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Zur Rückstellungsbildung für Verpflichtungen aus einem Kundenkartenprogramm

BC-Redaktion

BFH-Urteil vom 29.9.2022 – IV R 20/19

 

Wenn sich ein Handelsunternehmen gegenüber den an seinem Kundenkartenprogramm teilnehmenden Kunden verpflichtet, diesen im Rahmen eines Warenkaufs in Abhängigkeit von der Höhe des Warenkaufpreises Bonuspunkte bzw. Gutscheine zu gewähren, die der Karteninhaber innerhalb des Gültigkeitszeitraums bei einem weiteren Warenkauf als Zahlungsmittel einsetzen kann, gilt Folgendes: Für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte bzw. Gutscheine ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn wahrscheinlich ist, dass die Verbindlichkeit entsteht und dass das Unternehmen in Anspruch genommen werden wird.

Eine entsprechende Anrechnungsverpflichtung stellt keine Verpflichtung im Sinne des § 5 Abs. 2a EStG dar.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Ein Handelsunternehmen (GmbH & Co. KG) hatte in seiner Bilanz zum 31.12.2010 eine Rückstellung für Bonuspunkte und Gutscheine passiviert, die es Inhabern der A-Card gewährt hatte.

Gemeinsam mit Tochterunternehmen und A-Partnerunternehmen gab das Handelsunternehmen die A-Card heraus. Die Inhaber der A-Card erhielten beim Einkauf in den teilnehmenden A-Stores bzw. beim Einkauf im A-Onlineshop Bonuspunkte auf den jeweiligen Wert ihres Einkaufs in Höhe von 3%. Ein Cent entsprach einem Punkt. Die Bonuspunkte wurden auf das Bonuspunktekonto des Karteninhabers übertragen und fortlaufend aufaddiert. Für Karteninhaber, die zum Zeitpunkt der monatlichen Abrechnung innerhalb der letzten 12 vor dem jeweiligen Abrechnungszeitraum liegenden Monate einen Bonuspunktestand von 1.800 erreicht hatten, erhöhte sich der Bonus auf 5%.

Bei Rückgängigmachung des Kaufvertrags (Rückgabe, Umtausch, Reklamation) wurde die entsprechende Gutschrift vom Bonuspunkteguthaben abgezogen.

Die auf dem Bonuspunktekonto gutgeschriebenen Punkte konnten ab einem Punktestand von 250 Punkten (entspricht 2,50 €) im A-Onlineshop eingelöst werden. Hatte das Bonuspunktekonto des Karteninhabers, der einem bestimmten Store zugeordnet war, zum Zeitpunkt der monatlichen Kontoabrechnung einen Bonuspunktestand von mindestens 600 Punkten (entspricht 6 €), erhielt er einen Gutschein in Höhe des tatsächlichen Guthabens ausgestellt. Die Gutscheinbeträge wurden auf volle Euro abgerundet. Nicht in Gutscheine umgewandelte Bonuspunkte (< 100 Punkte) verblieben auf dem Kundenkonto und wurden in den nächsten Abrechnungszeitraum übertragen.

Die Bonuspunkte verfielen, wenn sie älter als 36 Monate waren. Die ausgestellten Gutscheine waren eigentlich 12 Monate gültig, verfielen aber de facto erst, wenn sie älter als drei Jahre waren. Eine Barauszahlung der Bonuspunkte oder Gutscheine war nicht möglich.

Nach Auffassung des Finanzamts durfte für die Einlösungsverpflichtung aus dem Bonuspunktesystem zum Bilanzstichtag weder eine zu passivierende Verbindlichkeit erfasst noch eine ungewisse Verbindlichkeit (in Form einer Rückstellung) gebildet werden. Die aus den Bonuspunkten/Gutscheinen resultierende Verbindlichkeit sei vor dem Bilanzstichtag weder rechtlich entstanden noch wirtschaftlich verursacht und nur der Höhe nach ungewiss. Die Verpflichtung des Handelsunternehmens, aus dem Bonuspunktesystem Rabatte auf weitere Umsätze zu gewähren, sei erst nach dem Bilanzstichtag entstanden. Sie sei zudem durch den für die Rabattgewährung notwendigen Folgekauf wirtschaftlich verursacht. Die Kaufpreisminderung hänge vom weiteren Kaufvertrag ab, zu dessen Abschluss das Handelsunternehmen nicht verpflichtet sei.

Überdies sei die Verpflichtung, den Wert der Bonuspunkte/Gutscheine anzurechnen, von künftig anfallenden Einnahmen abhängig. Die Verrechnung setze den Erwerb von Waren des Handelsunternehmens nach dem Bilanzstichtag voraus, was zu Einnahmen und Gewinnen führe, aus denen Rabatte gewährt werden. Hierfür gelte das Passivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2a EStG.

 

 

Lösung

Das Handelsunternehmen durfte in seiner Bilanz zum 31.12.2010 keine Verbindlichkeiten aus der Gewährung von am Bilanzstichtag nicht eingelösten Bonuspunkten bzw. Gutscheinen ausweisen, weil diese dem Grunde nach noch ungewiss waren (§ 247 Abs. 1 HGB; maßgeblich auch für die Steuerbilanz). Ansprüche und Verpflichtungen entstehen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.

