Wesentliche Inhalte des Regierungsentwurfs (nach Angaben des Bundesjustizministeriums):
1. Überarbeitung des § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung)
Der Katalog von Straftaten, die Anlass für eine Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme nach § 100a StPO sein können, soll auf schwere Straftaten begrenzt werden.
Aus dem Katalog gestrichen werden sollen daher alle Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Das betrifft zum Beispiel:
- die durch einen Nichtsoldaten begangene Anstiftung oder Beihilfe zur Fahnenflucht oder Anstiftung zum Ungehorsam (§§ 16, 19 Wehrstrafgesetzbuch);
- die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB);
- die Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsverbot nach dem Vereinsgesetz (§ 20 VereinsG) und das Angehören zu einer geheimen Ausländervereinigung (§ 95 Abs. 1 Nr. 8 AufenthaltsG);
- fahrlässige Straftaten nach dem Waffengesetz (§ 51 Abs. 4 WaffG).
Neu in den Katalog aufgenommen werden sollen schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, das heißt:
- Korruptionsdelikte (z. B. Bestechlichkeit, Bestechung und Abgeordnetenbestechung),
- gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug,
- gewerbs- oder bandenmäßige Urkundenfälschung sowie Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln sowie Euroscheckvordrucken,
- schwere Steuerdelikte, wie etwa der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel.
Zudem soll eine Telekommunikationsüberwachung künftig möglich sein zur Aufklärung
- aller Menschenhandelsdelikte,
- bei jeder Form der Verbreitung von Kinderpornographie und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern,
- von gemeinschaftlichen Vergewaltigungen oder sexuellem Missbrauch,
- aller Fälle des Raubes,
- gewerbs- oder bandenmäßigen Inverkehrbringens, Verschreibens oder Anwendens von Dopingmitteln,
- aller Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen),
- von Straftaten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz betreffend Antipersonenminen (§ 20a Abs. 1 bis 3 KrWaffKontrG).
Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung werde gemäß den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Juli 2005 (NJW 2005, 2603) gemacht hat, durch entsprechende Regelungen bei der Telekommunikationsüberwachung gewährleistet. Eine Telekommunikationsüberwachung sei danach unzulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden. Soweit dies erkennbar ist, hat die Maßnahme zu unterbleiben. Das damit statuierte Erhebungsverbot wird flankiert durch ein Verwertungsverbot, nach dem trotzdem erlangte Erkenntnisse nicht verwertet werden dürfen und unverzüglich zu löschen sind.
2. Umsetzung europäischer Vorgaben
- Die EU-Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung soll entsprechend den Vorgaben des Deutschen Bundestages mit einer Speicherungsfrist von sechs Monaten umgesetzt werden. Die Speicherpflicht für Telekommunikationsunternehmen umfasst, wer mit wem wann und – bei der Mobilfunktelefonie – von wo aus telefoniert hat; hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen sowie – bei der Mobilfunktelefonie – die Standorte bei Beginn der Mobilfunkverbindung. Aus dem Bereich des Internets seien nur Daten über den Internetzugang sowie über E-Mail-Kommunikation und Internettelefonie erfasst. Die genannten Daten müssten auch dann gespeichert werden, wenn sie für die Gebührenabrechnung nicht oder nicht mehr benötigt werden, das heißt auch Anbieter so genannter Flatrates müssen die Daten speichern. Der Inhalt der Kommunikation und Daten, die Aufschluss über aufgerufene Internetseiten geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.
- Die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität sollen umgesetzt werden, um Computer- und Internetkriminalität noch wirksamer zu begegnen. So werde bei den Regelungen über die Durchsuchung etwa klargestellt, dass sich die offene Durchsuchung auch auf vorgefundene Computer und mit diesen verbundene Speichermedien (z. B. externe Server), auf die der Besitzer des Computers den Zugang zu gewähren berechtigt ist, erstrecken dürfe. Mit der Neuregelung werde ein Zugriff auf in Netzwerken gespeicherte Daten ermöglicht. Eine verdeckte Onlinedurchsuchung sei dagegen nicht Gegenstand der Regelung.
3. Grundrechtsschutz durch Verfahrenssicherungen
- Harmonisierung: Die Vorschriften der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung sollen harmonisiert werden, indem die formellen Anordnungsvoraussetzungen (z. B. Richtervorbehalt) und die Vorschriften zum Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen (z. B. Benachrichtigung, nachträglicher Rechtsschutz) vereinheitlicht werden.
- Zuständigkeitskonzentration: Zuständig für die Anordnung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme soll generell ein darauf spezialisiertes Gericht sein – das Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft. Diese Konzentration der Zuständigkeit werde zu zunehmender Spezialisierung und mehr Fachkompetenz bei Ermittlungsrichterinnen und -richtern führen, weil sie künftig häufiger solche Entscheidungen über Maßnahmen treffen, die nicht nur ein rechtliches sondern auch ein technisches Grundverständnis erfordern (z. B. Telekommunikationsüberwachungen, Verkehrsdatenauskünfte). Die Zuständigkeitskonzentration stärkedamit den Richtervorbehalt und verbessere den Grundrechtsschutz der Betroffenen bereits vor Durchführung der Maßnahme.
