BGH: Versicherungsrechtliche Verjährungshemmung durch positive Entscheidung des Versicherers

VVG § 115 II 3

Eine positive Entscheidung des Versicherers beendet die Verjährungshemmung im Sinne des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG nur dann, wenn der Anspruchsteller aufgrund dieser Entscheidung sicher sein kann, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern er die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Demgemäß muss die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

BGH, Urteil vom 14.03.2017 - VI ZR 226/16 (OLG Celle), BeckRS 2017, 111508

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 12/2017 vom 14.06.2017

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Sachverhalt

Der Kläger, ein Sozialhilfeträger, nimmt die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer eines Unfallverursachers aus übergegangenem Recht auf Erstattung von an den bei dem Unfall Geschädigten geleisteter Sozialhilfe in Anspruch. Der Unfall ereignete sich 2005. Der Geschädigte erhielt seit August 2006 Eingliederungshilfe, zunächst von einem anderen Träger. Dessen 2007 angemeldete Regressforderungen wurden 2009 durch die Beklagte reguliert. Erstmals 2013 machte der Kläger Ersatzansprüche geltend.

Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung. Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück.

Rechtliche Wertung

Die Regulierung durch die Beklagte im Jahr 2009 gegenüber dem früheren Sozialhilfeträger stelle keine die Verjährungshemmung beendende Entscheidung des Versicherers im Sinn von § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG dar, so der BGH. Zwar könne nicht nur eine ablehnende, sondern auch eine anspruchsbejahende, für den Geschädigten positive Erklärung des Versicherers eine Entscheidung im Sinn von § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1991 - VI ZR 229/90, r+s 1991, 292 zum damaligen § 3 Nr. 3 S. 3 PflVersG).

Jedoch könnten nur solche positiven Bescheide als «Entscheidung» in diesem Sinn gewertet werden, die eine klare und umfassende Erklärung des Versicherers aufweisen. Dies hänge wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Verjährungshemmung könne nur dann ihr Ende finden, wenn dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfreie Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft werde. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG beende eine positive Entscheidung des Versicherers die Verjährungshemmung daher nur dann, wenn der Geschädigte - oder wie hier sein Zessionar - aufgrund dieser Entscheidung sicher sein könne, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt würden, sofern der Anspruchsteller die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belege. Demgemäß müsse die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein.

Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil das Abrechnungsschreiben der Beklagten aus dem Jahr 2009 nicht mit der nötigen Klarheit erkennen ließ, ob die Beklagte auch alle künftigen Schadenspositionen regulieren werde, wenn sie betragsmäßig belegt würden. Auch ein in einer vorbehaltlosen Zahlung liegendes Anerkenntnis im Sinn von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB, das zu einem Neubeginn der Verjährung führe, sei nicht ohne weiteres mit einer die Verjährungshemmung beendenden Entscheidung gleichzusetzen. Neubeginn und Hemmung der Verjährung könnten gegebenenfalls nebeneinander treten (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1984 – III ZR 208/82, BeckRS 1984, 30385354).

Da somit das Abrechnungsschreiben der Beklagten aus dem Jahr 2009 nicht zu einer Beendigung der Hemmung geführt habe, komme es auf die frage, ob der Kläger unmittelbarer Rechtsnachfolger des damaligen Sozialhilfeträgers sei oder ob er einen originär eigenen Regressanspruch habe, nicht mehr an.

Praxishinweis 

Es handelt sich hier um eine Entscheidung des für Verkehrsunfallsachen zuständigen VI. Zivilsenats des BGH zur Frage der Verjährung von Haftpflichtansprüchen nach dem PflVersG (also nicht um eine Entscheidung des für das eigentliche Versicherungsrecht zuständigen IV. Zivilsenats). Gleichwohl ist das Urteil, das eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1991 (a.a.O.) sowie eine Entscheidung vom 05.12.1995 (Az. VI ZR 50/95, NJW-RR 1996, 474) fortführt, natürlich für Kfz-Haftpflichtversicherer interessant, da dort Verjährungsfragen eine wichtige Rolle spielen.

Redaktion beck-aktuell, 23. Juni 2017.