StGH Hessen konkretisiert Anforderungen an Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung

Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 3 der Hessischen Verfassung ist verletzt, wenn an den Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung überzogene Anforderungen gestellt werden. Bei divergierender Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte in einer Rechtsfrage, die noch nicht vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wurde, liege in der Regel eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor, sodass die Berufung zuzulassen sei, entschied der Staatsgerichtshof des Landes Hessen hierzu und gab damit der Grundrechtsklage eines Physiotherapeuten statt, der ursprünglich gegen eine Prüfungsentscheidung vorgegangen war (Beschluss vom 09.08.2017, Az.: P.St. 2609).

Prüfungsentscheidung zulasten des Antragstellers abgeändert

Der Antragsteller legte im Jahr 2011 die staatliche Prüfung zum Physiotherapeuten ab. Die Gesamtnote wurde mit ausreichend festgelegt. Weil er eine Notenverbesserung erreichen wollte, legte der Antragsteller Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde die Prüfungsentscheidung zulasten des Antragstellers abgeändert, der Prüfungsbescheid aufgehoben und dem Antragsteller das Nichtbestehen der Prüfung eröffnet. Weiter wurde er darauf hingewiesen, dass die Wiederholungsprüfung innerhalb von zwölf Monaten nach dieser Entscheidung abgeschlossen sein müsse. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Frage, ob die Erstprüfung bestanden wurde oder nicht, ist bisher noch nicht ergangen. Mangels sofortiger Vollziehbarkeit des Bescheides darf der Antragsteller zunächst weiter als Physiotherapeut tätig sein.

Verlängerung der Zwölfmonatsfrist beantragt

Obwohl der Antragsteller davon ausging, dass die Zwölfmonatsfrist zur Ablegung der Wiederholungsprüfung noch nicht zu laufen begonnen hat, beantragte er vorsorglich deren Verlängerung beim Regierungspräsidium Darmstadt. Dies lehnte das Regierungspräsidium ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage vor dem VG Kassel. Er berief sich vor allem auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, nach der die Anfechtung der Prüfungsentscheidung die Frist für die Ablegung der Wiederholungsprüfung hemme. Die Klage wurde zurückgewiesen. Das VG ging davon aus, dass die Zwölfmonatsfrist bereits abgelaufen sei und keine Gründe für eine Verlängerung oder Ausnahme vorlägen. Daraufhin beantragte der Antragsteller die Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung.

VGH lehnte Antrag auf Zulassung der Berufung ab

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 09.08.2016 ab. Weder Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache seien gegeben. Daran ändere auch die Entscheidung des Niedersächsischen OVG nichts. Die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage könne unter Heranziehung anerkannter Auslegungsmethoden unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitet werden. Hiergegen wendete sich die Grundrechtsklage.

Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Der StGH gab der Grundrechtsklage statt. Durch die Nichtzulassung der Berufung sei der Grundrechtskläger in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 3 der Hessischen Verfassung verletzt worden, da der Hessische VGH durch übermäßig strenge Handhabung der Berufungszulassungsvorschriften den Anspruch des Antragstellers auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzt habe.

StGH bejaht grundsätzliche Bedeutung der Streitfrage

Weil es zur entscheidenden Frage, die sich gleichermaßen bezüglich der Auslegung der insoweit wortgleichen Regelungen des § 8 Abs. 4 Satz 4 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege und § 12 Abs. 4 Satz 3 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten stellt, noch keine Entscheidung des BVerwG gab und ein anderes OVG hierzu eine andere Ansicht als der Hessische VGH vertrat, konnte laut StGH eine grundsätzliche Bedeutung nicht verneint werden.

Rechtsprechung nicht einheitlich

Hinzu kam laut StGH, dass das VG Bremen die gleiche Auffassung wie das Niedersächsische OVG vertreten habe. Außerdem sei bereits das Urteil des VG Kassel ausdrücklich vom Wortlaut der Norm abgewichen. Nach § 7 Abs. 4 Satz 4 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTH-APrV) müsse die Wiederholungsprüfung spätestens zwölf Monate nach der letzten Prüfung abgeschlossen sein. Das VG Kassel stellte entgegen dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 4 PhysTH-APrV für den Beginn der Frist auf die "Bekanntgabe" des Nichtbestehens ab, die vorliegend erst etwa ein Jahr nach der letzten Prüfung erfolgte. Der StGH des Landes Hessen hat daher die Entscheidung des Hessischen VGH aufgehoben und die Sache an diesen zurückverwiesen. Durch die Zulassung der Berufung erhält der Antragsteller auch die grundsätzliche Möglichkeit, nach einer Entscheidung des VGH eine weitere Klärung durch das BVerwG im Revisionsverfahren herbeizuführen.

Redaktion beck-aktuell, 16. August 2017.