EuGH: Verpflichtendes Mediationsverfahren vor Klageerhebung in Verbraucherstreitigkeiten kann zulässig sein

Die verpflichtende Durchführung eines außergerichtlichen Mediationsverfahrens vor Erhebung einer gerichtlichen Klage in Verbraucherstreitigkeiten ist mit dem EU-Recht vereinbar, sofern der Zugang zum Gerichtssystem gewährleistet bleibt. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.06.2017 entschieden (Az.: C-75/16).

Italienisches Recht: Klageerhebung setzt auch bei Verbraucherstreitigkeiten außergerichtliches Mediationsverfahren voraus

Die Kläger des Ausgangsverfahrens, beide italienische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Bank Banco Popolare, die von ihnen die Rückzahlung von 991.848,21 Euro fordert. Das zuständige Gericht in Verona wies darauf hin, dass die Klage nach italienischem Recht ohne eine vorherige außergerichtliche Mediation unzulässig sei, auch wenn die Kläger als "Verbraucher" handelten. Ferner sehe das italienische Recht vor, dass Verbraucher im Rahmen einer solchen verpflichtenden Mediation anwaltlichen Beistand benötigen und die Mediation nicht ohne rechtfertigenden Grund abbrechen dürfen. Da das Gericht die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem EU-Recht bezweifelte, rief es den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Auslegung der Richtlinie 2013/11/EU über Verbraucherrechtsstreitigkeiten.

EuGH: Voraussetzungen eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens

Laut EuGH könnte die Richtlinie 2013/11/EU auf den vorliegenden Fall anwendbar sein. Voraussetzung sei, dass es sich bei dem Mediationsverfahren um eine der möglichen Formen einer alternativen Streitbeilegung (AS) handle. Dies müsse das nationale Gericht zu prüfen. Die Richtlinie sei anwendbar, wenn das Mediationsverfahren drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt: Das Verfahren müsse von einem Verbraucher gegen einen Unternehmer wegen vertraglichen Pflichten aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen eingeleitet worden sein, es müsse unabhängig, unparteiisch, transparent, effektiv, schnell und fair sein, und es müsse einer Stelle übertragen werden, die auf Dauer eingerichtet und in einer besonderen, der Europäischen Kommission übermittelten Liste aufgeführt sei.

Zugang zu den Gerichten muss gewahrt bleiben

Für den Fall, dass das italienische Gericht die Anwendbarkeit der Richtlinie bejahte, weist der EuGH darauf hin, dass die Freiwilligkeit bei den von dieser Richtlinie vorgesehenen AS-Verfahren nicht in der Freiheit der Parteien bestehe, dieses Verfahren in Anspruch zu nehmen oder nicht, sondern darin, dass die Parteien selbst für das Verfahren verantwortlich seien und es nach ihrer eigenen Vorstellung organisieren und jederzeit beenden könnten. Daher komme es nicht auf den verpflichtenden oder freiwilligen Charakter der Mediationsregelung an, sondern – wie von der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen – auf den Umstand, dass das Recht der Parteien auf Zugang zu den Gerichten gewahrt bleibe.

Voraussetzungen für Zulässigkeit eines zwingend vorgeschalteten Mediationsverfahrens

Nach Ansicht des EuGH kann das Erfordernis eines Mediationsverfahrens vor Erhebung einer gerichtlichen Klage mit dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar sein. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und keine erheblichen Kosten mit sich bringt. Dabei dürfe die elektronische Kommunikation aber nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren darstellen. Zudem müssten dringende Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes möglich sein.  

Verbraucher muss Mediation jederzeit abbrechen können

Der EuGH betont, dass nationale Rechtsvorschriften aber nicht verlangen dürften, dass der an einem AS-Verfahren beteiligte Verbraucher zwingend über anwaltlichen Beistand verfügt. Abschließend weist der EuGH darauf hin, dass der Schutz des Rechts auf Zugang zur Gerichtsbarkeit beinhalte, dass der Abbruch des AS-Verfahrens durch den Verbraucher – mit oder ohne rechtfertigenden Grund – in den nachfolgenden Stadien des Rechtsstreits nie nachteilige Folgen für ihn haben darf. Das nationale Recht könne jedoch Sanktionen im Fall der Nichtteilnahme der Parteien an dem Mediationsverfahren ohne rechtfertigenden Grund vorsehen, sofern der Verbraucher es nach dem ersten Treffen mit dem Mediator abbrechen dürfe.

EuGH, Urteil vom 14.06.2017 - C-75/16

Redaktion beck-aktuell, 14. Juni 2017.