OLG Stutt­gart: Frei­heits­stra­fe aus schwei­ze­ri­schem Straf­ur­teil wegen Ge­schwin­dig­keits­über­schrei­tun­gen darf voll­streckt wer­den

Ein in der Schweiz er­gan­ge­nes Straf­ur­teil gegen einen deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen zu einer Frei­heits­stra­fe von zwölf Mo­na­ten wegen Ge­schwin­dig­keits­über­schrei­tun­gen unter an­de­rem im Gott­hard-Tun­nel wird in Deutsch­land voll­streckt. Das Ober­lan­des­ge­richt Stutt­gart hat die Voll­stre­ckung am 25.04.2018 für zu­läs­sig er­klärt, ob­wohl die zu­grun­de lie­gen­den Taten des in Deutsch­land wohn­haf­ten Man­nes hier­zu­lan­de als Ord­nungs­wid­rig­kei­ten nur eine Geld­bu­ße nach sich ge­zo­gen hät­ten (Az.: 1 Ws 23/18).

Ver­ur­tei­lung zu Frei­heits­stra­fe von 30 Mo­na­ten

Der heute 43 Jahre alte, im Kreis Lud­wigs­burg wohn­haf­te Ver­ur­teil­te wurde am 20.02.2017 durch das Ge­schwo­re­nen­ge­richt des Kan­tons Tes­sin wegen "Ge­fähr­dung des Le­bens und wie­der­hol­ter gro­ber qua­li­fi­zier­ter Ver­let­zung der Ver­kehrs­re­geln" rechts­kräf­tig zu der Frei­heits­stra­fe von 30 Mo­na­ten unter Abzug der er­lit­te­nen Un­ter­su­chungs­haft ver­ur­teilt. Hier­von wurde ein "be­ding­ter Straf­voll­zug von 18 Mo­na­ten in einer Pro­be­zeit von drei Jah­ren ge­währt". Der Rest der Stra­fe ist nach dem schwei­ze­ri­schen Ur­teil zu ver­bü­ßen.

Über­hol­ma­nö­ver unter deut­li­cher Über­schrei­tung des Tem­po­li­mits

Dem in Ab­we­sen­heit er­gan­ge­nen Ur­teil lag fol­gen­der Sach­ver­halt zu­grun­de: Am 14.07.2014 war der Ver­ur­teil­te mit sei­nem BMW Z4 bei einer zu­läs­si­gen Höchst­ge­schwin­dig­keit von 80 km/h mit einer Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von 135 km/h durch den Gott­hard-Tun­nel ge­fah­ren und hatte dabei zehn Über­hol­ma­nö­ver von ins­ge­samt 15 Fahr­zeu­gen durch­ge­führt. Wei­te­re fünf Über­hol­ma­nö­ver führ­te er kurz dar­auf im Piot­ti­no-Tun­nel durch. Mit einer Ge­schwin­dig­keit von mehr als 200 km/h fuhr er - trotz des Tem­po­li­mits von 120 km/h auf schwei­ze­ri­schen Au­to­bah­nen - wei­ter, auch um der Po­li­zei, die seine Ver­fol­gung auf­ge­nom­men hatte, zu ent­kom­men. Zu die­sem Sach­ver­halt kamen drei wei­te­re er­heb­li­che Ge­schwin­dig­keits­ver­stö­ße am 12.07.2014 auf schwei­ze­ri­schen Au­to­bah­nen hinzu.

Schweiz be­an­trag­te Voll­stre­ckung in Deutsch­land

Da der Ver­ur­teil­te sei­nen Wohn­sitz in Deutsch­land hat, stell­te das Schwei­ze­ri­sche Bun­des­amt für Jus­tiz bei den deut­schen Be­hör­den den An­trag, die Stra­fe gegen den deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen in Deutsch­land zu voll­stre­cken. Das Land­ge­richt Stutt­gart hatte dies mit Be­schluss vom 15.03.2018 mit der Be­grün­dung ab­ge­lehnt, dass das frag­li­che Ver­hal­ten in Deutsch­land nur als Ord­nungs­wid­rig­keit zu wer­ten sei, wegen der nur eine Geld­bu­ße ver­hängt wer­den könne. Die Voll­stre­ckung einer Frei­heits­stra­fe von einem Jahr sei im Hin­blick dar­auf un­ver­hält­nis­mä­ßig. Die Voll­stre­ckung des in der Schweiz er­gan­ge­nen Ur­teils wi­der­spre­che we­sent­li­chen Grund­sät­zen der deut­schen Rechts­ord­nung.

