VerfGH Rheinland-Pfalz: OLG Koblenz muss über Zulassung der Rechtsbeschwerde in Blitzer-Streit neu entscheiden

In einem Blitzer-Streit, in dem ein Bußgeldurteil auf eine Geschwindigkeitsmessung mit dem in einem "Enforcement Trailer" verbauten Messgerät PoliScan FM1 gestützt wurde, muss das Oberlandesgericht Koblenz erneut über die Zulassung der Rechtsbeschwerde entscheiden. Dies hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 15.01.2020 entschieden. Offen blieb allerdings die Frage, ob der Umstand, dass das Gerät keine Rohmessdaten speichert, einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren mit der Folge eines Verwertungsverbots begründet. Der VerfGH merkt aber an, dass die Rechtsprechung des saarländischen VerfGH (BeckRS 2019, 13588) mit Blick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege nicht zwingend sei (Az.: VGH B 19/19).

Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan-"Enforcement Trailer"

Dem Beschwerdeführer wurde in einem Bußgeldverfahren vor­geworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten zu haben. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines in einen Anhänger ("Enforcement Trailer") eingebauten Messgerätes des Typs PoliScan FM1 der Firma Vitronic. Im Lauf des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittlich, beantragte die Verteidigerin des Beschwerdeführers die Überlassung verschiede­ner Messdaten sowie der Auf- und Einbauvorschriften für die Verwendung des Gerätes in einem Enforcement Trailer, ferner die Aussetzung des Verfahrens sowie die Ein­holung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeits­messung. Sämtliche Anträge wurden durch Beschluss des Gerichts abgelehnt. Das AG verurteilte den Beschwerdeführer wegen des Geschwindigkeitsver­stoßes zu einer Geldbuße von 120 Euro.

Zulassung der Rechtsbeschwerde abgelehnt

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechts­beschwerde machte dieser unter anderem geltend, hinsichtlich der Aufbauvorschriften könne auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte zu Bedienungsanleitun­gen zurückgegriffen werden, die ein Einsichtsrecht des Betroffenen bejahe. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde durch den mit einer Richterin besetzten Bußgeldsenat (§ 80a Abs. 1 OWiG) des Oberlandesgerichts Koblenz als unbegründet verworfen. Sämtliche im Zulassungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen verfahrens- und materiell-rechtlicher Art seien geklärt.

Beschwerdeführer rügte Grundrechtsverletzungen

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendete sich der Beschwerdeführer sowohl gegen das AG-Urteil als auch den OLG-Beschluss. Die Nichtüberlassung der Messdaten und weiterer Dokumente verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, die Ablehnung des beantragten Sachverständigengutachtens zudem gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Der OLG-Beschluss sei mit den Garantien des gesetzlichen Richters und effektiven Rechtsschutzes unver­einbar.

VerfGH: OLG hätte Rechtsbeschwerde wegen abweichender Rechtsprechung anderer OLGs zulassen müssen

Der VerfGH hat der Verfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben. Die OLG-Entscheidung verletze die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -) und den gesetz­lichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz LV). Der Beschwerdeführer habe in seinem Zulas­sungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte hin­gewiesen, wonach ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbau­anleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgerätes auch dann bestehe, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde. Vor diesem Hintergrund sei objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertige. Bestehe zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sei die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzu­lassen und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, um eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof zu ermöglichen.

VerfGH Saarland-Rechtsprechung nicht zwingend: Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege zu beachten

Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen hat der VerfGH die Verfassungsbeschwere hingegen zurückgewiesen. Wegen des verfassungs­prozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität sei dem OLG durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden. Der VerfGH betont allerdings, die an der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saar­landes zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Beschwerdeführers sei keineswegs zwingend. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfah­ren unterscheide, seien neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen.

VerfGH RhPf, Urteil vom 15.01.2020 - B 19/19

Redaktion beck-aktuell, 24. Januar 2020.