Von Prof. Dr. Andreas Ransiek, Universität Bielefeld
„Das Strafrecht ist immer nur Ultima Ratio. (…) Wir (…) legen einen Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz.“ So der Koalitionsvertrag 2021. Wenn er auch inzwischen Geschichte ist: Welche künftige Regierung würde diese Einsicht nicht teilen? Entscheidungen über das Strafrecht sollen besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit sein, es soll elementare Werte des Gemeinschaftslebens sichern (BVerfGE 123, 267 [359, 408]).
Manche Modernisierungen des Strafrechts, die in den letzten Jahren umgesetzt oder ins Auge gefasst wurden, gehen zaghaft in diese Richtung: Angekündigt wurde eine Entkriminalisierung des Schwarz-fahrens; allerdings keine vollständige, sondern eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit. Geprüft wurde, ob der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort entfallen kann; allerdings nicht, wenn Personen zu Schaden kamen. § 219a StGB wurde gestrichen. Seit April 2024 ist der Konsum von Cannabis für Volljährige mit Beschränkungen legal. Bis zu drei Pflanzen dürfen gleichzeitig straffrei in Privatwohnungen angebaut werden. Zum Ziel der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden passt das kaum – wer kontrolliert, ob jemand eine vierte Pflanze hat? Die Länder klagen zurzeit über erheblichen Arbeitsaufwand durch die Amnestieregelung des Art. 313 EGStGB. Eine teilweise Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Regelungsbereich des StGB würde Grundsatzfragen berühren, im strafrechtlichen Ergebnis aber wohl nichts ändern.
Selbst wenn solche Pläne künftig umgesetzt werden: Im Wirtschaftsstrafrecht ist von Entkriminalisierung keine Rede. Hier gibt es nicht weniger, sondern immer mehr kleinteiliges Strafrecht. Nach §§ 86, 87 GmbHG wird etwa u.a. bestraft, wer als Mitglied eines Prüfungsausschusses einer Gesellschaft, die ein Unternehmen von öffentlichem Interesse nach § 316a S. 2 Nr. 1 oder 2 HGB ist, eine in § 87 Abs. 1 GmbHG bezeichnete Handlung beharrlich wiederholt. Das tut nach dessen Nr. 1 das Mitglied eines solchen Ausschusses, welches die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers oder der Prüfungsgesellschaft nicht nach Maßgabe des Art. 4 Abs. Unterabs. 2, des Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 1 oder des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 vom 16. April 2014 überwacht. AktG und HGB haben entsprechende Regelungen.
(Wirtschafts-)Strafrecht ist eine wunderbare „After-Disziplin“ (Eckhard Horn) am Ende aller nur denkbaren Spezialgesetze. Wie war das mit dem Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens?