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Dornenhecke, Dornröschenschlaf und Dunkelheit - Zur Ämtervergabe im Datenschutz

Ein Scheitern in acht Akten

Professor Dr. Johannes Caspar ist Rechtsphilosoph und Jurist, Autor, Honorarprofessor an der Universität Hamburg, Vorsitzender des Beirats von Transparency International Deutschland und war Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit von 2009 bis 2021.

ZD 2023, 577   Es war der Vorabend einer neuen Zeitrechnung für die massenhafte Verarbeitung von Subjektivität: Ende Mai 2018, Startschuss für die DS-GVO, Europas Antwort auf Facebook, Google und eine Welt, in der die Menschen mit ihrer Individualität selbst zur Ressource des gesellschaftlichen Wandels geworden sind.

Während in Brüssel das neue Recht des Datenschutzes in Sektlaune begrüßt wurde, rang das Parlament in Sachsen-Anhalt um die Nachfolge des langjährigen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, dessen reguläre Amtszeit bereits ein Jahr zuvor abgelaufen war. Die Politik hatte es nicht vermocht, die Wahl der Nachfolge des langjährigen Amtsinhabers Harald von Bose früher in die Wege zu leiten.

Dass sich politische Verhandlungen über die Amtsnachfolge in den Bundesländern in die Länge ziehen, hat durchaus Tradition in Deutschland. Diejenigen, die diese Funktion übernehmen, müssen nach Ablauf ihrer Wahlperiode monatelang, mitunter sogar jahrelang im Amt ausharren.

Das, was sich im Folgenden in Magdeburg abspielen sollte, war jedoch deutschlandweit eine Premiere: Hier hatte ein ausgewiesener Datenschutzexperte bereits im März 2018 in zwei Wahlgängen die erforderliche Mehrheit im Parlament verfehlt. Dass Nils Leopold sich nach Treueschwüren aus den Fraktionen dann nochmals zur Wahl stellte, wurde nicht honoriert. Das Landesparlament ließ ihn erneut bei der dritten Abstimmung durchfallen.

Die Akte eins bis drei waren der Auftakt für ein Kandidatenkarussell, das, einmal in Gang gesetzt, sich bis heute dreht: Selbst das Absenken der Hürden des Wahlverfahrens durch Änderung der Verfassung, um die erforderliche Zweidrittelmehrheit in eine einfache Mehrheit umzuwandeln, sowie die Aufhebung der transparenten Ausschreibungsregelung halfen nicht. Keinem Kandidaten ist es bis heute gelungen, hinter die undurchdringliche Dornenhecke in das Amt zu gelangen, um Dornröschen wachzuküssen.

Zwei weitere Wahlgänge, die Akte vier und fünf, fanden im Verlauf des Jahres 2022 statt. Selbst der erfahrene langjährige stellvertretende Datenschutzbeauftragte Albert Cohaus, der die Behörde seit 2021 kommissarisch leitet, fand keine Mehrheit, ebenso wenig die anderen Kandidaten, die sich mit ihm zur Wahl gestellt hatten.

Als Ende Juni 2023 die CDU-Fraktion überraschend und ohne den Ballast eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens einen neuen Kandidaten aus dem Hut zauberte, schien endlich alles perfekt zu werden. Würde sich erweisen, dass die politische Praxis des Hinterzimmers am Ende besser funktioniert als eine transparente Kandidatensuche? Drei Wahlgänge später, nach den Akten sechs, sieben und acht zeigte sich: Der Überraschungskandidat scheiterte ebenfalls.

Wie viele Prinzen oder Prinzessinnen werden noch im Dornengestrüpp für ihr kühnes Unterfangen in der Stadt an der Elbe bezahlen? Das Einzige, was derzeit klar ist: Kandidaten, Transparenz und politische Glaubwürdigkeit befinden sich dort auf der Verliererstraße.

