Sozialhilfe für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie mindestens zehn Jahre in einem EU-Staat gewohnt haben. Denn dabei handelt es sich laut EuGH um eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung.
In Italien sind zwei langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige wegen einer Straftat angeklagt, weil sie bei der Beantragung von Sozialhilfe ("Mindesteinkommen für Staatsangehörige") wahrheitswidrig erklärt haben sollen, die Leistungsvoraussetzungen zu erfüllen. Zu diesen zählt, dass sie mindestens zehn Jahre, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen, in Italien gewohnt haben müssen. Das damit befasste italienische Gericht hatte Zweifel, ob das mit der Richtlinie 2003/109/EG über langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige vereinbar ist, und schaltete den EuGH ein.
Der EuGH hat die Einschätzung des Vorlagegerichts bestätigt. Die Sozialhilfe dürfe für aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige nicht an die genannte Wohnsitzvoraussetzung geknüpft werden (Urteil vom 29.07.2024 - C-112/22 CU, C-223/22 ND). Dabei handele es sich um eine mittelbare Diskriminierung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Zwar gelte das Erfordernis auch für Inländer, es betreffe aber hauptsächlich Ausländer. Die Ungleichbehandlung lasse sich auch nicht mit den unterschiedlichen Bindungen der eigenen Staatsangehörigen und der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen an den (hier: italienischen) Staat rechtfertigen.
Nach der Richtlinie setze die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten einen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats voraus. Der EU-Gesetzgeber habe diesen Zeitraum als ausreichend erachtet für einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen dieses EU-Staats, insbesondere wenn es um soziale Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz gehe. Ein Mitgliedstaat könne die nach der Richtlinie erforderliche Aufenthaltsdauer daher nicht einseitig verlängern. Der EuGH hält auch fest, dass eine falsche Erklärung zu einer unionsrechtswidrigen Wohnsitzvoraussetzung nicht strafrechtlich geahndet werden darf (Urt. v. 29.7.2024 - C-112/22).
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EuGH, Sozialrechtliche Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen, NVwZ 2012, 950