VGH Kassel: Rechtsreferendarinnen dürfen auf der Richterbank kein Kopftuch tragen

Rechtsreferendarinnen islamischen Glaubens dürfen kein Kopftuch tragen, wenn sie auf der Richterbank sitzen, Sitzungen leiten und/oder Beweisaufnahmen durchführen, Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen oder während der Verwaltungsstation Anhörungsausschusssitzungen leiten. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof Kassel mit Beschluss vom 23.05.2017 in einem Eilverfahren entschieden und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben. Das staatliche Neutralitätsgebot rechtfertige ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen bei Tätigkeiten, bei denen sie die Justiz oder den Staat repräsentierten (Az.: 1 B 1056/17).

Antragstellerin wurde auf Einschränkungen im Referendardienst für Kopftuchträgerinnen hingewiesen

Die Antragstellerin trat Anfang 2017 den juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Frankfurt am Main an. Als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung trägt sie ein Kopftuch, das Haare und den Hals bedeckt. Bereits vor Aufnahme ihres Referendardienstes hatte sie über das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Hinweisblatt mit folgendem Inhalt erhalten: "Das hessische Ministerium der Justiz hat mich angewiesen, Sie über folgende Umstände zu belehren: Auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. … Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und / oder Beweisaufnahmen durchführen können, keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können, während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzungen leiten können …".

Antragstellerin rügte Diskriminierung

Die Antragstellerin suchte beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main um vorläufigen Rechtschutz nach, weil sie sich durch dieses Hinweisblatt in ihrem Vorbereitungsdienst eingeschränkt und diskriminiert sieht. Sie habe einen Anspruch auf eine diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Durchführung des Referendariats. Das Tragen des Kopftuches stelle für sie ein religiöses Gebot dar und die Nichtbeachtung dieses Gebots stürze sie in einen schwerwiegenden Gewissenskonflikt. Das erhaltene Hinweisblatt richte sich explizit an muslimische, kopftuchtragende Referendarinnen. Durch diesen Hinweis werde sie gegenüber anderen Rechtsreferendarinnen benachteiligt. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gab dem Eilantrag statt. Dagegen legte das Land Hessen Beschwerde ein.

VGH: Staatliches Neutralitätsgebot rechtfertigt Kopftuchverbot

Der VGH hat der Beschwerde stattgegeben und in der Sache den Beschluss des VG aufgehoben. Eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Anordnung eines solchen Kopftuchverbots für Rechtsreferendarinnen sei gegeben. Der Landesgesetzgeber sei unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch ermächtigt, Regelungen zur Sicherung der staatlichen Neutralität zu schaffen. Die Ausübung des Vorbereitungsdienstes mit der Übernahme staatlicher Funktionen und der Repräsentation nach außen mit religiös konnotierter Bekleidung verstoße gegen das Neutralitätsgebot in der Justiz. So könnten sich insbesondere Verfahrensbeteiligte durch eine Referendarin, die die staatliche Autorität repräsentiere und zugleich ein solches Kopftuch trage, beeinträchtigt fühlen oder aber Zweifel an der Neutralität dieser Person und damit eventuell auch an der Justiz haben.

Abstrakte Gefahr einer Beschädigung des Vertrauens in gerichtliche Neutralität und Unabhängigkeit ausreichend

Es sei kaum ein Ort denkbar, an dem die Wahrung staatlicher Neutralität durch ihre Repräsentanten so bedeutsam sei wie vor Gericht, wo die Verfahrensbeteiligten eine in jeder Hinsicht unabhängige Entscheidung von weltanschaulichen, politischen oder religiösen Grundeinstellungen erwarteten, führt der VGH weiter aus. Würden durch das Erscheinungsbild der Repräsentanten der Rechtsprechungsgewalt Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz begründet, sei das staatliche Neutralitätsgebot in seinem Kernbereich betroffen. Daher sei dort, wo Rechtsreferendare nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als Repräsentanten der Justiz wahrgenommen würden, die hierdurch begründete abstrakte Gefahr für eine Beschädigung des Vertrauens bei den Verfahrensbeteiligten in die Neutralität des Gerichts und Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung ausreichend, um Rechtsreferendaren das Tragen religiös konnotierter Kleidungsstücke in dieser Situation zu untersagen. Das gelte nicht nur dann, wenn Rechtsreferendare mit Verfahrenshandlungen betraut würden, sondern auch, wenn sie auf der Richterbank Platz nähmen. Die Grundrechte der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare hätten nach einer durchzuführenden Abwägung demgegenüber zurückzutreten.

VGH Kassel, Beschluss vom 23.05.2017 - 1 B 1056/17

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2017.