VerfGH Bayern: Undifferenzierte Anrechnung von berufsständischen Versorgungsleistungen auf Beamtenversorgung ist verfassungswidrig

Die Anrechnung von Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung auf die Versorgungsbezüge der Beamten nach Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG verstößt gegen das Alimentationsprinzip. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 11.12.2017 entschieden und einer Popularklage stattgegeben. Habe die öffentliche Hand den Aufbau solcher Leistungen nicht durch Beiträge oder Zuschüsse mitfinanziert, sei eine Anrechnung nicht gerechtfertigt (Az.: Vf. 15-VII-13).

Antragsteller rügte Anrechnung von Anwaltsversorgungsleistungen auf Beamtenversorgung

Art. 85 BayBeamtVG regelt das Zusammentreffen von Versorgungsbezügen der Beamten mit Renten. Danach werden unter anderem Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen (Abs. 1 Satz 2 Nr. 1) in bestimmtem Umfang auf die Versorgungsbezüge der Beamten angerechnet. Von der Anrechnung erfasst sind auch Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung (Abs. 1 Satz 2 Nr. 5). Der Antragsteller wendete sich gegen die Anrechnung von Bezügen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung (Anwaltsversorgung) auf seine Beamtenversorgung. Mit seiner Popularklage beanstandete er Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG als verfassungswidrig. Die Regelung verstoße gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Verfassung) und gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung).

Verstoß gegen Alimentationsprinzip moniert

Denn die Vorschrift verletze das Alimentationsprinzip. Zwar sei es mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, wenn der Dienstherr Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die von ihm zu leistende Versorgung anrechne, da dies dem Grundsatz entspreche, dass eine Doppelalimentation durch die öffentliche Hand nicht stattfinde. Bei den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und den befreienden Lebensversicherungen handle es sich jedoch um Leistungen einer privaten, nicht einer öffentlichen Kasse. Der Gesetzgeber habe auch auf eine Differenzierung dahingehend verzichtet, ob die dem Rentenanspruch zugrunde liegenden Beitragszahlungen mindestens zur Hälfte durch einen Arbeitgeber aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im öffentlichen Dienst geleistet worden seien. Dies führe dazu, dass sich der Dienstherr verfassungswidrig von seiner Alimentationspflicht entlaste. Zumindest hätte es einer Übergangsregelung bedurft. 

Land: Anrechnungsvorschrift soll Überversorgung von Beamten mit Mischbiografie ausschließen

Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung argumentierten dagegen, dass sich das versorgungsrechtliche Leitbild des Nur-Beamten an einem Beamten orientiere, der eine ruhegehaltfähige Dienstzeit von mindestens 40 Jahren vorweisen könne. Die damit verbundene Höchstversorgung solle auch der Beamte mit Mischbiografie nicht überschreiten, der durch ein weiteres Beschäftigungsverhältnis einen zusätzlichen, ebenfalls der Alterssicherung dienenden Anspruch erworben habe. Mit Art. 85 BayBeamtVG habe der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel vollzogen. Er knüpfe die Anrechnung von Renten nicht mehr an den Tatbestand der Doppelalimentierung aus öffentlichen Kassen, sondern an das Vorliegen einer Berufstätigkeit. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass Zeiten, die über eine Pflichtversicherung in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung abgedeckt seien, im Normalfall als "Kannvordienstzeiten" anerkannt würden und so versorgungserhöhend wirkten.

VerfGH: Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG verletzt Alimentationsprinzip

Der VerfGH hat der Popularklage stattgegeben. Die in Art. 85 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BayBeamtVG geregelte Anrechnung von Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung auf die Versorgungsbezüge der Beamten sei verfassungswidrig und nichtig. Sie verstoße gegen das Alimentationsprinzip (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 BV).

Befreiende Lebensversicherung: Ohne Beiträge/Zuschüsse der öffentlichen Hand keine öffentlich (mit-)finanzierte Kasse

Wie der VerfGH erläutert, handelt es sich bei einer befreienden Lebensversicherung um eine Sonderform der vom Arbeitgeber mitfinanzierten Alterssicherung, die Angestellte bis zum 31.12.1967 zum Zweck der Befreiung von der Angestelltenpflichtversicherung abschließen konnten. Die Leistungen würden nicht aus öffentlichen Kassen, sondern durch ein Versicherungsunternehmen aufgrund eines Lebensversicherungsvertrags gewährt. Damit stammten sie - vergleichbar den Versorgungsleistungen, die ohne jede Beteiligung des Dienstherrn auf einer privaten (Betriebs-)Rentenversicherung beruhten - aus einer privaten Kasse. Leiste die öffentliche Hand hierzu keine Beiträge oder Zuschüsse, sei keine von der öffentlichen Hand (mit-)finanzierte Kasse betroffen. Eine auf Leistungen aus einer befreienden Lebensversicherung neben beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen beruhende "Überversorgung" des Beamten ergebe sich allein aus der Eigenleistung des Beamten oder seines privaten Arbeitgebers. 

Versorgungserhöhende Berücksichtigung von "Kannvordienstzeiten" rechtfertigt Anrechnung nicht

Laut VerfGH ergibt sich ein Missverhältnis zwischen Rechten und Pflichten des Beamten insoweit auch nicht aufgrund einer teilweisen oder vollständigen Anrechnung von sogenannten Kannvordienstzeiten auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit eines Beamten. Zwar wirke die Berücksichtigung dieser Zeiten versorgungserhöhend, ohne dass insoweit eine Gegenleistung des Beamten erbracht werde. Eine Anerkennung dieser Zeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit sei aber verfassungsrechtlich nicht zwingend. Sie sei dementsprechend vom Gesetzgeber in Art. 19 und 22 BayBeamtVG als Ermessensregelung ausgestaltet worden, die nach Art. 24 Abs. 4 BayBeamtVG zudem unter den Regelvorbehalt ("soll") der Nichtüberschreitung der Höchstgrenze nach Art. 85 Abs. 2 BayBeamtVG durch die Gesamtversorgung des Beamten gestellt worden sei.

Berufsständische Versorgungseinrichtungen sind gesetzlicher Rentenversicherung zwar angenähert 

Für vergleichbar erachtet der VerfGH die Lage bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Dabei handle es sich um eine selbständig neben den sonstigen gesetzlichen Altersversorgungssystemen stehende Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung für Beschäftigte und selbstständig Tätige freier Berufsgruppen (zum Beispiel Ärzte, Apotheker, Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Architekten). Eine berufsständische Versorgungseinrichtung, wie etwa die Bayerische Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, sei zwar auch durch zahlreiche öffentlich-rechtliche Elemente gekennzeichnet, die sie von der typischen Erscheinungsform einer privaten Kasse unterschieden und sie der gesetzlichen Rentenversicherung annäherten. Sie werde insbesondere nicht - wie die private Lebensversicherung - vom reinen Versicherungsprinzip beherrscht, sondern habe - wie die gesetzliche Rentenversicherung - auch soziale Komponenten.

Aufgrund struktureller Unterschiede aber keine öffentlichen Kassen 

Gleichwohl bestünden wesentliche strukturelle Unterschiede, die eine Einstufung der berufsständischen Versorgungseinrichtungen als öffentliche Kassen verböten, so der VerfGH weiter. Habe die öffentliche Hand zum Aufbau der Versorgungsleistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung keine Mittel beigetragen und würden auch finanzielle Risiken von ihr nicht aufgefangen, sei weder eine ungerechtfertigte Überversorgung des Beamten noch die Gefahr von Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln gegeben.

Redaktion beck-aktuell, 11. Dezember 2017.