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Ziel des Gesetzes

Das Bundeskabinett hat am 21.01.2009 auf Vorschlag des Bundesjustizministeriums den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Absprache im Strafverfahren (Kabinettsentwurf, pdf-Datei, Quelle: BMJ) beschlossen. Das Gesetz enthält nach Angaben des Bundesjustizministeriums klare gesetzliche Vorgaben zu Verfahren, Inhalt und Folgen von Verständigungen und soll Rechtssicherheit, Transparenz und eine gleichmäßige Rechtsanwendung durch die gerichtliche Praxis gewährleisten.

1. Handlungsbedarf

Die Verständigung in Strafverfahren ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Bei dieser Verfahrensweise versuchen das Gericht und die weiteren Verfahrensbeteiligten - vor allem Staatsanwaltschaft, Angeklagter und Verteidigung, aber auch der Nebenkläger - sich über den Verlauf des Verfahrens und über dessen Ausgang zu verständigen. Der Bundesgerichtshof hat solche Absprachen für grundsätzlich zulässig erklärt und vor dem Hintergrund der hohen Belastung der Justiz diese verfahrensökonomische Art der Erledigung als unerlässlich bezeichnet. Auch unter dem Gesichtspunkt des Zeugen- und Opferschutzes sind Verständigungen eine berechtigte Alternative auf dem Weg zu einem gerechten Urteil, wenn auf eine vor allem für das Opfer psychisch belastende Beweisaufnahme verzichtet werden kann. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Absprachen ist jedoch, dass die grundlegenden Prinzipien des deutschen Strafprozesses und des materiellen Strafrechts eingehalten werden. Zustandekommen und Ergebnis einer Verständigung müssen sich am Grundsatz des fairen Verfahrens, der Pflicht des Gerichts zur umfassenden Ermittlung der Wahrheit sowie an einer gerechten und schuldangemessenen Strafe orientieren. In seiner Grundsatzentscheidung vom 03.03.2005 hat der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs wesentliche Leitlinien zur Zulässigkeit von Absprachen festgelegt, gleichzeitig jedoch betont, dass die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung erreicht sind.

2. Lösung

Künftig werde es in der Strafprozessordnung ein umfassendes und differenziertes rechtstaatliches Regelungskonzept zur Verständigung im Strafverfahren geben, teilt das Bundesjustizministerium mit. Die neuen Vorschriften stellten der Praxis in weitem Umfang Vorgaben für Zustandekommen und Inhalt von Absprachen zur Verfügung, ohne den für Einzelfälle notwendigen Spielraum zu sehr einzuschränken. Dabei gehe der Gesetzentwurf von den folgenden Grundsätzen aus:

  • Die Grundsätze der Strafzumessung bleiben unberührt. Das Strafmaß muss sich weiterhin an der Schuld des Angeklagten orientieren.
  • Unberührt bleiben auch die Grundsätze des Strafverfahrens. Es wird insbesondere kein «Konsensprinzip» geben. Eine Verständigung kann nie alleinige Grundlage des Urteils sein. Das Gericht bleibt weiterhin verpflichtet, den wahren Sachverhalt bis zu seiner Überzeugung zu ermitteln.
  • Es muss ein größtmögliches Maß an Transparenz gewährleistet sein. Eine Verständigung kann nur in der öffentlichen Hauptverhandlung zustande kommen, Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung muss das Gericht öffentlich mitteilen. Verständigungen müssen stets umfassend protokolliert und im Urteil erwähnt werden.
  • Es gibt keinerlei Beschränkungen der Rechtsmittel. Die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts darf nicht Gegenstand einer Verständigung sein. Das Urteil bleibt auch nach einer Verständigung in vollem Umfang überprüfbar, der Angeklagte muss darüber eingehend belehrt werden.