- Benachrichtigung: Der nachträgliche Rechtsschutz soll verbessert werden, indem bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen Benachrichtigungspflichten zugunsten des Betroffenen eingeführt und je nach Maßnahme spezifisch konkretisiert werden. Bislang finden sich solche Regelungen verstreut an verschiedenen Stellen in der StPO, beziehen aber beispielsweise längerfristige Observationsmaßnahmen oder den Einsatz des „IMSI-Catchers“ nicht ein. Der Gesetzentwurf soll hier einheitliche Regelungen für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen schaffen.
- Gerichtliche Kontrolle über die Einhaltung der Benachrichtigungspflicht: Will die Staatsanwaltschaft den Betroffenen länger als 12 Monate nach Abschluss der letzten Maßnahme – etwa, weil sonst die noch laufenden Ermittlungen gefährdet würden – vorerst nicht unterrichten, soll sie das Gericht einschalten müssen, das dann die weiteren Entscheidungen trifft.
- Nachträglicher Rechtsschutz: Bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen werde den Betroffenen ausdrücklich die Möglichkeit eines nachträglichen Rechtsschutzes ohne verfahrensrechtliche Hürden eröffnet. Im Gegensatz zu den allgemeinen Prozessrechtsgrundsätzen müsse ein Betroffener in diesen Fällen kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen.
- Einheitliche Verwendungsregelungen: Die Regelungen, zu welchen Zwecken die aus einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse außerhalb eines Strafverfahrens (z. B. zur polizeilichen Gefahrenabwehr) verwendet werden dürfen, sollen vereinheitlicht werden.
- Kennzeichnungspflichten: Alle Erkenntnisse, die aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden, sollen als solche gekennzeichnet werden müssen. Damit werde die Einhaltung der entsprechenden Verwendungsregelungen gesichert und der Datenschutz verbessert.
- Einheitliche Löschungspflichten: Für alle Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen soll künftig gelten, dass sie unverzüglich gelöscht werden müssen, wenn sie weder zur Strafverfolgung noch zur gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme erforderlich sind.
4. Besonderer Schutz bei Berufsgeheimnisträgern
Derzeit gebe es nur vereinzelte Vorschriften dazu, ob verdeckte Ermittlungsmaßnahmen auch bei nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern zulässig sind. Teilweise lösten diese Regelungen Wertungswidersprüche aus. So sei etwa die Erhebung von Verkehrsdaten (z. B. Rufnummer des angerufenen und des anrufenden Anschlusses) bei Seelsorgern, Verteidigern und Abgeordneten nach § 100h Abs. 2 StPO unzulässig, während eine entsprechende Regelung bei der inhaltlichen Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO nicht vorhanden sei.
Der Regierungsentwurf sieht laut Bundesjustizministerium ein harmonisches Konzept für den Schutz bei Berufsgeheimnisträgern vor:
- Alle Berufsgeheimnisträger und deren Mitarbeiter, die nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, sollen dies in vollem Umfang behalten. Entsprechendes gelte für die in § 97 StPO geregelten Beschlagnahmeverbote bei Gegenständen, die sich im Gewahrsam zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger befinden.
- Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten werde künftig aber darüber hinaus durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer besonderen verfassungsrechtlichen Stellung sollen Seelsorger, Verteidiger und Abgeordnete von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen werden, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.
- Auch der Schutz bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern werde weiter verbessert. Es werde ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen nur nach einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen.
- „Verstrickungsregelung“: Bestehe gegen den Berufsgeheimnisträger selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so könnten bereits nach geltendem Recht beispielsweise Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Dabei soll es bleiben, allerdings unter erschwerten Bedingungen.
Zum besonderen Schutz der Pressefreiheit setzten verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gegen Medienmitarbeiter bei Antrags- und Ermächtigungsdelikten zusätzlich voraus, dass der nach materiellem Strafrecht erforderliche Strafantrag gestellt bzw. die nach materiellem Strafrecht erforderliche Verfolgungsermächtigung der zuständigen obersten Behörde bereits erteilt wurde.
- Für die Berufshelfer von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Rechtsanwaltsgehilfen) solle derselbe Schutz gelten wie für den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst.
- Die in § 100c Abs. 6 StPO enthaltene Privilegierung, wonach eine akustische Wohnraumüberwachung bei zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern grundsätzlich unzulässig ist, soll erhalten bleiben.
5. Berichts- und Statistikpflichten zur Ermöglichung der parlamentarischen Kontrolle
Die Richtlinie zur „Vorratsdatenspeicherung“ verpflichte die Mitgliedstaaten, jährlich statistische Daten zu erheben, um die Entwicklung von Verkehrsdatenabfragen zu beobachten. Daher seien einheitliche Bestimmungen für statistische Erhebungen über solche Maßnahmen vorgesehen. Zudem seien solche statistischen Erhebungen auch für Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach § 100a StPO vorgesehen, um dem Gesetzgeber eine effektive Kontrolle zu ermöglichen. Zugleich werde die Telekommunikationswirtschaft von bestehenden Statistikpflichten entlastet; diese sollen künftig ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden obliegen.