VG Neustadt: Keine Fahrerlaubnisentziehung nach drei Geschwindigkeitsübertretungen

Die Stadt Ludwigshafen am Rhein durfte einem Bewohner die Fahrerlaubnis nicht entziehen, nachdem dieser nach drei Geschwindigkeitsübertretungen das von der Stadt geforderte medizinisch-psychologische Gutachten (MPG) nicht vorgelegt hatte. Das hat das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße in einem Eilverfahren entschieden. In dem Beschluss vom 21.03.2017 verweist es darauf, dass die Anforderung des Gutachtens rechtswidrig gewesen sei (Az.: 3 L 293/17.NW).

Drei Geschwindigkeitsübertretungen zwischen Februar 2015 und Mai 2016

Der Antragsteller ist seit 2008 im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B. Er wurde im Zeitraum Februar 2015 bis Mai 2016 wegen der folgenden Geschwindigkeitsüberschreitungen belangt: am 06.02.2015 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 70 km/h um 34 km/h nach Toleranzabzug, am 14.12.2015 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 100 km/h um 23 km/h nach Toleranzabzug auf einer Bundesautobahn und am 13.05.2016 Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 120 km/h um 56 km/h nach Toleranzabzug auf einer Bundesautobahn. 

Führerscheinentzug wegen Nichtvorlage des Gutachtens

Nach Bekanntwerden dieser Tatsachen verlangte die Stadt Ludwigshafen im Oktober 2016 vom Antragsteller die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle, um bestehende Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers auszuräumen. Hiermit war der Antragsteller zunächst einverstanden und unterzog sich einer entsprechenden Untersuchung. Das Gutachten legte er dann aber mit der Begründung nicht vor, dieses leide an elementaren Mängeln. Daraufhin entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 03.01.2017 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis.

VG: Anforderung des Gutachtens war rechtswidrig

Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Das VG hat dem Eilantrag stattgegeben. Die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken, heißt es im Beschluss. Die Stadt habe ihre Entscheidung vom 03.01.2017 zu Unrecht darauf gestützt, dass der Antragsteller das angeordnete MPG zum Nachweis seiner Fahreignung nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist beigebracht habe. Denn die auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV gestützte Gutachtensanforderung sei nicht rechtmäßig gewesen, so das V.

FeV im Spannungsverhältnis zu § 4 StVG

Nach dieser Vorschrift könne bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften die Beibringung eines MPG zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden. Der Antragsteller habe unstreitig wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen. Die Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV stehe aber in einem Spannungsverhältnis zu § 4 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz vor den Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrsvorschriften verstoßenden Fahrzeugführern ausgingen, die in § 4 Abs. 5 StVG genannten Maßnahmen (Speicherung von Punkten, Ermahnung, Verwarnung, Entziehung der Fahrerlaubnis) zu ergreifen habe.

Fahreignungs-Bewertungssystem soll Behandlung von Mehrfachtätern vereinheitlichen

Das Fahreignungs-Bewertungssystem beinhalte die Bewertung von Verkehrszuwiderhandlungen mit einer nach Art und Schwere der Verstöße festgelegten Punktzahl und das Ergreifen abgestufter Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde bei Erreichen oder Überschreiten bestimmter Punkteschwellen, betonte das Gericht. Es bezwecke eine Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern und solle dem Betroffenen Gelegenheit geben, aufgetretene Mängel durch Teilnahme an Fahreignungsseminaren möglichst frühzeitig zu beseitigen. Das abgestufte System rechtfertige die Annahme, dass Personen, die acht oder mehr Punkte erreicht hätten, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen seien. Aus dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergebe sich damit, dass der Gesetzgeber bewusst die weitere Straßenverkehrsteilnahme von Kraftfahrern mit einem nicht unerheblichen "Sündenregister", weil mehrfach gegen Verkehrsvorschriften verstoßen worden sei, in Kauf genommen habe.

Sofortige Anordnung medizinisch-psychologischer Untersuchung präzise zu begründen

Das Ergreifen anderer Maßnahmen gegen den Fahrerlaubnisinhaber wegen Eignungszweifeln, die sich aus den im Fahreignungs-Bewertungssystem erfassten Verkehrsverstößen ergäben, sei zwar nicht ausgeschlossen, heißt es im Beschluss weiter. Dadurch werde im öffentlichen Interesse sichergestellt, dass ungeeignete Kraftfahrer schon vor Erreichen von acht Punkten im Fahreignungsregister von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr wirksam ausgeschlossen oder besondere Eignungszweifel durch weitergehende Maßnahmen, wie zum Beispiel eine medizinisch-psychologische Untersuchung, sofort geklärt werden könnten. Allerdings müsse dies auf eng begrenzte, besonders gelagerte Ausnahmefälle beschränkt sein. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse also präzise begründen, warum sie es aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall anderer "Punktesünder" abheben müsse, aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsordnungswidrigkeiten für unerlässlich halte, die Fahreignungsbedenken sofort durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu klären, ohne dem Betroffenen die Chance zu belassen, zuvor das unter der Geltung des Fahreignungs-Bewertungssystems stark reduzierte Hilfsangebot des § 4 StVG wahrzunehmen.

Schriftliche Ermahnung und Hinweis auf freiwilligen Besuch eines Fahreignungsseminars ausreichend

Besondere und einzelfallbezogene andere Erkenntnisse, die ein Abweichen von dem Fahreignungs-Bewertungssystem im vorliegenden Fall rechtfertigen würden, habe die Stadt in ihrer Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers nicht aufgezeigt, bemängelt das Gericht. Da die Voraussetzungen für ein Abweichen von dem Bewertungssystem des § 4 StVG nicht vorlägen, greife hier das Regime des Fahreignungs-Bewertungssystems. Danach sei der Antragsteller, zu dessen Lasten im Fahreignungsregister vier Punkte eingetragen seien, schriftlich zu ermahnen und darauf hinzuweisen, dass ein Fahreignungsseminar freiwillig besucht werden könne, um das Verkehrsverhalten zu verbessern.

VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 21.03.2017 - 3 L 293/17

Redaktion beck-aktuell, 28. März 2017.