EuGH-Entscheidung minimiert Chancen auf Schadensersatz vom TÜV im Skandal um Brustimplantate

Eine benannte Stelle wie der TÜV Rheinland, die im Rahmen eines Verfahrens der EG-Konformitätserklärung tätig wird, ist nicht generell verpflichtet, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Erst, wenn Hinweise für eine Mangelhaftigkeit des Medizinprodukts vorliegen, müsse die benannte Stelle tätig werden. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden. In dem zu Grunde liegenden deutschen Rechtsstreit geht es um die Haftung des TÜV im Zusammenhang mit minderwertigen Silikon-Brustimplantaten aus Frankreich (Urteil vom 16.02.2017, Az.: C-219/15).

Hersteller der Implantate zahlungsunfähig

Die Klägerin im Ausgangsverfahren, Elisabeth Schmitt, ließ sich im Jahr 2008 in Deutschland Brustimplantate einsetzen, die in Frankreich hergestellt worden waren. Nachdem die französischen Behörden im Jahr 2010 festgestellt hatten, dass der französische Hersteller Brustimplantate unter Verwendung von Industriesilikon herstellte, das nicht den geltenden Qualitätsstandards für die Verwendung im menschlichen Körper entsprach, ließ sich Schmitt ihre Implantate entfernen. Der Hersteller ist inzwischen zahlungsunfähig geworden.

40.000 Euro Schmerzensgeld von TÜV verlangt

Schmitt verlangt vor den deutschen Gerichten vom TÜV Rheinland, der vom Hersteller im Rahmen der CE-Kennzeichnung mit der Überprüfung seines Qualitätssicherungssystems beauftragten Stelle, Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht des TÜV für künftig entstehende materielle Schäden. Sie macht geltend, der TÜV hätte durch Einsichtnahme in Lieferscheine und Rechnungen erkennen können, dass der Hersteller nicht das genehmigte Silikon verwendet hatte.

BGH hatte Fragen zu Auslegung der Medizinprodukte-Richtlinie

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs setzt eine Haftung des TÜV Rheinland voraus, dass er gegen ein Schutzgesetz oder eine Vertragspflicht verstoßen hat. Um feststellen zu können, ob ein solcher Verstoß vorliegt, hat der BGH den EuGH ersucht, vorab die einschlägigen europarechtlichen Vorschriften auszulegen, nämlich die Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte. Diese Richtlinie dient der Harmonisierung der Anforderungen, die Medizinprodukte wie etwa Brustimplantate erfüllen müssen, damit sie in den Verkehr gebracht werden dürfen. In der Richtlinie werden unter anderem das Verfahren der EG-Konformitätserklärung sowie die Aufgaben und Verpflichtungen der benannten Stellen geregelt, die im Rahmen dieses Qualitätssicherungssystems tätig werden.

TÜV nach EU-Recht nicht generell zu Produktprüfung verpflichtet

Der EuGH hat entschieden, dass gemäß der Richtlinie 93/42 einer benannten Stelle, die – wie der TÜV – im Rahmen eines Verfahrens der EG-Konformitätserklärung tätig wird, keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten.

Hinweisen auf Mangelhaftigkeit eines Produkts ist aber nachzugehen

Lägen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie möglicherweise nicht erfüllt, müsse die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus dieser Richtlinie nachzukommen. Dazu gehöre unter anderem, dass die benannte Stelle sich davon überzeugt, dass der Hersteller die Verpflichtungen, die sich aus dem genehmigten Qualitätssicherungssystem ergeben, ordnungsgemäß einhält, und dass sie gegebenenfalls feststellt, ob die EG-Konformitätserklärung aufrechterhalten werden kann.

Nationales Recht maßgeblich für Haftung der benannten Stelle

Außerdem stellt der Gerichtshof fest, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß der Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Empfängern begründen kann, unterlägen jedoch vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-219/15

Redaktion beck-aktuell, 16. Februar 2017.