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Pro und Contra

Abtreibungsrecht liberalisieren?

Nachdem eine Expertenkommission Vorschläge zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts gemacht hat, ist der politische Streit darüber neu entbrannt. Während von den Grünen Zustimmung kommt, lehnt die Union Änderungen strikt ab.
Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen) ist Sächsische Staats­ministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung.

Der Schutz und die Achtung der Menschenwürde gebieten es, dass Frauen in Deutschland in den ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft eigenverantwortlich und legal über den Abbruch dieser Schwangerschaft entscheiden können. Die derzeit geltende Rechtslage lässt das nicht zu und muss daher reformiert werden. Zunächst löst der derzeitige Rechtsrahmen nicht den Konflikt zwischen ungeborenem Leben und der Selbstbestimmung der Frau, sondern belegt die schwierige und höchst individuelle Entscheidung der Frau lediglich mit dem Stigma der Kriminalität. Eine solche Kriminalisierung verhindert aber keine Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen, sondern erschwert den diskriminierungsfreien und flächendeckenden Zugang zu medizinisch sicheren Abbrüchen.

Der Vorschlag der Expertenkommission, die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft abzuschaffen, bedeutet dabei keinen evidenten Angriff auf das Grundgesetz, auch wenn es teilweise in der Öffentlichkeit so dargestellt wurde. Die Sondervoten zum damaligen Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 machen deutlich, dass ebenso gute verfassungsrechtliche Gründe gegen die geltende Rechtslage sprechen. Der Grundrechtsstatus der Frau gebietet es, ihr allein die Letztverantwortung für den Abbruch in der Frühphase zu überlassen. Unbestritten hat der Staat eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Lebensschutz, diese Pflicht wird jedoch an dieser Stelle durch die Grundrechtsposition der Frau begrenzt.

Ferner beruht die derzeitige Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs auf einer inkonsistenten und eigenwilligen Konstruktion im Strafgesetzbuch. Zwar ergibt sich aus § 218 StGB eine konkrete Strafbarkeit, der Tatbestand soll jedoch nicht verwirklicht sein, wenn wiederum die Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB vorliegen. Dieser Rechtsrahmen stellt sich als dogmatisches Paradoxon dar und trägt zu erheblichen Unsicherheiten im Hinblick auf Beratungsangebote und medizinische Versorgung bei. Zurecht weisen die Verbände darauf hin, dass schwangeren Frauen mit einem Recht auf gute Beratung und mit Schaffung entsprechender Angebote mehr gedient wäre als mit andauernder strafrechtlicher Stigmatisierung. 

Eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches wird zudem nicht – wie von einigen argumentiert – zu einem erheblichen Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen führen: So verzeichnet die Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2021 für Irland, das 2018 den Abbruch in der Frühphase legalisierte, eine deutlich geringere Abbruchquote als für Deutschland im selben Zeitraum. Keine Frau wird die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch leichtfertig treffen. Aber es ist nicht die Aufgabe des Staates, in diese autonome Entscheidung einzugreifen. Vielmehr sollten wir ein fortschrittliches Entscheidungsrecht schaffen, das diese Autonomie respektiert.

Unsere Gesellschaft ist heute eine andere als vor 30 Jahren, womit auch die Verfassungsinterpretation in einem anderen Kontext steht. Unser Grundgesetz hat während der letzten 75 Jahre bewiesen, dass effektiver Grundrechtsschutz dem fortdauernden Normen- und Wertewandel unserer Gesellschaft durchaus Rechnung tragen kann. Aktuelle Umfragen, wonach eine Mehrheit der Deutschen eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase befürwortet, lassen den Schluss zu, dass die viel zitierte gesellschaftliche Spaltung in dieser Streitfrage ausbleiben wird. Wir sollten uns daher gemeinsam dafür einsetzen, den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase endlich aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

 

Silvia Breher (CDU) ist Mitglied des Bundestags. Die Juristin ist familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Mit unserem derzeitigen Abtreibungsrecht haben wir in Deutschland nach jahrelangem Ringen einen Kompromiss gefunden, der sowohl das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als auch das Recht der Frau auf reproduktive Selbstbestimmung in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander stellt. Es ist ein zwischen den unterschiedlichen politischen Parteien errungener demokratischer Kompromiss, der aus beiden gesellschaftlichen Lagern Zugeständnisse einfordert. In Deutschland führt er zu einem gesellschaftlichen Frieden in der Debatte, um den andere westliche Länder wie Polen und die USA seit langem ringen. Wenn wir diesen Kompromiss nun wieder aufbrechen und unser Abtreibungsrecht einseitig zu Lasten einer Grundrechtsposition verändern, dann gerät dieses Verhältnis in eine Dysbalance. Die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche würde neu entfacht und es drohen gesellschaftliche Unruhen, die ein enormes Spaltungspotenzial haben.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Frage 1975 und 1993 klar entschieden. Schon dem ungeborenen Leben kommt die grundgesetzlich verankerte Menschenwürde zu. Das Untermaßverbot lässt keine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs zu. Mittels des Strafrechts können wir eine ausreichende Schutzwirkung für das ungeborene Leben sicherstellen. Die Vorschläge der Kommission einer grundsätzlichen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, würde dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes entgegenstehen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuwiderlaufen. Die Argumentation der Kommission verkennt in dieser Frage die verfassungsrechtliche Realität. Das Grundgesetz und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts setzen klare Eckpfeiler, die für eine Neuregelung des Abtreibungsrechts nicht viel Spielraum lassen.

Und es gibt keine Notwendigkeit für eine Neuregelung. Die aktuellen Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen im internationalen Vergleich zeigen, dass wir keine prohibitiv hohen Hürden in Deutschland haben. Auch der Vorwurf, dass eine Regelung im Strafgesetzbuch Schwangere oder Ärztinnen und Ärzte kriminalisiert, ist nicht haltbar. Wenn wir uns die Zahlen der vergangenen Jahre anschauen, gibt es faktisch keine strafrechtlichen Verurteilungen in diesem Bereich. Hinzukommen weder neue wissenschaftliche oder medizinische Erkenntnisse noch europa- oder völkerrechtliche Verpflichtungen, die eine Änderung in dieser strittigen Frage erfordern. Sie würde aus einer rein ideologischen Überzeugung erfolgen und das ist bei diesem sensiblen Thema, bei dem es um die Abwägung von Grundrechten in einer hoch emotional aufgeladenen Debatte geht, völlig unangebracht. Keine Frage: Schwangere, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, befinden sich in einer besonders sensiblen und emotionalen Lage, die oft mit hohem psychischem Druck einhergeht. Ihr Recht auf eine reproduktive Autonomie wird durch die geltende Rechtslage aber ebenso geschützt wie das Lebensrecht des ungeborenen Kindes.

Die in diesem Zusammenhang vermehrt diskutierte Abschaffung der Beratungspflicht und Ausweitung der Fristenlösung sehe ich besonders kritisch. In beiden Fällen wäre sowohl der Schutzpflicht des ungeborenen Lebens als auch der betroffenen Frau nicht ausreichend Rechnung getragen. Eine Erkenntnis der Kommission sollten wir jedoch aus der Debatte mitnehmen, wir müssen die Versorgungsangebote gerade im ländlichen Raum weiter ausbauen, um den unmittelbaren Zugang für die Schwangeren zu den Beratungsstellen und Arztpraxen zu verbessern.

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