Der Gesetzentwurf enthalte einen vernünftigen und praxisgerechten Mittelweg zwischen einem teilweise geforderten Totalverbot von Absprachen einerseits und einem Konsensprinzip andererseits, welches das Gericht zu sehr aus seiner Verantwortung zur Ermittlung der Wahrheit entlassen würde. Die vorgeschlagene Lösung berücksichtige insbesondere die Vorgaben der Rechtssprechung sowie eine Vielzahl von Anregungen aus Wissenschaft und Praxis. Insbesondere unterscheide der Entwurf nicht zwischen verteidigtem und unverteidigtem Angeklagten und schließe auch Verfahren vor den Amtsgerichten nicht aus. Damit werde eine «2-Klassen-Justiz» vermieden und dem Umstand Rechnung getragen, dass auch in amtsgerichtlichen Verfahren, wo vorwiegend Fälle der kleineren und mittleren Kriminalität behandelt werden, Verständigungen zum Alltag gehören.

3. Inhalt

Zentrale Vorschrift zur Regelung der Verständigung ist ein neuer § 257c StPO, erläutert das Justizministerium. Er enthalteVorgaben zum zulässigen Gegenstand, zum Zustandekommen und zu den Folgen einer Verständigung und lege fest, dass die Pflicht des Gerichts zu Aufklärung des Sachverhalts uneingeschränkt bestehen bleibt.

Gegenstand

Gegenstand einer Verständigung dürften nur die Rechtsfolgen, also im Wesentlichen das Strafmaß und etwaige Auflagen wie zum Beispiel Bewährungsauflagen sein. Auch Maßnahmen zum Verfahrensverlauf sowie das Prozessverhalten der Beteiligten sollen zulässig sein, wie etwa Einstellungsentscheidungen, die Zusage von Schadenswiedergutmachung durch den Angeklagten oder der Verzicht auf weitere Beweisanträge oder Beweiserhebungen, soweit dies mit der Sachaufklärungspflicht des Gerichts vereinbar ist. Ebenfalls soll ein Geständnis Gegenstand einer Verständigung sein können. Das Gericht müsse von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt sein, um seiner Aufklärungspflicht in vollem Umfang nachzukommen. Bei Zweifeln an der Richtigkeit müsse es gegebenenfalls auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden.

Ausdrücklich ausgeschlossen als Gegenstand einer Verständigung seien der Schuldspruch - also die Frage, ob und wenn ja, wegen welcher Strafnorm jemand verurteilt wird - und die Ankündigung des Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten. Ebensowenig könnten Maßregeln der Besserung und Sicherung wie beispielsweise die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in eine Verständigung aufgenommen werden, weil hier das Gesetz dem Gericht keinen Entscheidungsspielraum belasse.

Zustandekommen

Eine Verständigung komme zustande, indem das Gericht ihren möglichen Inhalt bekannt gebe und der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmten. Das Gericht soll dabei eine Ober- und Untergrenze der möglichen Strafe angeben. Dabei müsse es die allgemeinen Strafzumessungserwägungen berücksichtigen und dürfe weder eine unangemessen niedrige noch eine unangemessen hohe Strafe vorschlagen. Die Initiative zu einer Verständigung sei aber nicht allein dem Gericht vorbehalten, entsprechende Anregungen könnten auch von den anderen Verfahrensbeteiligten ausgehen.

Nicht vorgesehen sei, dass auch der Nebenkläger zustimmen muss. Dies entspräche dem bereits geltenden Strafprozessrecht, nach dem der Nebenkläger das Urteil allein wegen der Rechtsfolgen nicht angreifen könne. Die Strafzumessung bzw. das Strafmaß sind aber gerade der wesentliche Gegenstand einer Verständigung. Dies schließe aber nicht aus, dass der Nebenkläger an Gesprächen und Erörterungen im Vorfeld von Verständigungen beteiligt ist und dabei seine Bedenken und Vorschläge äußert.

