Zeuge bestreitet Überwachung Amris durch Verfassungsschutz

Vor dem ersten Untersuchungsausschuss ("Breitscheidplatz") hat ein ranghoher Beamter des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Einschätzung bekräftigt, dass der Fall des späteren Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri ein "Polizeisachverhalt" gewesen sei, mit dem sich seine Behörde "nur am Rande" befasst habe. "Wir waren nicht operativ an ihm dran", sagte der Leitende Regierungsdirektor Gilbert Siebertz in seiner Vernehmung am 27.09.2018. Der heute 51-jährige ausgebildete Islamwissenschaftler ist seit Anfang 2015 in der für radikalislamische Bestrebungen zuständigen Abteilung 6 tätig, zunächst als Referatsleiter. Seit Mitte 2017 führt Siebertz eine Referatsgruppe im Bereich "operative Auswertung".

Keine Rede von "Überwachung"

Entgegen anders lautenden Angaben habe der Verfassungsschutz Amri auch nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln "überwacht", betonte der Zeuge. Er räumte ein, dass seine Behörde im Februar und März 2016 mehreren "geeigneten Quellen", also V-Leuten im radikalislamischen Milieu, Fotografien vorgelegt habe, auf denen Amri zu sehen war. Allerdings habe ihn keiner der Befragten erkannt. Auch habe der Verfassungsschutz ohne Erfolg V-Leute beauftragt, Amris Aufenthaltsort zu ermitteln und "näher an ihn heranzurücken". Weitere nachrichtendienstliche Mittel habe seine Behörde gegen den Tunesier, der im Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz den bislang opferreichsten radikalislamischen Anschlag in Deutschland verübte, nicht eingesetzt, betonte Siebertz. Insbesondere könne nach seinem Verständnis von einer "Überwachung" keine Rede sein.

Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen und Berlin "federführend" zuständig

Der Zeuge erläuterte in diesem Zusammenhang die Terminologie. Von einer "nachrichtendienstlichen Beobachtung" sei dann zu sprechen, wenn eine Person aufgrund erster Informationen in der Datenbank des Verfassungsschutzes registriert werde. Im Fall Amris erfolgte dies, wie eine Zeugin dem Ausschuss in der vorangegangenen Sitzung berichtet hatte, im Januar 2016, als aus Nordrhein-Westfalen ein Hinweis vorlag, dass sich der Mann mit der Planung eines Attentats beschäftige. Von einer "Überwachung" mit nachrichtendienstlichen Mitteln könnte nach den Worten des Zeugen aber nur dann die Rede sein, wenn der Verfassungsschutz Amri offensiv ausgespäht hätte. Dafür seien allerdings 2016 die Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen und Berlin "federführend" zuständig gewesen.

Siebertz: Priorität nicht besonders hoch

Eigene Aktivitäten des Verfassungsschutzes hätten sich damit erübrigt. Seine Behörde sei davon ausgegangen, dass Amri "von der Polizei so umfassend bearbeitet wurde, dass nicht noch von unserer Seite zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren". Sie habe ohnehin "zu keinem Zeitpunkt" Erkenntnisse gewonnen, die über den Informationsstand der Polizei hinausgingen: "Der Fall hatte keine besonders hohe Priorität im BfV, weil die Polizeibehörden die Person Amris mit Maßnahmen hinreichend abgedeckt hatten." Auch rückblickend könne er nicht erkennen, was der Verfassungsschutz 2016 anders hätte machen können. "Einen ähnlich gelagerten Fall würden wir heute wieder so bearbeiten", sagte Siebertz: "Wir waren in diesem Fall unterwegs wie in vielen vergleichbaren Fällen, die aber nicht mit einem Anschlag geendet haben."

Keine Abhörmaßnahmen ohne Verdacht

Auch als die Polizei im Oktober 2016 die Beobachtung Amris einstellte, weil sich der Verdacht der Vorbereitung eines Anschlags nicht hatte erhärten lassen, habe der Verfassungsschutz nicht ohne Weiteres übernehmen können. Abhörmaßnahmen wären ohne diesen Verdacht nicht genehmigt worden. Dass Amri Salafist war, habe ohnehin festgestanden.

Redaktion beck-aktuell, 28. September 2018.