Streit um Schadenersatz wegen fehlerhafter Brustimplantate
Die Klägerin ließ sich am 01.12.2008 in Deutschland Silikonbrustimplantate einsetzen, die von einem in Frankreich ansässigen Unternehmen, das zwischenzeitlich in Insolvenz gefallen ist, hergestellt worden waren. 2010 stellte die zuständige französische Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate entgegen dem Qualitätsstandard minderwertiges Industriesilikon verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Klägerin daraufhin 2012 ihre Implantate entfernen. Sie begehrt deshalb von der Beklagten ein Schmerzensgeld nicht unter 40.000 Euro und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftig entstehende materielle Schäden.
Benannte Stelle muss unter anderem Qualitätssicherungssystem überprüfen
Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn unter anderem ein Konformitätsbewertungsverfahren nach § 6 Abs. 2 Satz 1, § 37 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG), § 7 Abs. 1 Nr. 1 Medizinprodukte-Verordnung (MPV) in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993 über Medizinprodukte durchgeführt worden ist. Bestandteil dieses Konformitätsbewertungsverfahrens ist die Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung. Diese Aufgaben werden von einer sogenannten benannten Stelle durchgeführt, die der Hersteller zu beauftragen hat.
Beklagte war benannte Stelle
Der in Frankreich ansässige Hersteller beauftragte den beklagten TÜV Rheinland als benannte Stelle mit den genannten Aufgaben. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte ihren Pflichten als benannter Stelle nicht hinreichend nachgekommen sei. Unangemeldete Inspektionen, eine Sichtung der Geschäftsunterlagen und eine Produktprüfung hätten dazu geführt, die Herstellung mittels Industriesilikon zu entdecken und eine Verwendung der Silikonbrustimplantate zu verhindern.
Klage in erster und zweiter Instanz erfolglos
Das Landgericht hatte die Klage in erster Instanz abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hatte das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Es hatte zur Begründung ausgeführt, die Handhabung der Beklagten, angemeldete Besichtigungen zum Zwecke der Überwachung durchzuführen, sei ausreichend gewesen. Verdachtsmomente, die Veranlassung gegen hätten, weitergehende Maßnahmen einzuleiten, hätten nicht vorgelegen. Gegen diese Entscheidung hatte die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren weiter verfolgt.
BGH legt EuGH Fragen zum Umfang der Prüfpflicht vor
Der BGH hatte sodann mit Beschluss vom 09.04.2015 (GuP 2015, 119) dem EuGH zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993 über Medizinprodukte mehrere Fragen vorgelegt. Unter anderem wollte er wissen, ob sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG ergibt, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht obliegt. Auch sollte der EuGH klären, ob sich aus den genannten Nummern des Anhangs II ergibt, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen.
EuGH verneint generelle Pflicht zu unangemeldeten Inspektionen
Der EuGH hat dazu ausgeführt (vgl. VersR 2017, 496), dass die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.06.1993 über Medizinprodukte in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.09.2003 geänderten Fassung in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 dahin auszulegen sind, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Lägen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung geänderten Fassung möglicherweise nicht erfüllt, müsse die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 RL 93/42/EWG und den Abschnitten 3.2, 3.3, 4.1 bis 4.3 und 5.1 des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen.
BGH verneint weitergehende Prüfpflicht der Beklagten
Auf dieser Grundlage hat die Revision der Klägerin keinen Erfolg. Die Beklagte war nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht verpflichtet, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen zu sichten, da keine Hinweise vorlagen, die darauf hindeuteten, dass möglicherweise die Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG nicht erfüllt waren.