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Vergütungspflicht von Vor- und Nachbereitungshandlungen im Arbeitsverhältnis?

Jan-Erik Twehues

BAG-Urteil vom 31.3.2021, 5 AZR 148/20; 5 AZR 292/20

 

In der Unternehmenspraxis werden sog. Vor- und Nachbereitungshandlungen (wie z.B. Umkleide-, Weg-, Hygiene- und Rüstzeiten) bislang in aller Regel nicht als Arbeitszeit vergütet. Lediglich für den Bereich der Fleischverarbeitung besteht eine spezialgesetzliche Grundlage, welche diese Handlungen als Arbeitszeit qualifiziert.

Prüfende Sozialversicherungsträger neigen nun dazu, diese Spezialvorschrift (§ 6 GSA-Fleisch) analog auf andere Lebensmittelbranchen anzuwenden. Eine derartige Qualifizierung von Vor- und Nachbereitungshandlungen als Arbeitszeit bringt jedoch erhebliche rechtliche Probleme mit sich.


 

 

Praxis-Info!

 

Hintergrund

Mit der Frage der Vergütungspflicht derartiger Vor- und Nachbereitungshandlungen haben sich Arbeitsgerichte bereits mehrfach auseinandersetzen müssen. In diesen Entscheidungen knüpfen die Richter für die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der versprochenen Dienste an. Zu diesen versprochenen Diensten zählt dabei laut Rechtsprechung nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt.

Somit können nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch Vor- und Nachbereitungszeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu qualifizieren sein, wenn diese Handlungen im Rahmen des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts erfolgen. Dies hat das BAG in einem Urteil erst kürzlich wieder bestätigt. Für Arbeitgeber kann das zu Nachforderungen führen, weshalb sich die Personalverantwortlichen damit befassen sollten.

 

 

Lösung

Dabei sind die drohenden Folgen für den Arbeitgeber keinesfalls geringzuschätzen. So ist die Vergütungspflicht vor allem sozialversicherungsrechtlich problematisch, da die Beitragsschuld an das vereinbarte Entgelt anknüpft. Wenn Vor- und Nachbereitungshandlungen vergütungspflichtige Arbeitszeiten darstellen, dann besteht regelmäßig das Risiko, dass die zuständigen Behörden neben den nachzuzahlenden Beiträgen auch einen Straftatbestand annehmen.

Der Arbeitgeber kann diesen Problemen präventiv (vorbeugend) entgegenwirken, indem er individualvertragliche Regelungen mit seinen Arbeitnehmern trifft. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann grundsätzlich eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit getroffen werden, oder es kann diese Vergütungspflicht durch eine Regelung im Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag gänzlich abbedungen werden.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Das BAG hatte zu dieser Thematik bereits mit Urteil vom 19.9.2012 (Az.: 5 AZR 678/11) entschieden, dass Umkleidezeiten zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gehören, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. In diesem Fall diene das Umkleiden in erster Linie einem fremden und nicht dem eigenen Bedürfnis, da das Umkleiden aufgrund der Weisung des Arbeitgebers geschieht. In der Entscheidung wurde weiterhin festgestellt, dass in logischer Konsequenz dann auch die Wegezeiten, welche der Arbeitnehmer zurücklegen muss, um von der Umkleide bis zum Arbeitsplatz zu gelangen, als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind.
  • Zwar handelt es sich bei den Urteilen aus 2012 und nun aus 2021 lediglich um Einzelfallentscheidungen, dennoch erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass anderweitige Handlungen gleichermaßen als vergütungspflichtige Arbeitszeiten anzusehen sind. Die verbleibende Rechtsunsicherheit geht in erster Linie zulasten des Arbeitgebers, der sich in der Praxis mit den Folgen nicht vergüteter Arbeitszeit auseinandersetzen muss.

 

 

RA Jan-Erik Twehues, PKF WMS Bruns-Coppenrath & Partner mbB, Osnabrück

BC 1/2022

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