Schüler haften nicht für Verhalten ihrer Eltern

Ein Schüler kann nicht allein wegen des Verhaltens seines Vaters gegenüber Schulleitung und Lehrerschaft an eine andere Schule überwiesen werden. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren am 23.11.2020 entschieden. Für diesen erheblichen Eingriff in Grundrechte des Schülers gebe es in einem solchen Fall keine Rechtsgrundlage.

Problem-Vater stört Schulfrieden

Der 15-jährige Antragsteller besucht eine Schule in Berlin-Tempelhof. Seit mehr als zwei Jahren gibt es erhebliche Auseinandersetzungen zwischen dessen Vater und der Schule. Der Vater stellte zahlreiche Dienstaufsichtsbeschwerden, Petitionen, Befangenheitsanträge und Strafanzeigen. Er erschien vor der Schule, sprach Schüler und Lehrkräfte an und erstellte Videos, die er auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte. Ein Großteil der Lehrkräfte der Schule fühlt sich von dem Vater bedroht. Die beiden Klassenlehrerinnen und die Schulleiterin waren zwischenzeitlich dienstunfähig erkrankt. 

Schüler wird trotz guter Leistungen und Integration an andere Schule versetzt

Der Schüler selbst weist nach dem Zeugnis des Schuljahres 2019/2020 durchgängig gute bis sehr gute Leistungen auf. Auch seine Lern- und Leistungsbereitschaft, Arbeitshaltung, Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Teamfähigkeit und Verhalten werden mit "sehr ausgeprägt" bewertet. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sprach mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 23.10.2020 die Überweisung des Schülers an eine andere Schule desselben Bildungsgangs aus. Zur Begründung berief sie sich auf das gestörte Verhältnis zwischen Vater und Schulleitung. Die Schule könne ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag in Bezug auf den Schüler nicht mehr in gebotenem Maße nachkommen. Der Schulfrieden sei so nachhaltig gestört, dass die Situation auch für die Entwicklung des Jugendlichen abträglich sei.

VG: Überweisung entbehrt einer Rechtsgrundlage - Keine Zurechnung des Verhaltens des Vaters

Der Eilantrag des Schülers gegen seine Überweisung hatte Erfolg. Nach Auffassung der Dritten Kammer des VG fehlt es für die Überweisung des Antragstellers an einer geeigneten Rechtsgrundlage. Bei der Maßnahme handele es sich wegen ihrer erheblichen Grundrechtsrelevanz um eine wesentliche Entscheidung, deren Voraussetzungen vom Gesetzgeber getroffen werden müssten und die nicht der Schulverwaltung überlassen werden dürfe. Die Überweisung auf eine andere Schule könne nicht als Ordnungsmaßnahme angesehen werden. Denn Voraussetzung hierfür sei eine Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Unterrichts- und Erziehungsarbeit oder eine Gefährdung anderer am Schulleben Beteiligter durch den Antragsteller selbst, woran es hier fehle. Für eine Zurechnung des Verhaltens seines Vaters sei kein Raum. Sonstige Rechtsgrundlagen seien nicht einschlägig. Das Gericht ließ ausdrücklich offen, ob die Schule gegebenenfalls Maßnahmen zur Unterbindung von Störungen und zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebes gegen den Vaters des Antragstellers selbst richten könnte.

VG Berlin, Beschluss vom 23.11.2020 - 3 L 612/20

Redaktion beck-aktuell, 27. November 2020.