OLG Frankfurt am Main: Vermieterin von Radarmessgeräten darf Vertrag mit Gemeinde nicht wegen Abnahme von Verkehrsverstößen kündigen

Mit Urteil vom 07.04.2017 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einer hessischen Gemeinde Schadenersatz gegen die Vermieterin von Geschwindigkeitsmessgeräten zugesprochen, nachdem diese einen Vertrag über die Verkehrsüberwachung wegen rückläufiger Verkehrsverstöße gekündigt hatte. Ein entsprechendes vertraglich vereinbartes Sonderkündigungsrecht der Geräte-Vermieterin erachtete das OLG wegen unangemessener Benachteiligung der Gemeinde für unwirksam, weil die Vermieterin dadurch ihr eigenes wirtschaftliches Risiko einschließlich ihres Kalkulationsrisikos in unzulässigem Maße auf die Gemeinde verlagert habe (Az.: 2 U 122/16).

Geräte-Vermieterin wurde pro gemessenem Geschwindigkeitsverstoß vergütet

Die klagende hessische Gemeinde und die beklagte Firma waren seit 2013 durch einen Dienstleistungsvertrag verbunden, mit dem sich die Beklagte verpflichtet hatte, der Klägerin für die Durchführung der amtlichen Überwachung des fließenden Straßenverkehrs vier Geschwindigkeitsmessgeräte vom Typ PoliScanSpeed einschließlich des entsprechenden Services zur Verfügung zu stellen. Das wesentliche Entgelt für die Beklagte bestand in der Vergütung für sogenannte Falldatensätze über die gemessenen Geschwindigkeitsübertretungen in Höhe von rund sechs Euro für jeden Verstoß.

Vermieterin kündigt wegen rückläufiger Verkehrsverstöße

Als Vertragsdauer waren 60 Monate (bis 2018) vereinbart. Weiterhin regelte eine Klausel des Vertrages sinngemäß, dass der Vermieterin ein Sonderkündigungsrecht zusteht, wenn "das Verkehrssicherungsprojekt nicht dem gemeinsam gewünschten Ziel entspricht oder es entsprechend fortgeführt werden kann". Dasselbe sollte dann gelten, wenn sich "die wesentlichen Rahmenbedingungen ändern, die der Vermieterin die Grundlage der Wirtschaftlichkeit des Projekts entziehen". Mitte 2014 wies die Beklagte auf rückläufige Zahlen von Verkehrsverstößen an den vier Messstellen hin. Statt der erwarteten 860 Verstöße wurden zunächst nur 362 bis Juni 2014 und danach rund 240 pro Monat festgestellt. Die Beklagte verhandelte mit der Klägerin vergeblich über eine Vertragsanpassung. Daraufhin kündigte die Beklagte den Vertrag im März 2015 unter Berufung auf ihr Sonderkündigungsrecht und baute die Messgeräte ab. Die Klägerin widersprach dieser Kündigung und erklärte sodann im Oktober 2015 ihrerseits die Kündigung des Dienstleistungsvertrages.

LG gesteht Vermieterin Sonderkündigungsrecht zu

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin Schadenersatz von über 90.000 Euro wegen ihr entgangener Einnahmen durch Bußgelder, die ansonsten mit den vermieteten Radarmessgeräten hätten erfasst werden können. Das in erster Instanz zuständige Landgericht Gießen hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe wirksam von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht, so dass das Vertragsverhältnis erloschen sei. Dieses Sonderkündigungsrecht sei wirksam vereinbart worden.

OLG: Sonderkündigungsrecht unwirksam

Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und die Beklagte dem Grunde nach zum Schadenersatz verurteilt. Anders als das LG hält das OLG die außerordentliche Kündigung durch die Beklagte für nicht wirksam. Die Vertragsklausel mit dem Sonderkündigungsrecht für die Beklagte sei nämlich als allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam, weil sie die Klägerin als Vertragspartnerin der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Dabei sei unter dem in der Klausel erwähnten "gemeinsam gewünschten Ziel" des Verkehrssicherungsprojektes jedenfalls auch das Erzielen finanzieller Erträge aus Geschwindigkeitsübertretungen zu verstehen. Zwar sei "Ziel" der Klägerin als Gemeinde vorrangig die Steigerung der Verkehrssicherheit. Dieses Ziel sei aber nicht ein gemeinsames der Parteien, da sich das Interesse der Beklagten als Wirtschaftsunternehmen allein auf Einnahmen aus den Verkehrsverstößen beschränke.

OLG sieht Gemeinde unangemessen benachteiligt

Die im Zusammenhang mit dem Nichterreichen dieses gemeinsamen Ziels für die Beklagte begründeten Rechte benachteiligten jedoch die Klägerin unangemessen. Nach dem Vertrag sei die Klägerin zunächst verpflichtet gewesen "alles Erdenkliche" zu unternehmen, um das Ziel doch noch zu erreichen und eine Sonderkündigung durch die Beklagte zu vermeiden. Das Recht einer Vertragsanpassung zugunsten der Beklagten verpflichte die Klägerin in einer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unüberschaubaren Weise. Danach müsste die Klägerin nicht nur der Auswahl anderer Messplätze zustimmen, sondern die Beklagte könnte auch eine Anpassung des Vertrages durch Veränderung einzelner Konditionen verlangen, um die Wirtschaftlichkeit für sie wieder herzustellen.

Wirtschaftliches Risiko unzulässig auf Gemeinde abgewälzt

Durch die Möglichkeit, unter dem Druck des Sonderkündigungsrechts eine für sich günstige Vertragsanpassung zu verlangen, verlagere die Beklagte ihr eigenes wirtschaftliches Risiko einschließlich ihres Kalkulationsrisikos in unzulässigem Maße auf die Klägerin. Entsprechendes gelte für die zweite Alternative, unter der der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht zustehe. Die dort formulierte Voraussetzung, dass sich während der Vertragslaufzeit "wesentliche Rahmenbedingungen" ändern, die der Beklagten "die Grundlage der Wirtschaftlichkeit des Projektes entziehen", sei derart allgemein gehalten, dass die Voraussetzungen für die Klägerin ebenfalls nicht einschätzbar seien.

Höhe des Schadenersatzes noch zu klären

Das OLG hat mit dem Urteil nur eine Grundentscheidung darüber getroffen, dass der Klägerin Schadenersatz zusteht. Wegen der Höhe dieses Schadenersatzes ist noch eine weitere Verhandlung und gegebenenfalls Beweisaufnahme erforderlich. Gegen die Entscheidung des OLG kann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 07.04.2017 - 2 U 122/16

Redaktion beck-aktuell, 10. April 2017.