Systematisches Nein und demokratischer Verfassungsstaat

Natürlich wäre es verfehlt zu erwarten, dass demokratische Verfahren nach dem Effizienzschema des Fließbands verlaufen. Wer sich einer demokratischen Wahl stellt, kann scheitern. Das ist zwingend die Folge freier und geheimer Wahlen.

Wenn einzelne Personen keine Mehrheit bekommen, ist das die eine Sache. Anders liegt es jedoch, wenn über den Verlauf eines halben Jahrzehnts hinweg ein Verfassungsamt nicht besetzt werden kann. Würde die künftige Wahl der Bundesverfassungsrichter nach diesem Schema verlaufen, hätte der Zweite Senat Stand 2028 nur noch drei Mitglieder.

Nun ließe sich das Scheitern der Wahlverfahren mit den schwierigen politischen Verhältnissen in Sachsen-Anhalt abtun. Aber die Verweigerung der Politik betrifft einen besonderen Bereich. Sie trifft weder eine herausgehobene Richterstelle, die Leitung des Landesrechnungshofs oder eine andere herausgehobene Funktion in der Landesverwaltung, sondern den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Das „Nein“ wird so zum Ausdruck einer Anti-Stimmung gegen das Amt selbst. Der demokratische Wahlakt wird zum Vehikel einer politischen Fundamentalobstruktion.

Dies widerspricht nicht nur der Landesverfassung, sondern auch dem Primär- und Sekundärrecht der EU. Die Grundrechtecharta sieht in Art. 8 GRCh vor, dass der Schutz personenbezogener Daten von einer unabhängigen Stelle ausgeübt werden kann. Dieses Amt zu besetzen, steht gerade nicht im Ermessen politischer Gremien. Ein permanentes „Nein“ verletzt damit nicht nur die grundrechtliche Schutzpflicht für Bürgerinnen und Bürger. Grundrechtssensible Entscheidungen müssen durch einen demokratisch legitimierten Amtsinhaber getroffen werden.

Dem Staate als Beute

Nach Verzicht auf eine öffentliche Ausschreibung haben es die Fraktionen im Landtag in der Hand, die ihnen genehmen Kandidaten zu präsentieren. Den Elfmeterpunkt näher Richtung Tor zu verlegen, hilft zwar auch dann nicht weiter, wenn der Schütze gar nicht in das Tor treffen will. Dieses Manöver verschiebt jedoch das Amt als formbare Verfügungsmasse in die politischen Hinterzimmer.

Hier nun weitet sich die Perspektive: Die Absage an ein offenes Stellenbewerbungsverfahren bei der Besetzung der unabhängigen Stelle ist keine Besonderheit in Sachsen-Anhalt, sondern ein weit verbreitetes Phänomen in Deutschland. Ihm folgt selbst der Bundestag bei der Wahl des oder der BfDI (vgl. https://www.netzwerk-datenschutzexpertise.de/sites/default/files/gut_2021_bestellgbfdilfd03.pdf, S. 5).

Politisch erscheint es völlig widersprüchlich, gerade das höchste Wächteramt über die Datenverarbeitung, das mit der Aufsicht über Informationsfreiheit und die Transparenz verbunden ist, unter Umgehung einer öffentlichen Ausschreibung vorzunehmen.

Als machtpolitischer Schachzug hingegen wird dies verständlich. Wahl und gerade die Wiederwahl sind das politische Faustpfand gegenüber einer Stelle, deren Aufgabe es ist, die Staatsgewalt im Umgang mit Informationen zu kontrollieren und nötigenfalls auch zu sanktionieren. Es verschafft den zu Kontrollierenden die Auswahl über die Kontrolleure und ermöglicht es, sie auch geräuschlos wieder loszuwerden. Zudem schwächt es die Unabhängigkeit und Entschlusskraft der Amtsinhaber. Denn eine Wiederwahl gegen die politische Mehrheit wird es nicht geben.

