Rechtswahlklausel von Ryanair zugunsten irischen Rechts unwirksam

In den letzten Jahren war die Rechtswahlklausel von Ryanair zugunsten irischen Rechts in ihren AGB immer wieder Streitthema in Klagen rund um die Erstattung von Teilbeträgen für nicht angetretene Flüge. In den vergangenen Monaten sind einige Entscheidungen deutscher Landgerichte ergangen, die diese Klausel für rechtswidrig erklärt haben, weil sie suggeriere, dass irisches Recht der Anwendung der Fluggastrechteverordnung vorgehe.

Gebuchte Flüge wurden nicht angetreten

Fluggäste, die ihren online gebuchten Flug nicht antraten, wollten von der Fluggesellschaft Ryanair im Weg der Stufenklage zunächst Auskunft über die im Rahmen der Buchung vereinnahmten Steuern und Gebühren erhalten und diese in einem zweiten Schritt zurückverlangen. Die Auskunft ist wichtig, weil die Fluggesellschaft zwar das Flugentgelt weiter erheben darf, wenn ein Kunde den Flug nicht antritt, sich aber ersparte Aufwendungen, zu denen nicht zu zahlende Gebühren oder Steuern zählen können, anrechnen lassen muss. Zu diesem Themenkomplex haben in den vergangenen Monaten mehrere deutsche Gerichte geurteilt.

Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben

Das Landgericht Frankfurt am Main hielt fest, dass sich der Auskunftsanspruch bereits aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergibt. Wenn ein Anspruchsberechtigter in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen sei und der Verpflichtete die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer erteilen könne, treffe letzteren nach ständiger BGH-Rechtsprechung eine Auskunftspflicht. Im in Frankfurt vorliegenden Fall habe Ryanair die Steuern und Gebühren entgegen Art. 23 der europäischen Verordnung über die Durchführung von Luftverkehrsdiensten (Abs. 1 VO (EG) 1008/2008) in den jeweiligen Buchungsbestätigungen nicht ausgewiesen. Die Fluggäste hätten ihrerseits keine weiteren Erkenntnisquellen, um die nötigen Auskünfte zu erlangen. Demgegenüber sei es der Beklagten Ryanair unschwer möglich, die Auskunft zu erteilen, weil sie wissen müsse, welche Steuern und Gebühren sie an die jeweiligen Zahlungsempfänger zu entrichten habe. Die Steuern und Gebühren seien wichtige Grundlagen der Kalkulation des Flugentgelts. 

Streit um Rechtswahlklausel in AGB

Eigentlicher Streitpunkt im Verfahren war die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit eines Teils der AGB, die den mit den Fluggästen geschlossenen Verträgen zu Grunde liegen. Diese hielt das Gericht zum Teil für unangemessen und insoweit unwirksam. In den AGB wurde die Anwendbarkeit irischen Rechts vereinbart, da die Beklagte ihren Sitz in Irland hat. Diese Rechtswahlklausel ist nach Ansicht des Gerichts jedoch irreführend und intransparent. Obwohl die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gemäß Art. 3 Abs. 5 Rom-I-VO in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO nach irischen Recht zu beurteilen sei, zählten zum Kontrollmaßstab auch die der Umsetzung der Klausel-RL dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen seien. 

Kann Fluggastrechteverordnung entgegenstehen?

Gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13 sei eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertragspartners verursache. Die in Rede stehende Rechtswahlabrede bringe zum Ausdruck, dass ihr ausschließlich "Übereinkommen und einschlägige Gesetze" entgegenstehen könnten. Da europäische Verordnungen dem nationalen (hier: irischen) Recht vorgingen, sei jedoch auch die in der Klausel nicht explizit genannte Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004) vorrangig. Indem die Fluggastrechteverordnung in der Rechtswahlklausel nicht genannt werde, in anderen Bereichen aber schon, suggeriere die Rechtswahlklausel, dass das irische Recht auch der Verordnung vorgeht, was aber nicht der Fall sei.

