OLG Hamm: Ärztliche Behandlung bei Nichteinhaltung der Wahlleistungsvereinbarung rechtswidrig

Im Fall einer Wahlleistungsvereinbarung mit einem Chefarzt muss dieser – mit Ausnahme seiner Verhinderung – den Eingriff selbst durchführen. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 15.12.2017 entschieden. Allein mit seiner Anwesenheit während der Operation würden diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die ärztliche Behandlung sei dann mangels wirksamer Einwilligung des Patienten rechtswidrig (Az.: 26 U 74/17, BeckRS 2017, 138347).

Streit um Aufwendungen in Höhe von 30.000 Euro

Die klagende Krankenversicherungsgesellschaft nimmt die erstbeklagte Krankenhausgesellschaft sowie die bei dieser tätigen zweit- und drittbeklagten Ärzte auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 30.000 Euro in Anspruch. Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der Anfang Januar 2012 im Alter von 93 Jahren verstorbenen Patientin. Die Patientin befand sich im Dezember 2011 in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Erstbeklagten. Neben dem Krankenhausaufnahmevertrag bestand eine Wahlleistungsvereinbarung, die die zusatzversicherte Patientin während ihres stationären Aufenthaltes im Dezember 2011 abgeschlossen hatte. Nach dieser war eine Chefarztbehandlung durch den Zweitbeklagten vereinbart, der im Verhinderungsfall unter anderem von der Drittbeklagten vertreten werden konnte.

Patientin verstarb nach Sepsis

Nach Abschluss der Zusatzvereinbarung führte die Drittbeklagte eine Koloskopie durch, bei der es zu einem Einriss im Bereich der Rektumschleimhaut kam, der auf Scherkräfte im Rahmen der Koloskopie zurückzuführen war. Der Zweitbeklagte war bei dem Eingriff in der Funktion eines Anästhesisten anwesend. Postoperativ wurde eine intensivmedizinische Behandlung der Patientin mit Beatmung erforderlich. Es trat eine Sepsis auf. Wenige Tage später verstarb die Patientin. Die infolge der Koloskopie für die Patientin aufgewandten Behandlungskosten (30.000 Euro) hat die Klägerin von den Beklagten ersetzt verlangt und gemeint, der Beklagte habe den Eingriff persönlich vornehmen müssen, ein Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Demgegenüber haben die Beklagten die Auffassung vertreten, die ärztliche Aufgabenverteilung bei der Koloskopie habe den Anforderungen der Wahlleistung entsprochen. Zudem sei der Beklagte bei der Operation persönlich anwesend gewesen und habe diese ständig beobachtet und überwacht. 

Wirksame Patienteneinwilligung als Voraussetzung für Rechtmäßigkeit des Eingriffs

Ebenso wie die Vorinstanz hat das OLG Hamm der Klage stattgegeben und der Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Aufwendungen zugesprochen. Die Behandlung der Patientin sei mangels wirksamer Einwilligung insgesamt rechtswidrig gewesen, befand das OLG. Die Voraussetzungen der Wahlleistungsvereinbarung seien nicht eingehalten worden. Sei, wie im vorliegenden Fall, der Eingriff durch einen bestimmten Arzt, regelmäßig den Chefarzt, vereinbart oder konkret zugesagt, müsse der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden und zustimmen, wenn ein anderer Arzt an seine Stelle treten solle. Fehle diese wirksame Patienteneinwilligung in die Vornahme des Eingriffs, sei dieser rechtswidrig.

Vertrauen auf herausgehobene medizinische Kompetenz

Nach der von der Patientin abgeschlossenen Wahlleistungsvereinbarung habe der Zweitbeklagte den Eingriff vornehmen müssen und sich nur im Fall einer unvorhergesehenen Verhinderung durch einen anderen Arzt vertreten lassen können. Einen solchen Vertrag schließe der Patient im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm gewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern wolle. Demzufolge müsse der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen. Insbesondere müsse ein als Wahlarzt verpflichteter Chirurg die geschuldete Operation grundsätzlich selbst durchführen. Bei der Koloskopie handle es sich um eine die Innere Medizin prägende Kernleistung. Sie sei ein operativer Eingriff mit nicht unerheblichen Risiken und möglichen Schwierigkeiten, bei der es maßgeblich auf die Fähigkeiten des Operateurs ankomme. Der Zweitbeklagte habe die Koloskopie deswegen grundsätzlich selbst durchführen müssen.

Kein zulässiger Vertretungsfall

Ein zulässiger Vertretungsfall habe nicht vorgelegen, stellt das OLG Hamm klar. Der Zweitbeklagte sei nicht unvorhergesehen verhindert, vielmehr sei er während der Koloskopie als Anästhesist anwesend gewesen. Durch seine Anwesenheit beim Eingriff der Drittbeklagten habe der Zweitbeklagte keine persönliche Leistung im Sinne der Wahlleistungsvereinbarung erbracht. Er sei für den Bereich der Anästhesie und nicht für den der Chirurgie zuständig gewesen. Deswegen habe er das chirurgische Geschehen nicht so beobachten und beeinflussen können, als wenn er selbst die chirurgischen Instrumente geführt hätte. Das gelte insbesondere bei einem Augenblicksversagen bei der chirurgischen Durchführung – etwa einer Extraktion von Polypen –, bei dem eine Schädigung schon passiert sein könne, wenn sie für einen beobachtenden Arzt gerade erst erkennbar werde. Eine Beobachtung und Überwachung des Eingriffs der Drittbeklagten sei deswegen mit dem eigenhändigen Eingriff des Zweitbeklagten nicht zu vergleichen gewesen. Die Fallgestaltung sei auch nicht vergleichbar mit der Operation durch einen Assistenzarzt unter Aufsicht des Oberarztes. Denn in diesem Fall seien beide Mediziner im selben Fachgebiet tätig.

OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2017 - 26 U 74/17

Redaktion beck-aktuell, 7. Februar 2018.