BVerfG: Strafgefangene müssen zu marktgerechten Preisen telefonieren können

Justizvollzugsanstalten müssen dafür sorgen, dass Strafgefangene zu marktgerechten Preisen telefonieren können. Eine geforderte Anpassung der Telefongebühren kann nicht mit dem Hinweis auf einen langfristigen Vertrag mit einem privaten Telekommunikationsanbieter verweigert werden. Dies verstoße wegen Missachtung der wirtschaftlichen Interessen des Gefangenen gegen das Resozialisierungsgebot, entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 08.11.2017 und gab einer Verfassungsbeschwerde statt (Az.: 2 BvR 2221/16, BeckRS 2017, 132464). Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein muss nun erneut entscheiden.

Privatanbieter von Gefangenentelefonie erhöhte Tarife

Der Beschwerdeführer war Strafgefangener in einer Justizvollzugsanstalt in Schleswig-Holstein. Diese verfügt über ein Insassentelefonsystem, das von einem privaten Telekommunikationsanbieter auf Grundlage eines mit dem Land Schleswig-Holstein langfristig geschlossenen Vertrags betrieben wird. Alternative Telefonnutzungsmöglichkeiten bestehen für die Insassen der Justizvollzugsanstalt nicht. Im Juni 2015 änderte der Anbieter die Tarife, wodurch sich die Telefonkosten für den Beschwerdeführer erheblich erhöhten.

JVA lehnte Anpassung der Telefonkosten ab

Sein an die Justizvollzugsanstalt gerichteter Antrag, die Telefongebühren an diejenigen außerhalb der Anstalt anzupassen und dabei seine finanziellen Interessen zu wahren, wurde abgelehnt. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies das Landgericht zurück. Die Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht blieb ebenfalls ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung seines Grundrechts auf Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG).

BVerfG: Verstoß gegen Resozialisierungsgebot

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Der angegriffene Beschluss des OLG missachte die aus dem Resozialisierungsgebot erwachsenden Anforderungen an die Wahrung der finanziellen Interessen von Strafgefangenen. Zwar müssten Telekommunikationsdienstleistungen den Gefangenen nicht entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden. Allerdings dürften die Gefangenen auch nicht mit Entgelten belastet werden, die deutlich über den außerhalb des Vollzuges üblichen lägen, ohne dass verteuernde Bedingungen und Erfordernisse des Strafvollzugs dies notwendig machten. Dies verstieße auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es gebiete, Strafe nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel zu vollziehen.

JVA muss bei Einschaltung privater Betreiber marktgerechte Preise gewährleisten

Das BVerfG unterstreicht, dass sich die Anstalt aus diesen Bindungen nicht nach Belieben lösen könne, indem sie für die Erbringung von Leistungen Dritte einschalte. Lasse die Justizvollzugsanstalt Leistungen durch einen privaten Betreiber erbringen, auf den die Gefangenen ohne eine am Markt frei wählbare Alternative angewiesen seien, müsse sie sicherstellen, dass der ausgewählte private Anbieter die Leistung zu marktgerechten Preisen erbringt. Dabei sei für die Beurteilung, ob die Preise des privaten Anbieters noch marktgerecht sind, eine Vertragsbindung der Anstalt an den Anbieter nicht maßgeblich. Auch erfolglose Bemühungen um Tarifanpassungen im Vertragsverhältnis zu dem Anbieter entbänden die Justizvollzugsanstalt nicht von ihrer Fürsorgepflicht für die Gefangenen.

Vertragsbindung steht Abrechnung marktgerechter Preise nicht entgegen

Das OLG habe die Frage der Angemessenheit der Telefontarife ausdrücklich offengelassen, so das BVerfG. Damit habe es die finanziellen Interessen des Beschwerdeführers missachtet und ihn dadurch in seinem Grundrecht auf Resozialisierung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt. Das Festhalten an dem Vertrag, den das Justizministerium mit einer Laufzeit von 15 Jahren ausgehandelt habe und dessen vorzeitige Kündigung es auch nicht beabsichtige, hindere die Justizvollzugsanstalt nicht daran, dem Beschwerdeführer marktgerechte Preise in Rechnung zu stellen oder ihm kostengünstigere Alternativen der Telefonnutzung anzubieten.

BVerfG, Beschluss vom 08.11.2017 - 2 BvR 2221/16

Redaktion beck-aktuell, 28. November 2017.