Und darum ging es im Fall: Fininvest, eine italienische Holdinggesellschaft, befand sich mehrheitlich im Besitz des 2023 verstorbenen Silvio Berlusconi. Die Holding hielt Anteile an Mediolanum, einem börsennotierten Finanzunternehmen, das seinerseits 100% des Kapitals des Kreditinstituts Banca Mediolanum hielt.
2014 ordnete die italienische Zentralbank die Veräußerung der 9,99% übersteigenden Beteiligung von Fininvest an Mediolanum innerhalb von 30 Monaten an und setzte die den zu veräußernden Anteilen entsprechenden Stimmrechte mit sofortiger Wirkung aus. Grund dafür war die Verurteilung Berlusconis wegen Steuerbetrugs, die dazu führte, dass er die für das Halten einer solchen qualifizierten Beteiligung erforderliche Leumundsanforderung nicht mehr erfüllte. Silvio Berlusconi wurde 2018 rehabilitiert. Der Beschluss der italienischen Zentralbank wurde im März 2016 vom italienischen Staatsrat aufgehoben.
In der Zwischenzeit wurde Mediolanum im Jahr 2015 von ihrer Tochtergesellschaft Banca Mediolanum übernommen. Infolge dieser Übernahme und des genannten Urteils des italienischen Staatsrats vertraten die italienische Zentralbank und die EZB die Ansicht, dass Berlusconi und Fininvest eine qualifizierte Beteiligung am Kapital der Banca Mediolanum erworben hätten.
Sie beriefen sich auf Art. 4 Abs. 1 Nr. 36 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 vom 26.6.2013, der die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen regelt. Danach versteht man unter der qualifizierten Beteiligung das direkte oder indirekte Halten von Anteilen an einem Unternehmen, das mindestens 10% des Kapitals oder der Stimmrechte dieses Unternehmens repräsentiert oder das anderweitig die Wahrnehmung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung dieses Unternehmens ermöglicht.
Die genannte Verordnung und die hier zur Anwendung gekommene Richtlinie 2013/36/EU sieht vor, dass einem solchen Erwerb eine Anzeige voranzugehen hat und er von der zuständigen nationalen Behörde zu prüfen ist, die dann einen Vorschlag für einen Beschluss an die EZB übermittelt. Anschließend entscheidet dann die EZB, ob sie den in Rede stehenden Erwerb der qualifizierten Beteiligung ablehnt. Die im Fall von der italienischen Zentralbank eingeschaltete EZB lehnte den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch Berlusconi hier ab, da er das Leumundskriterium nicht erfülle.
Berlusconis Klage wegen Rechtsfehler im zweiten Anlauf erfolgreich
Die von Silvio Berlusconi und Fininvest erhobene Klage auf Nichtigerklärung dieses EZB-Beschlusses wurde vom EuG abgewiesen, der EuGH hat jetzt auf das Rechtsmittel von Fininvest und Berlusconis Rechtsnachfolger den Beschluss für nichtig erklärt (Urteil vom 19.09.2024 - C-512/22 P (Fininvest/EZB) und C-513/22 P (Berluscon/EZB)). Das EuG habe den Sachverhalt des Rechtsstreits verfälscht und einen Rechtsfehler begangen, als es davon ausging, dass die Kläger 2016 eine qualifizierte Beteiligung an der Banca Mediolanum erworben hätten, so die Luxemburger Richterinnen und Richter.
Dieser Fehler beruhe auf der Verkennung der Tragweite des Beschlusses der italienischen Zentralbank aus dem Jahr 2014. Dieser habe - entgegen der Rechtsansicht des EuG - nicht zu einer Verringerung der Beteiligung von Fininvest an Mediolanum geführt, sondern lediglich die Aussetzung der Stimmrechte aus den der Pflicht zur Veräußerung unterliegenden Aktien zur Folge gehabt. Diese Veräußerung hätte erst innerhalb von 30 Monaten über eine mit dem Verkauf der Aktien betraute Treuhandgesellschaft erfolgen sollen. Zum Zeitpunkt der Aufhebung des Beschlusses durch den italienischen Staatsrat habe sich die streitige Beteiligung also nicht verändert gehabt, so der EuGH.
Auch die Umgestaltung ihrer Haltestruktur aufgrund der Aufnahme von Mediolanum in die Banca Mediolanum führte laut dem höchsten Unionsgericht zu keinem anderen Ergebnis. Folglich könne nicht vom Erwerb einer qualifizierten Beteiligung durch Berlusconi im Jahr 2016 ausgegangen werden, der eine Anzeige und eine Prüfung durch die zuständigen Behörden erfordert hätte.
Silvio Berlusconi habe lediglich eine qualifizierte Beteiligung behalten, die er bereits früher erworben hatte, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem die von der EZB angewandten unionsrechtlichen Bestimmungen noch nicht in italienisches Recht umgesetzt worden waren. Da diese Bestimmungen nicht rückwirkend gelten, konnte die EZB das Halten einer qualifizierten Beteiligung an der Banca Mediolanum durch Silvio Berlusconi auch nicht rechtmäßig ablehnen, so der EuGH abschließend (Urteil vom 19.09.2024 - C-512/22 P).