OLG: Recht auf fai­res Ver­fah­ren ein­ge­hal­ten

Auf die so­for­ti­ge Be­schwer­de der Staats­an­walt­schaft Stutt­gart hat das OLG die­sen Be­schluss nun auf­ge­ho­ben und die Voll­stre­ckung einer Frei­heits­stra­fe von zwölf Mo­na­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land für zu­läs­sig er­klärt. Der Voll­stre­ckung stehe nicht ent­ge­gen, dass das schwei­ze­ri­sche Ur­teil in Ab­we­sen­heit er­gan­gen sei. Denn der Ver­ur­teil­te habe Kennt­nis vom Ver­fah­ren ge­habt und habe vom schwei­ze­ri­schen Ge­richt La­dun­gen unter Hin­weis auf die Fol­gen sei­nes Nicht­er­schei­nens er­hal­ten. Den­noch habe er un­ent­schul­digt bei Ge­richt ge­fehlt. Ein Pflicht­ver­tei­di­ger des Ver­ur­teil­ten habe an den Ver­hand­lun­gen in der Schweiz teil­ge­nom­men und einen Schluss­vor­trag für den Ver­ur­teil­ten ge­hal­ten. Es sei somit nicht gegen das Recht auf ein fai­res Ver­fah­ren aus Art. 6 der Eu­ro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ver­sto­ßen wor­den.

Bei­der­sei­ti­ge Sank­tio­nier­bar­keit ent­schei­dend

Wei­ter ver­weist der Senat auf den ein­deu­ti­gen Wort­laut des § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG, wo­nach auch dann eine im Aus­land ver­häng­te Frei­heits­stra­fe in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land voll­streckt wer­den kann, wenn hier auf­grund des ge­ahn­de­ten Ver­hal­tens nur Ord­nungs­wid­rig­kei­ten vor­lie­gen. Es komme dabei auf die bei­der­sei­ti­ge Sank­tio­nier­bar­keit, nicht auf die bei­der­sei­ti­ge Straf­bar­keit an.

Voll­streck­ba­r­er­klä­rung nicht un­ver­hält­nis­mä­ßig

Die Voll­streck­ba­r­er­klä­rung sei auch nicht un­ver­hält­nis­mä­ßig, da im Hin­blick auf das fest­ge­stell­te Ver­hal­ten des Ver­ur­teil­ten eine Frei­heits­stra­fe von zwölf Mo­na­ten mög­li­cher­wei­se zwar als hart an­ge­se­hen wer­den könne, je­den­falls aber nicht als "un­er­träg­lich und in kei­ner Weise ver­tret­bar" zu be­ur­tei­len sei. Auch liege kein Ver­stoß gegen den deut­schen "Ordre Pu­blic" und die we­sent­li­chen Grund­sät­ze der deut­schen Rechts­ord­nung vor. Hier­für spre­che im Üb­ri­gen be­reits, dass der deut­sche Ge­setz­ge­ber mit Wir­kung zum 13.10.2017 in Deutsch­land § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ein­ge­führt habe, der die Nach­stel­lung eines Au­to­ren­nens in der Ab­sicht der Er­rei­chung einer höchst­mög­li­chen Ge­schwin­dig­keit durch (auch nur) eine ein­zel­ne Per­son nun­mehr eben­falls unter Stra­fe stel­le.

Voll­stre­ckung wei­te­rer Be­wäh­rungs­stra­fe ab­ge­lehnt

Die Über­nah­me der Voll­stre­ckung der vom schwei­ze­ri­schen Ge­richt zur Be­wäh­rung aus­ge­setz­ten Frei­heits­stra­fe von wei­te­ren acht­zehn Mo­na­ten hat das OLG hin­ge­gen in Über­ein­stim­mung mit dem An­trag der Staats­an­walt­schaft Stutt­gart für un­zu­läs­sig er­klärt, da die Über­nah­me der Be­wäh­rungs­auf­sicht bei einer zur Be­wäh­rung aus­ge­setz­ten Stra­fe vom IRG hier nicht vor­ge­se­hen sei. Gegen die Ent­schei­dung des OLG ist kein wei­te­res Rechts­mit­tel mög­lich.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.04.2018 - 1 Ws 23/18

Redaktion beck-aktuell, 26. April 2018.

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