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Massenentlassungsanzeige bezweckt keinen Individualschutz der Arbeitnehmer

EuGH
Die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, den Be­hör­den in einem frü­hen Sta­di­um be­ab­sich­tig­ter Mas­sen­ent­las­sun­gen In­for­ma­tio­nen dar­über mit­zu­tei­len, hat nicht den Zweck, den Ar­beit­neh­mern In­di­vi­du­al­schutz zu ge­wäh­ren. Die Mit­tei­lung er­folgt nur zu In­for­ma­ti­ons- und Vor­be­rei­tungs­zwe­cken für die zu­stän­di­ge Be­hör­de. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof auf eine Vor­la­ge des Bun­des­ar­beits­ge­richts ent­schie­den.

Ende 2019 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH eröffnet und am 17.01.2020 beschlossen worden, die Geschäftstätigkeit der GmbH bis spätestens 30.04.2020 einzustellen und Massenentlassungen vorzunehmen.

Ebenfalls am 17.01.2020 leitete das Unternehmen das Verfahren zur Konsultation des Betriebsrats in seiner Funktion als Arbeitnehmervertreter ein und teilte dem Betriebsrat die in der Richtlinie über Massenentlassungen genannten Informationen mit. Der zuständigen Behörde – der Agentur für Arbeit Osnabrück – wurde jedoch keine Abschrift dieser schriftlichen Mitteilung zugeleitet.

Am 22.01.2020 erklärte der Betriebsrat, dass er keine Möglichkeit sehe, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Am 23.01.2020 teilte die GmbH den Entwurf der Massenentlassung der Agentur für Arbeit Osnabrück mit. Anschließend beraumte diese Beratungstermine für die meisten der von den beabsichtigten Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer, so auch für den Kläger, an.

Kündigung wegen unterbliebener Übermittlung nichtig?

Vor den deutschen Gerichten monierte der Arbeitnehmer, dass der zuständigen Agentur für Arbeit keine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat übermittelt worden sei, obwohl dies eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Entlassung darstelle.

Das in der Revisionsinstanz mit der Sache befasste BAG sah einen Verstoß gegen das deutsche Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Massenentlassungen in nationales Recht. Weder die Richtlinie noch das nationale Recht sehe jedoch eine ausdrückliche Sanktion für einen solchen Verstoß vor. Daher hatte das BAG Zweifel, ob der Verstoß zwangsläufig zur Nichtigkeit einer Kündigung führt und fragte den EuGH.

EuGH verneint Individualschutz

Der EuGH verneint die Nichtigkeit. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest bestimmter Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln, habe nicht den Zweck, den betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren.

Zum einen ermögliche die Übermittlung der fraglichen Informationen es der zuständigen Behörde nur, sich über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, einen Überblick zu verschaffen.

Zum anderen werde der Behörde im Verfahren der Konsultation der Arbeitnehmervertreter keine aktive Rolle zugewiesen. Sie sei nur die Adressatin einer Abschrift bestimmter Bestandteile der fraglichen Mitteilung – im Gegensatz zu ihrer aktiven Rolle in späteren Abschnitten des Verfahrens. Im Übrigen setze die fragliche Übermittlung weder eine vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist in Gang, noch schaffe sie eine Verpflichtung für die zuständige Behörde.

Anzeige dient allein Informations- und Vorbereitungszwecken

Daher erfolge die Übermittlung nur zu Informations- und Vorbereitungszwecken, damit die zuständige Behörde gegebenenfalls ihre weiteren Befugnisse wirksam ausüben kann. Die Verpflichtung, Informationen zu übermitteln, solle es ihr ermöglichen, die negativen Folgen beabsichtigter Massenentlassungen so weit wie möglich abzuschätzen und Lösungen vorzubereiten.

Ziel sei gerade nicht, dass sich die Behörde bereits zu diesem Zeitpunkt mit der individuellen Situation jedes einzelnen Arbeitnehmers befasse.

zu EuGH, Urteil vom 13.07.2023 - C-134/22

 

Zum Thema im Internet

Den Volltext des EuGH-Urteils finden Sie auf den Seiten der europäischen Justiz.

Aus der Datenbank beck-online

BAG, Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 17 III 1 KSchG bei Massenentlassung – Vorlage an den EuGH, NZA 2022, 491, mit Anmerkung von Krieger in FD-ArbR 2022, 445345

LAG Hannover, Keine Unwirksamkeit der Kündigung bei Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, ZRI 2021, 384

ArbG Osnabrück, Kündigungsschutzklage, Betriebsstilllegung, Kündigungsfrist, Insolvenzverfahren, Eigenverwaltung, Interessenausgleich, Anhörung des Betriebsrats, Massenentlassungsanzeige, BeckRS 2020, 42366

Ludwig/Hinze, Das Massenentlassungsanzeigeverfahren – häufige Fehler und Vermeidungsstrategien, NZA 2020, 694

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