Newcomer wie Amtsinhaber - gleichermaßen chancenlos

Nicht nur politisch ist der Verzicht auf eine öffentliche Ausschreibung fragwürdig. Sie ist auch rechtlich höchst problematisch. Die DS-GVO fordert bei der Ernennung von unabhängigen Stellen ein transparentes Verfahren, Art. 53 Abs. 1 S. 1 DS-GVO.

Gegen die im Juni 2023 in Sachsen-Anhalt geplante Stellenbesetzung durch einen Kandidaten einer Fraktion hatte der Verwaltungsrichter Malte Engeler einen gerichtlichen Eilantrag gestellt, um sich selbst bewerben zu können. Etwa zeitgleich hierzu setzte sich im benachbarten Bundesland Barbara Thiel, die langjährige Datenschutzbeauftragte Niedersachsens, gegen die Wahl eines Nachfolgers zur Wehr, der durch den Ministerpräsidenten ohne Ausschreibungsverfahren überraschend für sie als Ersatz präsentiert worden war.

Beide Eilanträge wurden von den angerufenen Gerichten zurückgewiesen. Art. 53 Abs. 1 DS-GVO erfordere weder eine öffentliche Aufforderung zur Bewerbung iSe öffentlichen Ausschreibung noch eine Anhörung der Kandidaten (OVG Sachsen-Anhalt ZD 2023, 627 - in diesem Heft; VG Hannover ZD 2023, 575, bereits zuvor VG Schleswig Beschl. v. 19.8.2020 - 12 B 36/20.). Die politische Bühne schaffe per se hinreichende Verfahrensoffenheit. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen und das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen im Parlament stellten ausreichend Transparenz über die Stellenbesetzung her. Einer Vorlage an den EuGH brauche es daher nicht (OVG Sachsen-Anhalt ZD 2023, 627 mit Hinweis auf Erwägungsgrund 121 DS-GVO).

Doch diese Annahme ist fraglich. Die Ausgestaltung des transparenten Verfahrens wird weder in Art. 53 DS-GVO noch im Erwägungsgrund 121 DS-GVO näher beschrieben. Der darin enthaltene Hinweis auf das Vorschlagsrecht des Parlaments oder einer Parlamentskammer macht die öffentliche Ausschreibung keineswegs obsolet. So kann es als Erfordernis der Transparenz angesehen werden, dass der personelle Vorschlag erst nach einer öffentlichen Ausschreibung erfolgt.

Intransparenz fördert Inkompetenz

Aus Art. 33 Abs. 2 GG ergibt sich zudem ein subjektives Recht, nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt zu haben. Objektiv-rechtlich enthält diese Bestimmung den Grundsatz der Bestenauslese. Dass Kenntnisse und Qualifikationen über die Vergabe von öffentlichen Ämtern und nicht Parteilichkeit und Partikularinteressen entscheiden, dient letztlich dem Gemeinwohl.

Das gilt nach Auffassung der Rechtsprechung jedoch nicht für Ämter auf staatlicher Ebene, die durch demokratische Wahlen auf Zeit besetzt werden (BVerfG NJW 2016, 3425 (3426)). Während der verfassungsrechtliche Zugangsanspruch etwa zum Amt eines Bundesrichters eröffnet ist, bleibt er für Ämter, die organisatorisch oder funktionell zum Bereich der obersten Staats- oder Kommunalverfassungsorgane gehören, außen vor. OVG Sachsen-Anhalt wie auch VG Hannover sehen das Amt des oder der Beauftragten für Datenschutz so auch als politisches Amt, das eher einem Landrat oder einem Bürgermeister als einem Berufsrichter entspricht.

Zu den Voraussetzungen für die Amtsinhaber gehören gem. Art. 53 Abs. 2 DS-GVO jedoch die erforderliche Qualifikation, Erfahrung und Sachkunde im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten. Die fachliche Eignung lässt sich nicht durch politisches Handauflegen bestimmen. Es braucht hierfür zumindest eine Vorprüfung, mit der die Qualifikation der zur Wahl stehenden Kandidaten festgestellt wird. Tatsächlich bleibt dieses in der Praxis jedoch häufig außen vor.

