Mit dem Urteil der Großen Kammer vom 8.4.2014 (Rs. C-293 und C-594/12, BeckRS 2014, 80686) erklärte der EuGH die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vorratsspeicherung von Daten für ungültig. Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Cruz Villalón vom 12.12.2013 (BeckRS 2013, 82347) war dies nicht überraschend. Der EuGH ging jedoch darüber hinaus und griff dessen Vorschlag, die zeitlichen Wirkungen der festgestellten Ungültigkeit angesichts der den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung verbleibenden Korrekturmöglichkeiten analog Art. 164 II AEUV zu beschränken und dem Unionsgesetzgeber innerhalb einer angemessenen Frist die Möglichkeit zur Nachbesserung zu geben, nicht auf. Die Richtlinie ist von Anfang an nichtig.
Dieses Urteil reiht sich ein in die nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten (s. EuGH, NJW 2010, 1265), sondern auch gegenüber dem Unionsgesetzgeber relativ strenge Kontrolle des Datenschutzes. Die Erwartungen einer nach Inkrafttreten der EU-Grundrechtecharta verstärkten Grundrechtsprüfung durch den EuGH, die das Urteil Schecke (EuGH, EuZW 2010, 939) geweckt hatte, wurden bestätigt. Der Gerichtshof, der dem Unionsgesetzgeber bei den Wirtschaftsgrundrechten einen weiten Gestaltungsspielraum konzediert, spricht ausdrücklich von einer „strikten Kontrolle“. Er begründet dies mit der „besonderen Bedeutung“ des Schutzguts. Prüfungsmaßstab sind das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) sowie der Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh). Art. 52 GRCh gibt ein Prüfungsschema vor, das aus der deutschen Grundrechtsdogmatik bekannt ist. Als legitimes Ziel sieht der EuGH die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und erwähnt, dass nach Art. 6 GRCh jeder Mensch nicht nur das Recht auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit hat. Dies ist aber kein „Supergrundrecht“. Die ergriffenen Maßnahmen müssten vielmehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, was dem Unionsgesetzgeber nicht gelungen sei.
Bemerkenswert ist, dass der EuGH den Unionsgesetzgeber selbst in die Verantwortung für entsprechende Vorgaben nimmt. Die mögliche Reduktion durch die nationalen Gesetzgeber, die das BVerfG (NJW 2010, 833) innerhalb des Rahmens der Richtlinie für möglich hielt und daher (insoweit konsequent) von der sich eigentlich anbietenden Vorlage an den EuGH absah, genügt unionsrechtlich nicht. Verglichen mit dem Urteil des BVerfG wirft die Entscheidung des EuGH die Frage auf, ob und inwieweit eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung überhaupt noch zulässig ist. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der Richtlinie wird jedenfalls eingestellt, und auch Schweden soll die 3 Mio. Euro zurückbekommen, die es wegen Nichtbefolgung des Urteils des EuGH, das seine Vertragsverletzung durch unterlassene Umsetzung der Richtlinie feststellte, bezahlen musste. Dies zeigt, dass es besser gewesen wäre, nicht nur die Kompetenzfrage (EuGH, EuZW 2009, 212), sondern auch die Grundrechtsfrage von Anfang an zu klären. Ob dafür allerdings schon damals die nötige Sensibilität vorhanden gewesen wäre, ist eine andere Frage.
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