BVerfG: Früherer SS-Mann Gröning muss Haftstrafe antreten

Der wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilte frühere SS-Mann Oskar Gröning (genannt der "Buchhalter von Auschwitz") muss seine Haftstrafe antreten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21.12.2017 entschieden und die Haftfähigkeit des 96-Jährigen bestätigt. Weder das hohe Alter noch der Gesundheitszustand Grönings stünden dem Vollzug der Freiheitsstrafe entgegen, so das BVerfG (Az.: 2 BvR 2772/17).

Gröning machte Haftunfähigkeit geltend

Das Landgericht Lüneburg verurteile den 1921 geborenen Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Seinen Antrag auf Aufschub der Strafvollstreckung wegen erheblicher gesundheitlicher Einschränkungen nach § 455 Abs. 3 StPO lehnte die Staatsanwaltschaft nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme und eines ergänzenden psychiatrischen Gutachtens ab. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 458 Abs. 2 StPO wies das LG zurück. Die zum Oberlandesgericht erhobene sofortige Beschwerde blieb ebenfalls ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte Gröning eine Verletzung seines Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

BVerfG: Gesundheitszustand Grönings hinreichend aufgeklärt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen seien nicht zu beanstanden. Sie beruhten weder auf einer unzureichenden Sachaufklärung noch sei der Vollzug der Freiheitsstrafe unverhältnismäßig.  Die zugrunde gelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten ermöglichten Staatsanwaltschaft und Fachgerichten ohne Weiteres, den Gesundheitszustand Grönings einzuordnen und darauf basierend zwischen der Pflicht des Staates zur Durchsetzung des Strafanspruchs und Grönings Grundrechten abzuwägen. Es sei nicht erkennbar, dass die angegriffenen Entscheidungen auf einer unzureichenden Sachaufklärung beruhen.

Hohes Lebensalter Grönings steht Haftvollzug nicht entgegen

Darüber hinaus sei die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte Grönings bei der gebotenen Abwägung nicht verkannt worden, so das BVerfG weiter. In verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise werde davon ausgegangen, dass Grönings hohes Lebensalter für sich genommen nicht ausreichend ist, um von der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs abzusehen. Dabei sei in Rechnung zu stellen, dass Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen schuldig gesprochen worden ist. Dies verleihe der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs ein besonderes Gewicht.

Gröning behält realistische Chance auf Wiedergewinnung der Freiheit

Laut BVerfG kann nach den Feststellungen der Fachgerichte auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Vollzug der Freiheitsstrafe aus anderen Gründen unverhältnismäßig sei. Es sei aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen zum Gesundheitszustand Grönings - zumal unter Berücksichtigung der gesetzlichen Möglichkeiten einer Teilaussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung - nicht erkennbar, dass bei einem Vollzug der vierjährigen Freiheitsstrafe dessen Chance, die Freiheit wieder zu erlangen, von vornherein entfällt oder sich auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest reduziert.

Gesundheitszustand Grönings steht Haftvollzug ebenfalls nicht entgegen

Auch die Einschätzung der Staatsanwaltschaft und der Fachgerichte, der Verhältnismäßigkeit des Strafvollzugs stünden schwere Gesundheitsgefahren oder eine nahe Lebensgefahr Grönings nicht entgegen, ist dem BVerfG zufolge verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Vielmehr könne den bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch entsprechende medizinische Vorkehrungen Rechnung getragen werden. Sollten sich im Lauf des Vollzugs erhebliche nachteilige Veränderungen des Gesundheitszustands Grönings ergeben, könne dem im Weg der Vollzugsunterbrechung (§ 455 Abs. 4 StPO) Rechnung getragen werden.

Bewertung der psychischen Beeinträchtigungen nicht zu beanstanden

Das BVerfG hält es schließlich für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Staatsanwaltschaft und die Fachgerichte auch angesichts der bestehenden psychischen Beeinträchtigungen Grönings keine durch den Vollzug drohende nahe Lebensgefahr oder schwere Gesundheitsgefahr festgestellt hätten. Das Oberlandesgericht habe sich mit den sachverständigen Beurteilungen eingehend auseinandergesetzt und im Ergebnis eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine haftbedingte Lebensgefährdung oder naheliegende Gefahr des Todes verneint. Diese Bewertung sei, auch wenn die Umstände im Strafvollzug anders seien als das bisherige soziale Netz des Beschwerdeführers, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

BVerfG, Beschluss vom 21.12.2017 - 2 BvR 2772/17

Redaktion beck-aktuell, 2. Januar 2018.