Parlament bringt mehrere Gesetzesvorhaben zum Abschluss
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© Kay Nietfeld / dpa

Je näher der Wahltermin rückt, desto voller wird die Tagesordnung des Bundestags, weil zahlreiche Gesetzesvorhaben noch rechtzeitig zum Abschluss gebracht werden sollen. Deshalb endete die Plenardebatte vom Donnerstag erst nach Mitternacht. Verabschiedet wurde eine Reihe wegweisender Gesetze unter anderem zur Pfandpflicht, zu Hass und Hetze im Internet sowie zu Handelsregeln und Kreditabsicherung.

Alternative Mehrwegvarianten und erweiterte Pfandpflicht

Zur Vermeidung von Verpackungsmüll müssen Restaurants, Imbisse und Cafés beim Straßenverkauf ab dem Jahr 2023 neben Einwegverpackungen auch eine alternative Mehrwegvariante anbieten. Ausgenommen sind kleinere Gastronomiebetriebe, die maximal 80 Quadratmeter groß sind und nicht mehr als fünf Beschäftigte haben. Schon ab 2022 gilt eine erweiterte Pfandpflicht für Plastikflaschen und Getränkedosen. Ausnahmeregelungen für bestimmte Getränke - etwa Fruchtsäfte ohne Kohlensäure - fallen weg. Darüber hinaus wird für die Herstellung von PET-Flaschen ein verpflichtender Mindestanteil an recyceltem Kunststoff eingeführt.

Vereinfachte Meldewege gegen Hetze im Netz

Im Kampf gegen strafbare Hetze im Netz hat der Bundestag mit den Stimmen der schwarz-roten Regierungskoalition eine Änderung des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes beschlossen. Damit sollen die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer gestärkt werden. Die Fraktionen der AfD und FDP stimmten gegen die Novelle, Grüne und Linke enthielten sich der Stimme. Meldewege müssen künftig mühelos auffindbar und leicht zu bedienen sein. In der Novelle des «NetzDG» wird auch ein "Gegenvorstellungsverfahren" eingeführt, mit dem sich Nutzer gegen die Sperrung vermeintlich illegaler Inhalte wehren können, ohne sofort vor Gericht ziehen zu müssen. Das gilt für alle Betreiber sozialer Netzwerke, die im Inland mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer haben. Außen vor sind E-Mail- und Messenger-Dienste, berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen. Neu ist auch eine "Forschungsklausel". Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekommen einen Auskunftsanspruch gegenüber Plattformen, um datenbasiert die Verbreitung von Hassrede durch Algorithmen besser erforschen zu können.

Bitkom und Opposition kritisieren NetzDG-Novelle

Auf scharfe Kritik stieß die Novelle außerhalb des Parlaments beim Digitalverband Bitkom. Beim Versuch, die Nutzerrechte zu stärken, schieße das neue Gesetz weit über das Ziel hinaus, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Mit dem Gegenvorstellungsverfahren werde "ein praxisfernes bürokratisches Ungetüm geschaffen". In der Debatte im Bundestag kritisierten vor allem AfD und Linke die Novelle. Stephan Brandner (AfD) sagte, dass Gesetz fördere die Zensur von unbequemen Meinungen. Niema Movassat (Linke) kritisierte eine mögliche Weitergabe der Daten an das Bundeskriminalamt und sprach von einem "schlechten Gesetz". Renate Künast (Grüne) sagte, das NetzDG hinke den aktuellen Entwicklungen hinterher.

Verbot umstrittener Praktiken durch neue Handelsregeln

Landwirte und andere Lieferanten sollen künftig besser davor geschützt sein, dass Handelsriesen sie unter Druck setzen und Bedingungen diktieren. Das sieht ein Gesetz von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) vor, das der Bundestag am Donnerstagabend ebenfalls beschlossen hat. Untersagt werden soll zum Beispiel, verderbliche Produkte später als 30 Tage nach der Lieferung zu bezahlen oder dass Händler von Lieferanten Geld fürs Lagern fordern. Unzulässig wird zudem, Vereinbarungen nicht schriftlich zu bestätigen, obwohl Lieferanten das wünschen. Tabu sind künftig auch einseitige Änderungen von Liefer- und Zahlungsbedingungen - oder dass Händler mit "Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art" drohen, wenn Lieferanten vertragliche oder gesetzliche Rechte tatsächlich nutzen wollen. Supermärkte sollen nicht verkaufte Waren künftig nicht mehr unbezahlt zurückschicken dürfen. Lieferanten dürfen auch nicht fürs Aufnehmen ihrer Produkte ins Ladensortiment zur Kasse gebeten werden, außer es geht um Kosten überhaupt erst zur Markteinführung eines Produkts. Bei Verstößen gegen die Regeln sollen Geldbußen bis 750.000 Euro drohen.