"Übereinkommen und einschlägige Gesetze"

Ähnlich argumentiert auch das Landgericht Köln in einem vergleichbaren Fall. Es befand die Rechtswahlabrede von Ryanair mit Teilurteil für rechtsmissbräuchlich, da sie suggeriere, dass neben den einschlägigen Gesetzen lediglich das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 der Wahl irischen Rechts entgegenstehen könnte, nicht aber die Fluggastrechteverordnung (EG) 261/2004. In ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) definiere die Beklagte den Begriff "Übereinkommen" dahingehend, dass hiermit das Übereinkommen von Montreal aus dem Jahr 1999 gemeint sei. Weitere Bestimmungen des Begriffs "Übereinkommen" fänden sich in den ABB nicht, insbesondere werde die Verordnung (EG) 261/2004 in keiner anderen Klausel der ABB als "Übereinkommen" bezeichnet. Auch aus Sicht des Verbrauchers liege es fern, unter "Übereinkommen" die Verordnung (EG) 261/2004 zu verstehen, bei der es sich um einen unmittelbar geltenden europäischen Rechtsakt und nicht - wie bei einem Übereinkommen - um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt. Auch den Begriff der "einschlägigen Gesetze" definiere die Beklagte in ihren ABB begrifflich nicht. Vielmehr erwähne sie in bestimmten Klauseln den Begriff der Verordnung (EG) 261/2004 ausdrücklich, während sie in anderen Klauseln wiederum von anwendbaren Gesetzen spreche. Daher sei es aus Sicht eines Verbrauches fernliegend, unter "einschlägige Gesetze" auch die Verordnung (EG) 261/2004 zu verstehen. Gerade bei dieser Verordnung handele es sich jedoch um den zentralen Baustein des Europäischen Gesetzgebers im Bereich des Kundenschutzes, welcher das Montrealer Übereinkommen flankiere.

Flugdurchführung durch Laudamotion ändert nichts an Passivlegitimation von Ryanair

In einem weiteren Fall vor dem LG Berlin (51 O 133/18) hatten den Fluggästen der Fluggesellschaft Ryanair bei der Onlinebuchung sogar fünf verschiedene AGB zur Auswahl gestanden,  deren Anwendung sich danach richten sollte, welche Fluggesellschaft der Beklagten den Flug am Ende tatsächlich durchführte. Ryanair konnte sich in diesem Fall nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht mit dem Argument, dass der Flug letztlich von Laudamotion durchgeführt wurde, auf eine fehlende Passivlegitimation berufen. Unstreitig habe Ryanair die Flüge selbst angeboten und sei hierbei nicht nur als Flugvermittler aufgetreten. Demgemäß seien die Beförderungsverträge auch mit ihr abgeschlossen worden. Eine Klausel, die den Wechsel eines Vertragspartners vorsehe, sei gemäß § 309 Nr. 10 BGB unwirksam.

Internationale Zuständigkeit

Schließlich hatte auch das Landgericht Kleve über einen Auskunftsanspruch von Fluggästen gegenüber Ryanair zu entscheiden (Az.: 2 O 252/19). Die Anspruchsherleitung des LG deckt sich weitestgehend mit den anderen landgerichtlichen Entscheidungen. Interessant ist jedoch, dass das LG zunächst seine örtliche Zuständigkeit explizit feststellt. Diese ergebe sich aus Art. 5 Abs. 1, 7 Nr. 1a Brüssel-la-VO, da der Erfüllungsort der jeweiligen Flugbeförderungsverträge am Flughafen Weeze und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Kleve lag. Nach Art. 5 Abs. 1, 7 Nr. 1a Brüssel-Ia-VO können Personen, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats haben, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der demnach für die internationale Zuständigkeit maßgebliche Erfüllungsort im Sinn des Art. 7 Nr. 1a Brüssel-Ia-VO ist grundsätzlich - nach Wahl des Fluggastes - entweder der Ort des vertragsgemäßen Abflugs oder der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs. Diese im Zusammenhang mit der Fluggastrechte-VO entwickelte Rechtsprechung sei auf die Kündigung isolierter Beförderungsverträge gemäß § 648 Satz 2 BGB zu übertragen, um eine gespaltene Auslegung der Regelungen über die örtliche und internationale Zuständigkeit zu verhindern.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 03.07.2020 - O 100/19

Redaktion beck-aktuell, 30. November 2020.