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Erfahrener Anwalt erleidet Schiffbruch mit ChatGPT

Christian Thurow

 

Die Kreativität entwickelt sich in immer mehr Bereichen zu einer Kernkompetenz. Vom im Coffee-Shop das freie WLAN Nutzenden über „Irgendwas mit Medien“-Schaffenden bis hin zu gestandenen CEOs – von allen werden kreative Ansätze und Lösungen erwartet. Aber es gibt auch Bereiche, in denen ein Zuviel an Kreativität Probleme mit sich bringt, wie z.B. „kreative Buchhaltung“ oder „kreativer Klagesatz“. Letzteres hat nun ein erfahrener New Yorker Anwalt zu spüren bekommen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Der Mandant des Anwalts war während eines Flugs vom Getränkewagen der Fluggesellschaft am Knie verletzt worden. Im Namen des Mandanten hat der Anwalt Klage auf Schadensersatz eingereicht. In der Klageschrift zitierte der Anwalt mehrere ähnliche Rechtsfälle aus der Vergangenheit. Nachdem die Anwälte der Gegenpartei die Rechtsfälle in den einschlägigen Datenbanken nicht finden konnten – entweder weil die Aktenzeichen nicht existierten oder zu anderen Fällen gehörten –, gab der Anwalt zu, die Klageschrift mit ChatGPT geschrieben zu haben. ChatGPT scheint dabei mehrere Fälle – nebst Aktenzeichen und Urteilsbegründung – frei kreiert zu haben.

 

 

Lösung

Neben dem Spott der Netzgemeinde muss der Anwalt, der laut Medienberichten über 35 Jahre Berufserfahrung hat, nun mit weiteren rechtlichen Konsequenzen rechnen. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Antworten von ChatGPT mit einer gewissen Portion Skepsis verwendet werden sollten. ChatGPT hat dabei teilweise selbst Warnhinweise eingebaut, wie der Dialog in Abb. 1 zeigt.

 

 

 

Abb. 1: Warnhinweis von ChatGPT bezüglich des Abfassens eines fiktiven (angenommenen) BFH-Urteils

 

 

Während die KI (Künstliche Intelligenz) das Abfassen eines BFH-Urteils ablehnt, scheint ein solcher Skrupel gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht zu bestehen:

 

Frage: Können Sie mir ein fiktives Urteil im Stil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Einkommensteuer schreiben?

 

ChatGPT: Ich verstehe, dass Sie ein fiktives Urteil im Stil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Einkommensteuer wünschen. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben, das dem Stil und der Struktur eines Gerichtsurteils ähnelt. Bitte beachten Sie jedoch, dass dies rein fiktiv ist und keinerlei rechtliche Gültigkeit hat. Es sollte nicht als tatsächliche Rechtsmeinung oder als gültige rechtliche Interpretation angesehen werden.

++++

In dem Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Einkommensteuer hat das fiktive Bundesverfassungsgericht, vertreten durch den Präsidenten und die Richter, folgendes Urteil gefällt:

Aktenzeichen: BVerfG-XYZ

 

Tenor: Die Regelungen zur Einkommensteuer im Einkommensteuergesetz sind verfassungswidrig und nichtig.

 

Gründe:

I. Sachverhalt

1. Die Klägerin hat Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung der Einkommensteuer gemäß § 1 Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhoben. Sie macht geltend, dass die Einkommensteuer in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung gegen das Grundgesetz verstoße.

 

II. Rechtliche Würdigung

2. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Einkommensteuer zu prüfen und zu entscheiden, ob sie mit den grundrechtlichen Schutznormen vereinbar ist.

3. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Einkommensteuer sind insbesondere die Grundsätze der Besteuerungsgleichheit, des Leistungsfähigkeitsprinzips und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

4. Die derzeitige Ausgestaltung der Einkommensteuer verstößt gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, da sie zu einer unzumutbaren Belastung für Bürgerinnen und Bürger mit geringen Einkommen führt. Die progressiven Steuersätze und fehlende angemessene Freibeträge führen zu einer unverhältnismäßigen Abgabenlast.

5. Des Weiteren verletzt die Einkommensteuer das Gebot der Besteuerungsgleichheit, da bestimmte Einkommensarten und Einkommensgruppen unangemessen bevorzugt oder benachteiligt werden.

 

III. Ergebnis

6. Aufgrund der festgestellten Verfassungswidrigkeit der Einkommensteuer sind die entsprechenden Regelungen im Einkommensteuergesetz nichtig. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, eine Neuregelung zu schaffen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.

++++

Bitte beachten Sie erneut, dass dies nur ein fiktives Urteil ist und keine rechtliche Relevanz hat. Im Falle tatsächlicher rechtlicher Fragen oder Anliegen zur Einkommensteuer empfehle ich Ihnen, professionelle rechtliche Beratung von einem qualifizierten Steuerberater oder Rechtsanwalt einzuholen.

 

Na also, geht doch! Nachdem wir mittels ChatGPT nun die Verfassungswidrigkeit der Einkommensteuer festgestellt haben, ist es an der Zeit, noch einen kreativen bilanziellen Lösungsansatz für unrentable Unternehmen zu entwerfen (siehe Abb. 2).

 

 

Abb. 2: Kreative Bilanzierung mithilfe von ChatGPT – „Aktivierung von Verlustvorträgen“

 

 

Eine interessante Lösung – gleichbleibender Ansatz von aktivierten Verlustvorträgen im Anlagevermögen und im Eigenkapital. Die Verbuchung von aufgelaufenen Verlusten mittels des Buchungssatzes „Anlagevermögen an Eigenkapital“ dürfte von so manchem Unternehmer freudig begrüßt werden.

 

 

Praxishinweis:

Die Qualität von ChatGPT-Antworten hängt zu einem wesentlichen Teil von der Qualität der Fragestellung ab. Nicht umsonst werden derzeit sog. „Prompt-Writer“ händeringend gesucht und gut bezahlt. Prompt-Writer sind dabei eine Art KI-Trainer, die durch gezielte Fragestellungen das Antwortniveau des KI-Programms verbessern sollen. Eine unsinnige Fragestellung – wie z.B. nach der Bilanzierung von aktivierten Verlusten – führt häufig zu unsinnigen Antworten. Bis auf Weiteres ist somit für verlässliche Resultate ein Zusammenspiel von kompetentem Anwender und KI unerlässlich, wobei die Verantwortung für die Arbeitsergebnisse beim Anwender liegt. Wie nun auch der New Yorker Anwalt im Ausgangsfall erfahren durfte.


 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

BC 7/2023

BC2023701

 

 

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