"David gegen Goliath" im Lebensmittelmarkt

Hintergrund ist die generelle Lage auf dem Lebensmittelmarkt. Den vielen, teils kleineren Lieferanten steht ein stark konzentrierter Handel gegenüber. "Es besteht ein eklatantes Marktungleichgewicht", analysierte Klöckner. Zusammen kommen die vier großen Supermarktketten auf mehr als 85% Marktanteil. Die SPD-Ernährungsexpertin Ursula Schulte hob hervor, dass auch eine neue Ombudsstelle kommen soll, bei der Bauern und Lieferanten unlautere Praktiken und unfaire Preise melden können. Der Bauernverband begrüßte die Pläne, die die Position der Landwirte in der Lieferkette stärkten. Die Verbraucherzentralen begrüßten die Pläne, auch wenn ein nötiges pauschales Verbot aller unlauteren Praktiken leider nicht komme. "Faire Vertragsbedingungen und faire Preise für Erzeuger sind auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wichtig", sagte der Chef des Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. Viele wollten sich nachhaltig ernähren. Preisdruck zulasten von Tierschutz, Arbeits- und Umweltstandards sei nicht in ihrem Interesse.

Handel übt Kritik

Der Handel protestierte besonders dagegen, dass mit dem Gesetz nicht nur eine EU-Richtlinie umgesetzt wird, sondern mehrere Punkte darüber hinausgehen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) kritisierte, das schränke Gestaltungsmöglichkeiten der Vertragspartner erheblich ein - und warnte noch, nun auch große Lebensmittelkonzerne in Verhandlungen mit den Supermärkten zu beschützen. Das verhindere den Wettbewerb um günstige Preise, was auch bei den Kunden ankommen werde. Denn Händler müssten dann häufig zu höheren Preisen einkaufen. Und das habe tendenziell preiserhöhende Wirkung für die Produkte in den Regalen.

Verbraucherschutz bei Kreditabsicherung

Für Verbraucher soll es deutlich preiswerter werden, einen Kredit abzusichern. Die zulässige Abschlussprovision für die sogenannte Restschuldversicherung wird gesetzlich auf 2,5% der versicherten Darlehenssumme begrenzt. Eine Restschuldversicherung springt ein, wenn der Kreditnehmer arbeitslos wird oder stirbt. Die Deckelung der Provision soll den Anreiz senken, möglichst viele Versicherungen mit hohen Prämien zu verkaufen, wodurch letztlich die finanzielle Belastung der Kunden sinken soll.

Gründung der Helmut-Kohl-Stiftung 

Eine Helmut-Kohl-Stiftung erinnert künftig an das Leben und Wirken des langjährigen deutschen Bundeskanzlers. Das beschloss der Bundestag gegen den ausdrücklichen Willen der Kohl-Witwe Maike Kohl-Richter. Zu den Aufgaben der Stiftung, deren Einrichtung der Bundestag ohne Gegenstimmen billigte, gehört unter anderem die Errichtung einer öffentlich zugänglichen Erinnerungsstätte in Berlin. "Helmut Kohl ist für viele junge Menschen noch heute ein großes Vorbild", erklärte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Kohl-Richter hatte zuvor allerdings erklärt: "Das Vorhaben widerspricht dem letzten Willen meines Mannes." Nach Angaben ihre Anwälte gebe es Zweifel, ob Kohls Leben und Politik im vorgesehenen Modell tatsächlich objektiv aufgearbeitet werden könne. Trotzdem stimmten im Bundestag von der Union bis zur Linken alle Fraktionen für die Stiftung; nur die AfD enthielt sich.

Keine Lösung für Staatsentschädigung an die Kirchen

Die jährlichen Entschädigungszahlungen des Staates an die beiden großen christlichen Kirchen bleiben vorerst unangetastet. Zwei Gesetzentwürfe der Opposition, die die Abschaffung der Staatsleistungen vorsahen, verfehlten im Bundestag die notwendige Mehrheit. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor begründete die Ablehnung mit offenen Fragen bei den ersatzweise fällig werdenden Ablösezahlungen. Die Debatte sei notwendig, eine Lösung könne aber erst nach der Bundestagswahl gefunden werden. Das Geld ist eine staatliche Gegenleistung für die Enteignung deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Säkularisierung. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche. Zuletzt waren es insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.

2 Oppositionsentwürfe wollten Ende der Leistungen

Ein gemeinsamer Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen sah vor, die regelmäßigen Zahlungen durch eine einmalige Ablösesumme zu ersetzen, deren Höhe das 18,6-fache der jährlich zu leistenden Zahlungen betragen sollte. Dies wurde von der Parlamentsmehrheit jedoch ebenso abgelehnt wie der Gesetzentwurf der AfD-Fraktion. Dieser sah vor, die staatlichen Zahlungen spätestens zum Ende des Jahres 2026 auslaufen zu lassen. Schon in der Weimarer Verfassung war vorgesehen, die regelmäßigen Zahlungen durch eine einmalige angemessene Entschädigung abzulösen. Dieses Vorhaben wurde in das Grundgesetz übernommen - aber bis heute nicht in die Tat umgesetzt.

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2021 (dpa).