StGH Niedersachsen: Landesregierung musste Zusatzfrage zu Dringlicher Anfrage über Unterrichtsversorgung nicht beantworten

Die FDP-Fraktion sowie ein einzelner Abgeordneter sind mit einer Organklage gegen die ihrer Ansicht nach nicht ausreichende Beantwortung einer Zusatzfrage zu einer Dringlichen Anfrage zur aktuellen Unterrichtsversorgung in Niedersachsen seitens der Landesregierung gescheitert. Die Zusatzfrage sei nicht eng genug am Thema der Dringlichen Anfrage gewesen, daher habe die Landesregierung sie nicht beantworten müssen. Das hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof  mit Urteil vom 08.08.2017 entschieden (Az: StGH 2/16).

Organklageanträge gegen nicht ausreichend beantwortete Zusatzfrage

Gegenstand des Organstreitverfahrens war die Frage, ob die Kultusministerin ihre Auskunftspflicht aus Art. 24 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung (NV) durch ihre Antwort auf eine Zusatzfrage zu der Dringlichen Anfrage der FDP-Fraktion vom 18.01.2016 ("Wie sieht die Unterrichtsversorgung aktuell in Niedersachsen aus?" - LT-Drs.:17/4992) verletzt hat. Der Staatsgerichtshof hat den Antrag zurückgewiesen und festgestellt, dass der Antrag des Abgeordneten Försterling bereits unzulässig und der Antrag der FDP-Fraktion unbegründet ist. Die Unzulässigkeit der Organklage des Abgeordneten Försterling ergebe sich daraus, dass die maßgebliche Zusatzfrage eine Zusatzfrage der FDP-Fraktion und nicht des genannten Abgeordneten gewesen sei. Ihm fehle daher die Antragsbefugnis.

Landesregierung musste auf Zusatzfrage nicht antworten

Der Antrag der FDP-Fraktion sei dagegen unbegründet. Die Antwort auf die 5. Zusatzfrage der FDP-Fraktion unterliege wegen eines Verstoßes dieser Zusatzfrage gegen § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 der Geschäftsordnung des Landtages (GO LT) nicht der verfassungsgerichtlichen Überprüfung im Organstreitverfahren. Nach dieser Vorschrift müssten Zusatzfragen zur Sache gehören und sie dürften den Inhalt der ursprünglichen Dringlichen Anfrage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Eine Zusatzfrage, die diese Anforderungen nicht erfülle, unterliege schon nicht dem Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 NV. Durch eine in diesem Sinne unzulässige Zusatzfrage werde auch eine Antwortpflicht der Landesregierung, die am Maßstab des Art. 24 Abs. 1 NV zu messen wäre, nicht ausgelöst.

Zusatzfrage stand nicht in engerem Zusammenhang mit Dringlicher Anfrage

Die 5. Zusatzfrage habe nicht im Einklang mit den Vorschriften der Geschäftsordnung des Landtages gestanden. Gegenstand der Dringlichen Anfrage vom 18.01.2016 sei die aktuelle Unterrichtsversorgung in Niedersachsen gewesen. Die FDP-Fraktion hätte aktuelle statistische Angaben zur landesweiten Unterrichtsversorgung haben (Fragen 1 und 3) und Gründe für etwaige Änderungen in der Unterrichtsversorgung seit dem Regierungswechsel 2013 erfahren (Frage 2) wollen. Gegenstand der 5. Zusatzfrage sei hingegen gewesen, welcher Mitarbeiter des Kultusministeriums aus welchen Gründen die Weisung erteilt habe, eine konkrete Lehrkraft von der Oberschule in Badenhausen an das Theodor-Heuss-Gymnasium zu versetzen. Ein Zusammenhang zwischen der 5. Zusatzfrage und der Dringlichen Anfrage hätte allein darin bestanden, dass die Versetzung einer Lehrkraft stets auch die Unterrichtsversorgung an den betroffenen Schulen berührt. Ein allgemeiner thematischer Zusammenhang genüge aber nicht den Anforderungen des Art. 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT.

Nur Nachfragen im engeren Sinne als Zusatzfragen zulässig

Als Zusatzfragen seien regelmäßig nur Nachfragen im engeren Sinne zulässig, die in Folge einer unzureichenden oder als unzureichend empfundenen Antwort auf die vorausgegangene Dringliche Anfrage gestellt werden. Nur dieses Verständnis werde dem in der Geschäftsordnung des Landtages angelegten System von Dringlicher Anfrage, Antwort und Zusatzfrage gerecht, das auf eine lebendige Debatte im Plenum ausgerichtet sei und die begrenzten zeitlichen Ressourcen der parlamentarischen Debatte berücksichtige. Gehöre die 5. Zusatzfrage zu der Dringlichen Anfrage danach nicht zur Sache und dehne sie die ursprüngliche Frage auf andere Gegenstände aus, verstoße sie gegen § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT und löse keine Antwortpflicht der Landesregierung nach Art. 24 Abs. 1 NV nicht aus.

Regierungsantwort nicht am Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu messen

Eine gleichwohl gegebene Antwort der Landesregierung sei einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Die Landesregierung könne sich im Organstreitverfahren wegen Verletzung ihrer Antwortpflicht auf die Unzulässigkeit der Zusatzfrage auch dann berufen, wenn sie die Zusatzfrage zuvor im parlamentarischen Raum beantwortet habe. Dem stehe auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nach dem Grundsatz des venire contra factum proprium nicht entgegen. Dieser allgemeine Grundsatz gelte zwar auch im Verfassungs- und Verfassungsprozessrecht. Eine Anwendung scheide hier aber deshalb aus, weil es auf Seiten der Landesregierung an einem vertrauensbegründenden Verhalten und auf Seiten der Fragestellerin an einer Schutzbedürftigkeit fehle.

Landesregierung musste unzulässige Zusatzfragen nicht unverzüglich rügen

Die Geschäftsordnung des Landtags sehe keine Obliegenheit der Landesregierung vor, Antworten auf unzulässige Zusatzfragen unverzüglich zu verweigern oder die Unzulässigkeit einer Zusatzfrage unverzüglich zu rügen. Die Bewertung einer Zusatzfrage als unzulässig werde häufig näherer Abwägung und Prüfung bedürfen, für die im Parlamentsbetrieb kein Raum sei. Die Landesregierung setze mit einer Antwort auf eine - später als unzulässig erkannte - Zusatzfrage daher keinen Vertrauenstatbestand, der die spätere Berufung auf die Unzulässigkeit der Zusatzfrage treuwidrig erscheinen lasse.

FDP-Fraktion vorliegend nicht schutzbedürftig

Darüber hinaus fehle es auch an der Schutzbedürftigkeit einer Fragestellerin, die mit ihrer Zusatzfrage den Gegenstand der Dringlichen Anfrage verlassen und auf einen anderen Gegenstand ausgeweitet habe. In einem solchen Fall müsse die Fragestellerin damit rechnen, dass die Zulässigkeit ihrer Frage im Zuge der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung um die gegebene Antwort noch geprüft werde und diese Prüfung zu dem Ergebnis der Unzulässigkeit der Zusatzfragen führen könne. Der Fragestellerin hätten hier im Übrigen andere parlamentarische Auskunftsrechte zur Verfügung gestanden, um eine verfassungsgerichtlich überprüfbare Antwort auf ihre Frage zu dem Versetzungsverfahren zu erhalten. Es habe insofern nicht des Weges über eine Zusatzfrage zu einer Dringlichen Anfrage bedurft.

Redaktion beck-aktuell, 8. August 2017.