zu begrüßen, aber die Standardsetzung selbst solle nicht einem vorgeschlagenen International Sustainability Standards Board (ISSB) überlassen werden, weil damit der Dringlichkeit solcher Standards nicht angemessen Rechnung getragen werden könne.
  • Für Bilanzbuchhalter/innen und Controller/innen, die sich mit der bisherigen Argumentation nicht in die Reihe der Überforderten haben eingliedern lassen, sei noch hinzugefügt, dass es auch aus anderer Sicht Anlass gibt, die „Ärmel hochzukrempeln“: Angekündigt ist – so wiederum Müller/Needham/Tijn, BC 2021, 271, Heft 6 – bereits, dass neben der noch vergleichsweise einfach abzubildenden Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten der Umwelt auf das Unternehmen, die in einem auch für zumindest haftungsbeschränkte KMU (z.B. GmbH) gesetzlich vorgeschriebenen Risikomanagementsystem bereits Gegenstand sein sollten, auch die umgekehrte Perspektive eingenommen werden soll. Konkret heißt das, dass über die Wirkung des Unternehmens auf die Umwelt zu berichten sein wird: „Hierzu müssen meist völlig neue Abbildungssysteme (etwa von Ressourcenverbräuchen ausgehend) aufgebaut werden.“
  • Offenbar türmt sich da viel Arbeit jenseits von traditionellen Buchungsroutinen auf, aber positiv gewendet bedeutet das eben auch: Nach den noch vor wenigen Jahren vielbeschworenen Arbeitsplatzverlusten, die die Digitalisierung unter den Buchführungs- und Bilanzierungsexperten eigentlich mit sich bringen sollte, sieht das – Veränderungsbereitschaft vorausgesetzt – jedenfalls eher nicht aus.

 

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

 

BC 8/2021

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