VG Regensburg: Anspruch auf verkehrsrechtliche Anordnung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen

StVO § 45 I 2 Nr. 3; VwGO § 75; 16. BImSchV § 2 I Nr. 6

Vor der Anordnung von Beschränkungen und Verboten des fließenden Verkehrs aus Gründen des Lärmschutzes ist es grundsätzlich notwendig, die Lärmbelastung zu berechnen, was eine Erfassung der Verkehrsbelastung (Verkehrszählung) voraussetzt. Hat die Straßenverkehrsbehörde keine eigenen Kapazitäten, ist sie verpflichtet, Zählungen, Berechnungen oder Abgasmessungen durch eine öffentliche Stelle oder qualifizierte Privatgutachter in Auftrag zu geben. Dies gilt nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vor allem dann, wenn ein komplexes und langjährig nicht gelöstes Verkehrsproblem besteht.

VG Regensburg, Urteil vom 26.07.2018 - RN 5 K 16.1733, BeckRS 2018, 19484

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 18/2018 vom 13.09.2018

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Sachverhalt

Das Anwesen des Klägers befindet sich am Rand eines allgemeinen Wohngebiets, für das es keinen Bebauungsplan gibt. Auf der gegenüberliegenden Seite der Durchgangsstraße, an der das Grundstück liegt, befindet sich ein Mischgebiet. Teilweise sind die Bürgersteige nicht ausgebaut und die von Fußgängern benutzten Streifen sind so schmal, dass Fußgänger, insbesondere Kinder, nach Auffassung des Klägers gefährdet sind.

Die zuständige Behörde hat die Örtlichkeit mehrfach besichtigt. Zudem bildete sich eine Bürgerinitiative. Der Verkehrsausschuss der Gemeinde wurde bemüht. Die Gemeinde teilte schließlich lediglich mit, dass sie über die erforderlichen Geräte zur Messung von Lärm und Abgasen nicht verfüge. Zuständig sei auch die untere Immissionsschutzbehörde beim Landratsamt, die Erfassung der Luftschadstoffbelastung sei Aufgabe des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. Dieses Landesamt aber habe bereits in anderen Fällen, auch bei massiv stärker belasteten Gebieten, die Entsendung einer Messstation abgelehnt.

Der Kläger begehrt von der Gemeinde eine verkehrsrechtliche Anordnung zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen und erhebt Verpflichtungsklage.

Rechtliche Wertung

Mit dieser Klage hat der Kläger – vorläufigen – Erfolg und die Gemeinde wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 31.07.2015 zum Erlass einer Anordnung gemäß § 45 StVO zur Begrenzung von Lärm und Abgasimmissionen zu erlassen. Die Rechtsauffassung des Gerichts sei dabei zu berücksichtigen. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO könnten die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten.

Die Kammer setzt sich nachlesenswert mit den einschlägigen Vorschriften sehr eingehend auseinander. Dass der Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen, der Schutz der Wohnruhe aber auch der Schutz der Kinder besonders zu berücksichtigen sei, müsse bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden. Die Belange der Bevölkerung hätten Grundrechtsrang und besonders hohen Stellenwert.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist sehr wesentlich. Sie zeigt zum einen mit großer Sorgfalt auf, welche Vorschriften überhaupt zu berücksichtigen sind. Der Gemeinde wird auch deutlich vorgehalten, dass sie eben etwas tun muss. Dieses Tun müssen ist für Gemeinden unangenehm, nicht nur wegen der Tätigkeit, die gefordert wird, sondern weil mit dieser Tätigkeit oft andere Bürger betroffen werden.

Redaktion beck-aktuell, 20. September 2018.