Klar ist: Wegen der passiven Nutzungspflicht ist die fehlende Aktivierung des beA ein Berufspflichtverstoß (AnwG Nürnberg Urt. v. 6.3.2020 – AnwG I-13/19 5 EV 42/19, BeckRS 2020, 7099). Die aktive Nutzungspflicht gilt ab dem 1.1.2022, wenn nicht bereits vorher eine verpflichtende elektronische Einreichung vorgegeben wird, wie etwa von der Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein. Unklar ist hingegen, ob Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Fristwahrung das beA nutzen müssen, wenn andere Übermittlungswege nicht zur Verfügung stehen. Das OLG Dresden (NJW 2019, 3312) und das LG Krefeld (NJW 2019, 3658) haben das bei Unerreichbarkeit des gerichtlichen Faxgeräts bejaht. Das LG Mannheim (NJW 2020, 940) hat das verneint. Jetzt hat der BGH (NJW 2020, 2194 – in diesem Heft) die Ansicht der Mannheimer Richter in einem obiter dictum vermeintlich bestätigt. Dabei hat sich der Senat maßgeblich auf die Störanfälligkeit des Postfachs gestützt. Deshalb sei dem Anwalt ein Wechsel des Übermittlungswegs kurz vor Fristablauf nicht mehr zuzumuten.
Den Beschluss halte ich für falsch. Der BGH macht sich damit einen „schlanken Fuß“ und drückt sich um die Antwort, ob es grundsätzlich eine anwaltliche Pflicht ist, das beA zur Fristwahrung zu nutzen. Mehr noch, die Entscheidung wirft viele neue Fragen auf: Was gilt denn bei Nutzung eines Fax over IP, das ebenfalls fehleranfällig ist, wo aber die Störungen anders als beim beA und beim ERV nicht erfasst werden? Gilt der Beschluss des BGH auch in Zeiten, in denen es beim Postfach weniger Störungen gibt? Wenn ja: Wie viele müssen es sein? Und was ist, wenn Kolleginnen und Kollegen das beA in einer solchen Situation trotz Störungen nutzen, die Zustellung dann aber aus von ihnen verschuldeten Gründen scheitert? Müssen sie den Fristablauf gegen sich gelten lassen, während diejenigen, die die Finger vom Postfach gelassen haben, Wiedereinsetzung bekommen? Offenbar hat der BGH ein wenig Angst vor der eigenen Courage. Angesichts seiner strengen Wiedereinsetzungsrechtsprechung wäre es aus meiner Sicht nur konsequent, in solchen Konstellationen eine Nutzungspflicht anzunehmen. Das wäre im Interesse der Mandanten und für uns eine klare Ansage, mit der wir arbeiten könnten.
Der Gesetzgeber muss auch noch einmal ran. Wir brauchen jetzt § 130d S. 2 ZPO, dabei muss die Risikoverteilung überdacht werden. Auch bei der Bezeichnung der Dateien brauchen wir Klarheit: Warum müssen nur „wir“ so bezeichnen, dass „die anderen“ damit besser arbeiten können? •