Verfassungsschutz darf AfD vorerst nicht als "Verdachtsfall" benennen
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© Michael Kappeler / dpa

In dem gegen die Einstufung als "Verdachtsfall" durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gerichteten Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Köln einem erneuten Antrag der AfD auf Erlass einer Zwischenentscheidung stattgegeben. Das Gericht untersagte dem BfV bis zu einer Entscheidung über den von der AfD gestellten Eilantrag, die Partei als "Verdachtsfall" einzustufen oder zu behandeln sowie eine solche Einstufung erneut bekanntzugeben.

Streit um Einstufung als "Verdachtsfall" liegt beim VG Köln

Die AfD hatte Ende Januar 2021 einen gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BfV, gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dem BfV soll untersagt werden, die AfD als "Verdachtsfall" oder "gesichert extremistische Bestrebung" einzustufen und zu behandeln sowie eine solche Einstufung oder Behandlung öffentlich bekanntzugeben. Zugleich hatte die Partei beantragt, bis zu einer Entscheidung über diesen Eilantrag einen Hängebeschluss zu erlassen. Andernfalls drohe ihr ein nicht wiedergutzumachender Schaden im politischen Wettbewerb. Den Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses hatte das Gericht mit Beschluss vom 27.01.2021 abgelehnt, nachdem das BfV sogenannte Stillhaltezusagen abgegeben hatte. Die Beschwerde der AfD gegen den Beschluss blieb vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ohne Erfolg.

Zweiter Antrag auf Hängebeschluss erfolgreich

Am 03.03.2021 berichteten Medien bundesweit darüber, dass das BfV die AfD als "Verdachtsfall" eingestuft habe. Die Partei stellte daraufhin einen erneuten Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses, dem das Gericht nunmehr stattgab. Zur Begründung führte es aus, der Erlass einer Zwischenentscheidung sei nunmehr erforderlich. 

Bekanntgabe der Einordnung als "Verdachtsfall" trotz Stillhaltezusage

Dies gelte zunächst für die streitige Bekanntgabe der Einordnung als Verdachtsfall. Insofern werde in unvertretbarer Weise in die verfassungsrechtlich gewährleistete Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen, nachdem alles dafür spreche, dass sich das BfV nicht an seine Stillhaltezusagen gehalten oder zumindest nicht hinreichend dafür Sorge getragen habe, dass keine verfahrensrelevanten Informationen nach außen dringen. Die Stillhaltezusage habe das OVG Münster ausdrücklich dahingehend verstanden, dass nicht nur eine öffentliche Bekanntgabe etwa im Weg einer Pressemitteilung unterlassen werde, sondern jegliche in ihrer Wirkung gleichkommende Maßnahme der Information der Öffentlichkeit. Aufgrund der medialen Berichterstattung vom 03.03.2021 stehe für das Gericht fest, dass in einer dem BfV zurechenbaren Weise der Umstand der Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall "durchgestochen" worden sei. 

Vertrauensgrundlage zerstört

Das gelte in gleicher Weise für die 262-seitige Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 01.03.2021, die ebenfalls an die Presse durchgestochen worden sei. Diesem Schriftsatz lasse sich im Einzelnen entnehmen, was aus Sicht des BfV für die Einstufung der Antragstellerin als Verdachtsfall maßgeblich sei. Das Gericht habe im ersten Durchlauf die Notwendigkeit einer Zwischenregelung verneint, weil die Antragsgegnerin Stillhaltezusagen abgegeben habe, um eine dem Gewaltenteilungsgrundsatz sowie dem Respekt vor dem Gericht entsprechende Verfahrensweise zu ermöglichen. Diese Vertrauensgrundlage sei nunmehr zerstört. Für den Hängebeschluss bestehe auch ein Bedürfnis, obwohl die Einstufung als Verdachtsfall nunmehr in der Welt sei. Denn mit jeder Verlautbarung vertiefe sich der Eingriff in die Chancengleichheit der politischen Parteien.

Antrag auch bezüglich Einordnung und Behandlung erfolgreich

Auch soweit der Antrag die Einordnung und Behandlung der Antragstellerin als Verdachtsfall betreffe, falle die erforderliche Folgenabwägung nunmehr zu Lasten des BfV aus. Zum einen könne angesichts des Umstands, dass Stillhaltezusagen bezogen auf die streitige Bekanntgabe teilweise nicht eingehalten worden seien, nicht mehr davon ausgegangen werden, dass zumindest im Hinblick auf die Einordnung und Behandlung die Einhaltung der entsprechenden Stillhaltezusagen sichergestellt sei. Zum anderen sei bereits dadurch, dass die Einordnung als Verdachtsfall öffentlich bekanntgeworden sei, derart tief in die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen worden, dass eine weitere Beeinträchtigung derselben dadurch, dass Mitglieder der Antragstellerin mit nicht gänzlich unerheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssten, allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit nachrichtendienstlich überwacht zu werden oder von solchen Maßnahmen jedenfalls mittelbar betroffen zu sein, nicht hinnehmbar sei.

Hängebeschluss trifft keine Aussage zu Erfolgswahrscheinlichkeit

Das Gericht führte in seinem Beschluss ferner aus, dass es für den Erlass eines Hängebeschlusses allein auf eine Folgenabwägung ankomme, nicht hingegen auf eine Prüfung des voraussichtlichen Erfolgs des Eilantrags. Das Verfahren auf Erlass einer Zwischenregelung sei kein "Eilverfahren im Eilverfahren". Gegen den Beschluss können die Beteiligten Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde.

VG Köln, Beschluss vom 05.03.2021 - 13 L 105/21

Redaktion beck-aktuell, 5. März 2021.