Stuttgart-Ermittlungen: DAV warnt vor Tunnelblick durch ethnischen Fokus

Im Zuge der Ermittlungen zu den jüngsten Ausschreitungen in Stuttgart kündigte der Stuttgarter Polizeipräsident an, bundesweite Recherchen bei Standesämtern zu etwaigen Migrationshintergründen deutscher Tatverdächtiger durchführen zu lassen. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert dies als "unnötigen Tunnelblick“. Die vieldiskutierte Frage, ob der Begriff "Stammbaumrecherche“ gefallen sei ist oder nicht, lenke von der berechtigten Kritik an dieser Vorgehensweise ab.

Zugriff auf gesamtes strafprozessuales Eingriffsarsenal

Da bereits Tatverdächtige identifiziert seien, die aufgrund eines bestehenden Tatverdachts sogar in Untersuchungshaft sitzen, stehe den Ermittlungsbehörden das gesamte strafprozessuale Eingriffsarsenal zur Verfügung, erklärte Anwalt Eren Basar, Mitglied des DAV-Ausschusses "Gefahrenabwehrrecht“ am 14.07.2020. So könnten die Ermittler bei den Beschuldigten Handys, Tablets, Notebooks, E-Mails und Social-Media-Konten sicherstellen und forensisch auf Verbindungen zu anderen möglichen Verdächtigen auswerten.

Offenlegung von Verbindungen zu anderen Personen wird erleichtert

Zudem könnten die Ermittler den Antrag auf Wohnungsdurchsuchungen stellen und Zeugen befragen. Mit diesen Maßnahmen ließen sich in aller Regel die Verbindungen zu anderen Personen – egal welcher Herkunft – sehr gut aufklären. Gerade der Zugriff auf die digitalen Beweismittel lege oft Verbindungen offen, die ansonsten verborgen bleiben können, so Basar. Der Zugriff auf andere Personen mittels Abfrage der Herkunft sei dagegen ein ermittlungstaktisch vorurteilsbeladener Ansatz, der zudem als erster Ermittlungsansatz zu einer Verengung des Ermittlungsblicks auf bestimmte Personen führe.

Racial Profiling mit neutralem Aufklärungsgrundsatz nicht vereinbar

Dies sei klassisches Racial Profiling, das mit dem neutralen Aufklärungsgrundsatz zu einem so frühen Zeitpunkt der Ermittlungen kaum zu vereinbaren sei. Der Verweis auf die (mögliche) Strafzumessung überzeuge jedenfalls nicht. "Mit dem Täter und seinen Lebensumständen beschäftigen wir uns erst im Rahmen der Strafzumessung vor Gericht – und das ist dann auch nicht Aufgabe der Polizei.“

Auch Datenschutz ist zu beachten

Auch aus datenschutzrechtlicher Sicht ist nach Ansicht des DAV-Anwalts die geplante Vorgehensweise kritikwürdig. Denn die ethnische Herkunft von Personen gehöre zu den besonderen personenbezogenen Daten, die nur verarbeitet werden dürfen, wenn dies unbedingt erforderlich sei. Dies könne hier angesichts der vielfältigen Möglichkeiten der StPO nun wirklich nicht angenommen werden, so der DAV-Anwalt abschließend.

Redaktion beck-aktuell, 14. Juli 2020.