Transparenz

Eine Verständigung könne nur in öffentlicher Hauptverhandlung zustande kommen. Dies schließe nicht aus, dass außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche geführt werden, durch die eine Verständigung vorbereitet wird. Nach dem Gesetzentwurf soll der Vorsitzende des Gerichts verpflichtet sein, darüber Transparenz herzustellen, indem er in öffentlicher Hauptverhandlung mitteilt, ob und ggf. mit welchem Inhalt solche Gespräche stattgefunden haben. Um die Geschehnisse bei einer Verständigung umfassend zu dokumentieren, soll das Gericht den wesentlichen Ablauf einschließlich etwaiger Vorgespräche außerhalb der Hauptverhandlung, den Inhalt und das Ergebnis einer Verständigung protokollieren müssen. Damit werde vor allem sichergestellt, dass Absprachen im Revisionsverfahren vollständig überprüft werden können.

Folgen des Scheiterns

Eine besondere Vorschrift sehe der Entwurf für den Fall vor, dass sich das Gericht von einer Verständigung lösen will. Die Bindung des Gerichts soll entfallen, wenn das Gericht nachträglich zur Überzeugung kommt, dass die in Aussicht gestellte Strafe nicht tat- oder schuldangemessen ist, was den Fall einschließt, dass das Gericht eine unzutreffende Prognose bei der Bewertung des bisherigen Verhandlungsergebnisses abgegeben hat. Auch könne das Prozessverhalten des Angeklagten das Gericht veranlassen, sich von der Absprache zu lösen, wenn es nicht mehr dem Verhalten entspricht, welches das Gericht seiner Prognose zugrunde gelegt hat. Eine solche Regelung sei erforderlich, weil Ergebnis des Strafverfahrens immer ein richtiges und gerechtes Urteil sein muss. Entfalle die Bindung des Gerichts, dürfe ein Geständnis des Angeklagten, das er im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung als seinen «Beitrag» abgegeben hat, nicht verwertet werden. Damit werde der Schutz des Angeklagten gestärkt und dem Grundsatz des fairen Verfahrens Rechnung getragen.

Rechtsmittel

Neben dem Verbot, die Ankündigung eines Rechtsmittelverzichts zum Gegenstand einer Verständigung zu machen, verzichte der Gesetzentwurf aus zwei Gründen bewusst darauf, Rechtsmittel nach vorangegangener Verständigung einzuschränken oder auszuschließen. Zum einen solle eine vollständige Kontrolle durch das Berufungs- oder Revisionsgericht möglich sein. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vorschriften gleichmäßig entsprechend der Vorgaben des Gesetzgebers angewandt werden. Zum anderen soll der Eindruck vermieden werden, das Urteil beruhe auf einem «Abkommen» der Beteiligten, an das sich alle zu halten haben. Ergebnis einer Verständigung sei vielmehr ein ganz normales Urteil, dessen Grundlage die volle Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit ist und das auf einer vollständigen Aufklärung des Sachverhalts beruht. Dazu gehöre, dass das Urteil wie jedes andere überprüfbar sein muss. Ein Rechtsmittelverzicht sei nur dann wirksam, wenn der Angeklagte ausdrücklich darüber belehrt worden ist, dass er trotz einer vorangegangenen Verständigung in seiner Entscheidung frei ist, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen («qualifizierte Belehrung»). Ist diese Belehrung unterblieben, könne der Angeklagte trotz erklärten Verzichts auf Rechtsmittel gegen das Urteil vorgehen.

Kommunikation

Ein weiterer, wichtiger Regelungskomplex (§§ 160b, 202a, 212 StPO-E) habe zum Gegenstand, die Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten zu stärken. Es sollen bereits im Ermittlungsverfahren, aber auch in allen weiteren Stadien des gerichtlichen Verfahrens sogenannte Erörterungen der verfahrensführenden Stellen (Staatsanwaltschaft bzw. Gericht) mit den Verfahrensbeteiligten gefördert werden. Bei solchen Erörterungen im gerichtlichen Verfahren könne auch die Möglichkeit einer Verständigung besprochen werden. Ziel sei es, dass die Beteiligten miteinander im Gespräch bleiben, wenn dies für den Verlauf des Verfahrens sinnvoll ist.

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