Bereits der Eindruck, dass in der Vergangenheit Personen in das Amt gewählt wurden, von denen mangels persönlicher Kompetenz wenig Widerstand gegen die Regierungspolitik erwartet wurde (so Weichert ZD 2022, 73), ist für das Amt desaströs. Es ist dies nicht zuletzt auch für jene Amtsträger, die kompetent, aber ohne Ausschreibung in das Amt gelangen. Der Verzicht auf öffentliche Ausschreibung sowie auf ein objektvierbares Verfahren zur Kontrolle der Eignungsvoraussetzungen wird der Bedeutung des Amts daher in keiner Weise gerecht.

Der Weg durch die Dornenhecke: Das Volk entscheiden lassen!

Das Amt des oder der LfD ist ein exekutives Amt sui generis. Es ist nicht in die Hierarchie der Ministerialbürokratie einzuordnen. Datenschutzbeauftragte sind ihrer Funktion nach so etwas wie Anwälte der kleinen Leute, die deren Rechte zu schützen haben und die deshalb eine besondere Form der Unabhängigkeit genießen (näher dazu Caspar, Wir Datensklaven. Wege aus der digitalen Ausbeutung, S. 251 f.).

Warum also nicht die Argumentation der Rechtsprechung, insbesondere des OVG Sachsen-Anhalt, beim Wort nehmen und das Amt als ein Wahlamt in seiner klarsten Ausprägung behandeln? Was für Bürgermeister und Landräte recht ist, kann für die Beauftragten nur billig sein. Personen, die die Zulassungsvoraussetzungen zur Kandidatur erfüllen und sich für dieses Amt berufen sehen, sollten sich künftig dem unmittelbaren Votum durch das Volk stellen, dem sie letztlich dienen. Gerade auch Kandidatinnen und Kandidaten, die bislang im zivilgesellschaftlichen Kontext für die digitalen Rechte und Freiheiten der Menschen eintreten, hätten auch ohne politische oder regierungsbeamtliche Laufbahn eine Chance, die parteipolitische Dornenhecke zu überwinden.

Doch wäre dies mit den europäischen Rechtsvorgaben vereinbar? Nach Art. 53 Abs. 1 DS-GVO haben die Mitgliedstaaten vorzusehen, dass jedes Mitglied einer Aufsichtsbehörde vom Parlament, von der Regierung, vom Staatsoberhaupt oder von einer unabhängigen Stelle ernannt wird. Ein Hindernis für eine unmittelbare Bürgerwahl ist dem nicht zu entnehmen. Zum einen ist das Wahlvolk die unabhängigste Stelle, die es in der Demokratie gibt (so auch Sydow/Marsch, DS-GVO/BDSG/Ziebarth, 3. Aufl. 2022, DS-GVO Art. 53 Rn. 14). Zum anderen regelt der Wortlaut nicht die Wahl, sondern die Ernennung. Der förmliche Akt der Ernennung muss insoweit nicht mit dem gestaltenden Akt der Wahl zusammenfallen.

Eine Koppelung der Amts- an die Legislaturperiode des Parlaments könnte künftig zudem eine hohe Wahlbeteiligung ermöglichen. Der faire und offene Wettbewerb würde das Amt erheblich stärken. In Sachsen-Anhalt bietet sich mit der Bürgerwahl des oder der LfD zudem ein transparenter und demokratischer Weg, der jahrelangen Selbstblockade zu entkommen. Aber auch für eine direkte Wahl der Beauftragten muss das dortige Parlament zunächst den Weg über die Verfassung frei machen. Dass es das Amt aufwertet, zu dessen Abwertung es jahrelang beigetragen hat, wäre eine durchaus positive Überraschung.

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