 

 

Bilanzierungshinweis:

Bei Kundengutscheinen ist dann eine Verbindlichkeit zu passivieren, wenn ein Unternehmen sog. „Gutmünzen“ ausgibt und sich gegenüber dem jeweiligen Inhaber verpflichtet, die „Gutmünzen“ unter Anrechnung auf den Kaufpreis zurückzunehmen oder die aufgeprägten Geldbeträge bar auszuzahlen. Aufgrund der Verpflichtung zur Barauszahlung ist nach den Ausgabebedingungen des Unternehmens eine unbedingte und in ihrer Höhe feststehende Verbindlichkeit entstanden.

Werden jedoch Kundengutscheine ausgegeben, die lediglich einen Anspruch auf eine Preisermäßigung im Jahr nach der Ausgabe gewähren, ist die Passivierung einer Verbindlichkeit unzulässig (u.a. keine Barauszahlung möglich). In diesem Fall ist das Entstehen der Verbindlichkeit daher dem Grunde nach noch ungewiss.

 

 

Hingegen musste die GmbH & Co. KG am Bilanzstichtag für die noch nicht eingelösten Bonuspunkte/Gutscheine eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilden. Dies gilt gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 HGB für die Handelsbilanz und über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für die Steuerbilanz.

Es bestand bereits vor dem Bilanzstichtag eine rechtliche Verpflichtung des Handelsunternehmens gegenüber dem Karteninhaber. Diese war darauf gerichtet, im Rahmen eines Folgekaufs auf Verlangen des Karteninhabers dessen im Zusammenhang mit bereits getätigten Wareneinkäufen erworbene Gutscheine bzw. Bonuspunkte auf den Kaufpreis anzurechnen. Dies wurde bewusst als Anreiz für weitere Wareneinkäufe gesetzt. Das von der GmbH & Co. KG angebotene Kundenkartensystem basierte zumindest auf einer faktischen Verpflichtung, mit den Karteninhabern weitere Kaufverträge abzuschließen.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist ...

  • das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder
  • die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach (deren Höhe zudem ungewiss sein kann) sowie
  • ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag,
  • die zu erwartende ernsthafte Inanspruchnahme der Schuldner.

Ist eine Verpflichtung am Bilanzstichtag bereits rechtlich entstanden, bedarf es keiner Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung mehr, weil eine Verpflichtung spätestens im Zeitpunkt ihrer rechtlichen Entstehung auch wirtschaftlich verursacht ist.

 

 

Bilanzierungshinweis:

Bei Kundengutscheinen ist die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten dann unzulässig, wenn die Verbindlichkeiten im Ausgabejahr weder rechtlich entstanden noch wirtschaftlich verursacht und nur der Höhe nach ungewiss sind. Dies ist der Fall bei einem Preisnachlass für künftige Dienstleistungen, die noch nicht bezogen wurden. Die mit den Gutscheinen versprochene Preisminderung für künftige, während des Geltungszeitraums in Anspruch zu nehmende Dienstleistungen ist nicht bereits durch das Versprechen im Ausgabejahr (z.B. bei (Weihnachts-)Geschenken oder einem „Dankeschön“ für die Treue), sondern erst durch die Dienstleistung im Folgejahr, für die die Preisminderung gewährt wird, wirtschaftlich verursacht. Der Anspruch auf Preisermäßigung kann wirtschaftlich nicht schon früher verursacht sein als das Geschäft, auf das er sich bezieht.

 

 

Im Streitfall hängt der Anrechnungsanspruch des Karteninhabers dem Grunde und der Höhe nach vom ersten Warenkauf ab. Die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Anrechnungsverpflichtung sind mit dem ersten Warenkauf durch den am Kundenkartensystem teilnehmenden Kunden verwirklicht (Nachlass auf bereits getätigte Einkäufe).

Demgegenüber ist der weitere Warenkauf zwar aus der Sicht des Karteninhabers notwendig, um die tatsächliche Anrechnung seines in Gestalt von Bonuspunkten bzw. Gutscheinen gesammelten Guthabens zu erreichen. Dieser Kauf bildet allerdings lediglich den Rahmen der Erfüllung der Anrechnungsverpflichtung des Handelsunternehmens und damit die Realisierung des vom Karteninhaber bereits verdienten Vorteils; er bringt den Vorteil des Karteninhabers aber weder zur Entstehung, noch hat er Einfluss auf dessen Höhe.

Die vorangegangenen Ausführungen machen für die Bonuspunkte und Gutscheine auch eine Inanspruchnahme, mit der ernsthaft zu rechnen ist, deutlich. Nach den Erfahrungswerten im Streitfall für die Jahre 2006 bis 2009 ergab sich eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme von 60%, im Onlineshop sogar eine Wahrscheinlichkeit von über 80%.

Es wird kein Ausübungsrecht eingeräumt, das von „Exit-Ereignissen“ und zukünftigen Wertentwicklungen abhängig ist.

Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG steht dem nicht entgegen. Danach sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst dann anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Im Streitfall überlässt das Handelsunternehmen jedoch dem teilnehmenden Kunden im Rahmen des (ersten) Warenkaufs zulasten seines am Bilanzstichtag (31.12.2010) vorhandenen Vermögens ein besonderes Zahlungsmittel, das der Kunde bei einem nächsten Einkauf, der auch erst nach dem Bilanzstichtag erfolgen kann, einsetzen darf.

Zudem fehlt eine Erfüllungsbeschränkung, die an den Anfall künftiger Einnahmen oder Gewinne anknüpft. Denn der Kunde kann jederzeit weitere Einkäufe tätigen und zur Bezahlung Bonuspunkte/Gutscheine einsetzen und damit die Erfüllungspflicht des Handelsunternehmens auslösen.

 

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 1/2023

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